1 ...7 8 9 11 12 13 ...54 „Ach ja“, fiel es Althea wieder ein, die mit blitzenden Augen dem Blick Nusairs standhielt, „und Vaters alter Freund und Lehrmeister Anwyll ist unter ihnen. Sie wollen dem König wichtige Dinge vortragen, und Vater sagt, dass Ihr diese Dinge gewiss nicht gerne hören werdet. Sie sind übrigens auch Heiden!“
Nusair machte einen Schritt auf sie zu, wurde aber von der Stimme der Königin unterbrochen. „Es ist Zeit für den Einzug. Meno, bitte sagt dem Herold bescheid!“ Dieser verbeugte sich vor der Königin und führte das Gewünschte aus. Nusair schritt umgehend an die Seite des Königs.
Die Brüder und Althea sahen sich an, und die Zwillinge stießen unwillkürlich die angehaltene Luft aus. Sie machten sich bereit, aber Thorald nahm seine Tochter noch kurz beiseite. „Althea, sprich niemals mit anderen Leuten über Dinge, die du nicht zur Gänze verstehst. Du könntest uns in eine ungünstige Lage bringen, indem du Dinge verrätst, die gewisse Personen nicht hören sollen. Unsere Lage ist schon schwierig genug. Lerne, dich zu beherrschen, auch wenn du von jemandem angegriffen wirst!“, flüsterte er ihr eindringlich zu. Aber insgeheim war er sehr stolz auf sie. Sie hatte sich sehr gut gegen Nusair behauptet.
„Tut mir leid, Vater“, sagte Althea, „ich werde mich nicht mehr von dem Mönch ärgern lassen.“ Er nahm sie bei der Hand, strich ihr beruhigend über den Kopf und sie reihten sich hinter der Königsfamilie ein.
In der Halle schlug der Herold mit seinem Stab dreimal auf den Boden und rief aus: „Seine Majestät, König Aietan, Königin Naluri, die königliche Familie und der königliche Rat!“
Sofort verstummte das Stimmengewirr. Fanfaren und Trommeln ertönten, die Flügel der Tür schwangen auf und die Prozession setzte sich in Bewegung.
Gerade noch rechtzeitig erinnerte Thorald sie mit einem leichten Stoß seiner Hand daran, ja nicht zu vergessen, ihre Finger in das neben dem Eingang stehende Wasserbecken zu tauchen und damit ihre Stirn zu benetzen. Dieses Zeichen dafür, dass man die große Halle des Königs mit reinem Gewissen und ohne böse Absichten betrat, war ein wichtiger Bestandteil des Protokolls, das Althea nur allzu gern vergaß.
Die nächsten Bestandteile des Protokolls jedoch ignorierten sie beide bewusst. Sämtliche Mitglieder der königlichen Familie und des Rates wandten sich zur Mitte der großen Halle. Dort stand der Altar des Einen Herrn Urian, ein massiver Steinblock, geschmückt mit einem goldenen Baum, dem Symbol des Lebens. Alle verneigten sich ehrerbietig davor und schlugen das Zeichen des Baumes.
Althea beobachtete es nur beiläufig. Die Tatsache, dass sie und ihr Vater als Heiden galten, begleitete sie seit ihrer Geburt und störte sie nicht sonderlich. Stattdessen versuchte sie, um die Erwachsenen herum etwas zu erkennen, aber sie nahmen ihr die Sicht. So musste sie notgedrungen warten, bis sich der König und die Königin auf ihren leicht erhöhten Thronsitzen an der Stirnseite der Halle niedergelassen hatten. Beide Sitze waren mächtig und reich verziert mit den Elementen des gildaischen Wappens, der Sitz des Königs in der Form eines wilden Löwen und der Sitz der Königin mit den Blüten wilder Rosen. Althea hatte wie jedes Kind in Gilda gelernt, dass sie die Stärke und die Zähigkeit, aber auch die Schönheit des gildaischen Volkes symbolisieren sollten.
Die Königskinder warteten, bis die Ratsmitglieder rechts und links davon auf hochlehnigen, aber wesentlich schlichteren Stühlen Platz genommen hatten. Erst dann durften sie zu ihren etwas abseits stehenden Plätzen hinten in der Halle gehen und sich setzen. Von hier konnte Althea endlich die gesamte Versammlung überblicken.
Sie kam sich unter der alles überspannenden Kuppel immer ganz klein vor, und sie wusste, dass es vielen anderen Leuten ähnlich erging. Wenn sie den Kopf ganz in den Nacken legte, konnte sie hoch oben die vielen Glassteine in der Kuppel erkennen, die jetzt eine Vielzahl an Sprenkeln von der Abendsonne auf die Wände warfen. Trotzdem war es in der Halle bereits so dunkel, dass man alle Fackeln und Leuchter entzündet hatte. Sie spiegelten sich in den Wasserbecken, die an allen Eingängen verteilt waren, und warfen flackernde Lichter an die Wände. Es verlieh der Halle einen geradezu magischen Glanz.
