Die beiden spähten hinunter. „Da!“, rief Currann und streckte den Finger in Richtung der Tür. „Ein paar deutliche Fußabdrücke.“
Bajan kniff die Augen zusammen. „Ja, dies sind welche. Lass uns hinunter gehen, aber Vorsicht, dass keine Spuren verwischen.“
Als sie halb die Treppe am Turm herunter waren, konnte auch Bajan mehrere Fußabdrücke im Sand erkennen. Er kniete nieder und sah seinen Schüler auffordernd an. Dieser betrachtete die Spuren genauer. „Es war auf jeden Fall ein Mann, und er ist nach Ende des Sturms wieder zum Palast gegangen, sonst könnte man die Spuren nicht mehr erkennen“, sagte er. Dann aber blieb er ratlos.
„Sieh dir die Ränder der Spuren an. Dieser Mann hat keine Stiefel getragen, es war also kein Soldat, sondern weiche Lederschuhe wie ein Palastangehöriger“, sagte Bajan und deutete auf die Spuren. „Sie müssen staubig sein, vielleicht hatte heute Morgen eine der Mägde einen Auftrag zur Schuhreinigung. Ich werde mich mal umhören.“ Er sah sich aufmerksam um. „Hier kann man nur zu diesem Turm hin, etwas anderes gibt es hier nicht. Lasst uns mal hineinschauen.“ Er rüttelte an der Tür, aber sie war verschlossen. Bajan war verblüfft. „Jeder Turmraum hat offen zu sein, hier werden die Waffen für die Verteidigung gelagert. Warum ist dieser zu? Ich werde mit dem Hauptmann reden, es muss einen Schlüssel geben.“
Currann stieß einen erstaunten Ruf aus und zeigte nach oben. Bajan blickte hoch, da sah auch er es: Der Turm war etwa ein Drittel unter dem Schutzraum von einem weißen Ring umgeben. „Was zum .. geht hier vor?“, fragte er ungläubig.
„Was ist das, Fürst?“, fragte Currann mit seltsam belegter Stimme. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Bajan sah Currann kurz forschend an, dann sagte er ruhig: „Ich lasse es untersuchen. Komm, schauen wir noch, wo die Spuren in den Palast hinführen, aber innen werden wir, wie ich die fleißigen Mägde dort kenne, nichts mehr finden.“
So war es auch, die Spuren führten genau in den Bereich, wo man zu dem hinteren Eingang in die Halle gelangen konnte. Leider konnte man von hier auch überall hinlaufen, sodass sie nicht weiterkamen.
„Wir werden die Königin aufsuchen, noch ist Zeit vor der Sitzung“, beschloss Bajan sogleich.
Sie machten sich umgehend auf den Weg und trafen vor der Treppe zum Palast auf Anwyll und Thorald, die gerade denselben Weg eingeschlagen hatten. Thorald sah die beiden spekulierend an. „Ihr seid bestimmt nicht hier, um einen Höflichkeitsbesuch zu machen, oder?“
„Nein, wir haben etwas entdeckt. Kommt, lasst uns dies drinnen besprechen“, sagte Bajan oben angekommen, als eine erstaunte Yola ihnen die Tür öffnete.
Die Königin war ebenfalls überrascht, sie alle schon zu sehen. Nacheinander berichteten Bajan und Currann, was sie gefunden hatten. Currann, der stolz war, in der Runde der Erwachsenen dabei zu sein, erzählte davon, wie er die Spuren im Garten und am Turm entdeckt hatte.
Anwyll war aufs Höchste beunruhigt: „Und die Soldaten sind sich sicher, dass die Lichter blau waren?“
„Ja, ganz sicher. Sie sehen viele Lichter, die den meisten Stadtbewohnern große Angst einjagen würden, Elmsfeuer und solche Dinge. Aber dieses fanden sie so ungewöhnlich, dass sie mich benachrichtigt haben“, sagte Bajan.
Anwyll wechselte einen Blick mit Thorald. „Das ist entschieden merkwürdig. Blaue Lichter sind Zeichen für die Geisterwelt“, erklärte er. Thorald nickte, aber Currann keuchte auf.
Den Erwachsenen wurde jetzt erst richtig bewusst, dass Currann mit im Raum war. Naluri sah ihren Ältesten fest an. „Mein Sohn, du wirst nichts, aber auch gar nichts weitergeben, was du hier in diesem Raum hörst, hast du mich verstanden? Nicht einmal an deine Geschwister und auch nicht an Althea, verstanden?“
Currann setzte sich aufrechter hin. „Selbstverständlich Mutter, wofür hältst du mich?“, fragte er entrüstet.