Das Stimmengewirr war zwischenzeitlich wieder aufgekommen, denn man wartete auf das Eintreffen der Gesandtschaft. Althea ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Ihre Gedanken waren mit dem eigentlichen Anlass des Empfangs beschäftigt. Heute würde sie zum ersten Mal Bewohner aus der Heimat ihres Vaters aus der Nähe zu sehen bekommen. Bisher hatte sie nur von weitem, bei einem der seltenen Ausflüge in die Stadt, Händler aus seinem Volk gesehen. Aber es würden gewiss, wie so oft, wohl nur Männer und keine Frauen darunter sein.
‚Schade eigentlich, dann kann ich auch keine Ahnung davon bekommen, wie die Frauen aus Vaters Volk wohl aussehen. Hoffentlich nicht so hässlich wie ich’, dachte sie und warf Phelan einen Blick zu, der ihn mit einem Blitzen erwiderte und mit dem Kopf leicht zum Thron hinübernickte. Althea sah, dass der König bereits ausgiebig dem Wein zu gesprochen hatte und gerade erneut einen Becher eingeschenkt bekam. Sein massiver Körper saß bedenklich schief auf dem Thron. Schweiß lief ihm das teigige Gesicht herunter, seine vorstehenden Augen blickten glasig. Ihre Tante versuchte, so gut wie es ging darüber hinwegzusehen, und hielt die Konversation mit den Ratsmitgliedern aufrecht. Zum Glück waren ihr Vater und Heerführer Bajan darunter, sodass das Gespräch recht angenehm verlief.
Althea lächelte Phelan verschwörerisch zu und beugte sich zu ihm hinüber, aber bevor sie ein Wort sagen konnte, klopfte der Herold erneut auf den Boden und kündigte an:
„Seine Exzellenz Anwyll von Temora sowie Fürst Roar von Saran, sein Sohn Jeldrik und Gefolgschaft!“
Eine große Anspannung legte sich über die Versammlung, und alle Gespräche verstummten. Der König schaffte es, sich aufrecht hinzusetzen, und selbst die Königskinder hielten still.
Erneut ertönten die Fanfaren und Trommeln. Die Tore schwangen auf. Herein kam langsam eine Gruppe Menschen in fremdartiger Kleidung. Voran schritt ein großer Mann mit weitem, weißem Gewand und langem Haar und Bart in derselben Farbe. Er hielt einen langen, mit merkwürdiger Spitze geformten Stab in der Hand und stützte sich beim Gehen auf ihn. Althea konnte von ihrem Platz aus nicht erkennen, was an der Spitze des Stabes war, und beugte sich offenen Mundes vor.
Phelan stieß sie an. „Als wenn ein großer Schneemann auf einen zukommt“, flüsterte er und grinste über ihre Miene. Die Zwillinge kicherten.
Althea jedoch nahm keine Notiz von seinem Geflüster, zu sehr war sie von den dahinter folgenden Personen gefesselt. Der riesenhafte Mann musste Roar von Saran sein, dachte sie. Er hatte langes, hellblondes oder ergrautes Haar, das konnte sie nicht so genau erkennen, und einen ebenso langen Bart, der aber zu sehr vielen Zöpfen geflochten war. Er war sogar noch größer als ihr Vater, wirkte sehr stark und machte einen wahrhaft wilden Eindruck. Die Größe wurde noch verstärkt durch seinen Brustpanzer und die Arm- und Beinschienen, deren mit vielerlei Metall verziertes Leder im Licht der Fackeln glänzte und sehr kunstvoll gearbeitet war. Auch Currann hatte es bereits entdeckt, und ihm entfuhr ein bewundernder Laut. Welch ein Unterschied zu seinem Vater!
Hinter ihnen schritt zunächst ein Junge, der in etwa so alt zu sein schien wie Currann. Es war schwer zu sagen, denn er war bereits sehr hochgewachsen, hatte ebenso wie sein Vater langes, zu Zöpfen geflochtenes blondes Haar, aber der Bart fehlte noch völlig. Auch er war angetan mit derselben Rüstung, die wie die Miniaturausgabe der von Roar wirkte. Außerdem trug er ein Kurzschwert, was Currann und auch Phelan einen neidvollen Seufzer entlockte, denn dies war ihnen außerhalb der Heerschule verwehrt. Hinter dem Jungen folgten offensichtlich die Berater des Fürsten, deren wilde Ausstrahlung von den weniger kunstvoll gearbeiteten Rüstungen keinesfalls geschmälert wurde.
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