Naluri seufzte. „Entschuldige bitte, ich muss mich wohl damit abfinden, dass meine Kinder langsam erwachsen werden.“
Anwyll sah Currann zwingend an. „Du weißt über den Pakt zwischen Temora und Gilda bescheid“, stellte er fest. Currann nickte vorsichtig. Was wohl jetzt kam? „Ich bin hier, um deinen Vater davon zu überzeugen, dass der Pakt eingelöst werden muss. Wir müssen herausfinden, was dort im Norden vor sich geht“, sagte Anwyll.
Currann sah ihn unbehaglich mit großen Augen an, er verstand noch nicht ganz. Bajan erklärte ihm, was sie herausgefunden hatten. Da erschrak er zutiefst. „Und Ihr glaubt, dass unser Feind wieder erwacht ist?!“, keuchte er.
„Auf jeden Fall müssen wir ausschließen, dass es so ist, deshalb müssen wir heute unbedingt den Rat dazu bringen, diese Expedition zu entsenden“, endete Bajan grimmig. „Ich schicke einen der Wachleute los, den Schlüssel für diesen Turm zu besorgen. Nach der Sitzung sehen wir uns dort einmal um.“
„Wir kommen mit“, sagte Thorald. Er hob die Hand, als Bajan protestierte. „Nein, sicher ist sicher. Ihr könntet auf etwas stoßen, dem Ihr nicht gewachsen seid.“
„Also gut“, stimmte Bajan zu.
Currann wagte die Gunst der Stunde zu nutzen und fragte: „Mutter, darf ich an der Ratssitzung teilnehmen?“
„Das geht noch nicht, das weißt du doch, du bist noch nicht protokollarisch zugelassen“, erinnerte Naluri ihren Sohn.
„Aber Alia ist es?“, erwiderte er trotzig.
„Stell dich nicht mit deinem Gegner auf die gleiche niedrige Stufe, mein Sohn“, tadelte ihn Naluri. „Du bleibst hier im Palast und gehst Yola zur Hand. Sie wollen die hohen Leuchter von der Decke holen und neu bestücken. Da wird ein Mann für die schwere Arbeit gebraucht. Und was deine nächste Frage angeht“, kam sie ihm zuvor, „ich weiß nicht, was die Männer in dem Turm vorfinden werden, daher möchte ich, dass du hierbleibst.“
„Hoheit, ich denke, wir werden auf ihn aufpassen können. Schließlich hat er bereits wesentliche Teile aufgedeckt, sodass er auch an der restlichen Expedition beteiligt sein sollte“, wandte Anwyll ein, dem Curranns enttäuschtes Gesicht nicht entgangen war.
„Also gut, dorthin darfst du mitgehen“, stimmte Naluri schweren Herzens zu. Currann war halbwegs versöhnt und trollte sich, ohne zu murren, in Richtung der Frauenstimmen aus der Eingangshalle. Die anderen brachen in Richtung Palast auf.
Phelan und Althea hatten ihre Aufgaben in der gewohnten halben Zeit erledigt. Ihre List funktionierte hervorragend, solange Thorald nicht in der Nähe war.
Althea lief zu Lusela in die Küche. „Lusela, wir sind fertig. Was sollen wir jetzt tun?“ Lusela sah von dem Brotteig auf, den sie gerade knetete. „Du hast noch ein Beet übrig, das noch nicht von Unkraut befreit ist, und bei der Gelegenheit kannst du auch gleich den Sand im Garten beseitigen. Danach könnt ihr euch zu euren Büchern trollen oder im Hof spielen, aber ihr verlasst nicht das Haus, verstanden? Nehmt euch von den Brötchen dort drüben, sie sind frisch. Äpfel sind auch noch da.“
Althea nickte und lief mit Phelan in den Garten. Diese Aufgabe hatten sie zu zweit schnell fertig. Sie stellen die Gartengeräte wieder in die kleine Nische an dem Durchgang zum Hof und schauten vorsichtig um die Ecke. „Die Luft ist rein, Lusela ist gerade in die Schlafkammern gegangen“, wisperte Althea. Schnell liefen sie über den Hof zum Tor. Hinter der linken Säule stemmten sie die kleine Tür auf und zwängten sich hindurch.
Ihr geheimer Raum war sehr lang, fast über die gesamte Breite vom Tor bis an den Felsen, aber schmal. Althea blickte ratlos auf die Gerätschaften, die dort wild durcheinander lagen. „Was üben wir jetzt?“, fragte sie.
Phelan überlegte kurz. „Die Speere hatten wir letzte Woche, aber ich hab ein paar neue Griffe im Ringkampf gelernt, die zeige ich dir, in Ordnung?“
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