„Das kommt schon noch. Und ich glaube, dieser Antrack hilft dir auch, wenn du eine Frage hast. Zeig doch mal die ganzen Dokumente, die du unterschrieben hast!“
Ich fischte sie aus der Tasche und reichte sie ihr. „Nachher kaufen wir einen richtig peppigen Ordner dafür, im Uni-Lädle , da gibt´s immer noch die schönsten. Irgendein Muster, das dem guten Christian das Frühstück wieder hochtreiben würde.“
Ich musste lachen. „Ja, gut. Du darfst ihn aussuchen.“
Sie überflog Blatt für Blatt und gab sie mir zurück. „Nichts Arges, du hast nicht unterschrieben, dass er Mordssummen für seinen juristischen Beistand kriegt oder dass du auf irgendwas verzichtest. Wirklich nur das, was er gesagt hat. Ich glaube, der ist in Ordnung.“
„Denke ich auch. Ich meine, wenn er krumme Touren reiten würde, müsste er in dem Alter doch eine schickere Kanzlei haben, oder?“
„Stimmt. Bei Christian war es wohl eleganter?“
„Im Allerheiligsten schon. Das Vorzimmer kam mir sehr bekannt vor, ich hatte sogar unsere Ordner – Christians Ordner – genauso beschriftet.“
„Je mehr ich über deinen Christian höre, desto unsympathischer wird er mir“, antwortete Cora, „der hat wirklich an allem gespart, nur nicht an sich selbst, oder?“ Da hatte sie leider Recht.
Die nächsten Tage brauchte ich dringend, um zu verarbeiten, was ich am Montag erfahren hatte. Immer wieder las ich mir alles durch, was nun in einem zauberhaften, rundherum mit einer tropischen Strandszenerie bedruckten Ordner steckte – meine Kopie des Testaments, die Dokumente, die ich bei Antrack unterschrieben hatte, den Zettel mit dem Notartermin am Donnerstagnachmittag. Gründonnerstag – grün ist die Hoffnung – vielleicht wurde ja doch alles wieder gut? Alberne Assoziationskette, schalt ich mich selbst, aber tatsächlich fühlte ich mich langsam ein wenig besser. Ich war zwar immer noch wütend auf Christian, der mich genau genommen ja nur verarscht hatte, und auf mich selbst, weil ich so ein Schaf gewesen war, aber meine Existenz war nun doch nicht mehr ganz so zu Staub zerfallen wie noch am Freitagmorgen – ich hatte bald wieder eine Wohnung, egal, wie sie aussah, und außerdem einen Job in Aussicht. Natürlich war Ablage der höhere Stumpfsinn, aber sie zahlten so schlecht nicht.
Für den Anfang konnte ich also ganz zufrieden sein. Diese entspannte Stimmung hielt bis Mittwochnachmittag vor.
Am Vormittag war die Post gekommen und ich hatte sie routinemäßig sortiert – alles für Cora, bis auf einen braunen DIN-A-5-Umschlag, der an mich adressiert war. Ich hatte ihn sofort geöffnet – eine Postkarte meiner Cousine: Frohe Ostern! Die Abbildung zeigte ihre vier festlich gewandeten Kinder, jedes mit einem Schokohasen in der Hand. Nett, ich sollte ihr auch noch schnell eine Osterkarte schicken. Außerdem fand ich in dem Umschlag meine Lohnsteuerkarte, Gehalt und Abzüge waren akribisch bis zum 21. März inklusive ausgerechnet, und ein Zeugnis, das mir recht gut klang. Ich hatte doch gewusst, dass er keine derartige Ratte sein konnte!
Den Umschlag drehte und wendete ich, aber ich fand keine persönliche Bemerkung, nichts Handschriftliches oder wenigstens gute Wünsche für die Zukunft, von einer Entschuldigung oder Das ist alles blöd gelaufen ganz zu schweigen. Völlig kommentarlos, aber immerhin hatte ich meine Lohnsteuerkarte und mein Zeugnis. Ich heftete alles ordentlich ab und ging dann eine Osterkarte für Irma kaufen. Hatte das Wetter eigentlich nicht schöner werden sollen? Viel merkte man nicht, der Himmel war immer noch dicht bezogen. Ich kaufte mir als zu allererst einen Schirm, sicherheitshalber. Ein quietschgelbes Stück für fünf Euro im Drogeriemarkt. Mein alter war schöner gewesen, englischer, aber das war jetzt auch schon egal. Unter einem sonnig gelben Schirm hatte man doch gleich viel bessere Laune! Im Uni-Lädle ging es furchtbar zu. Ich drängte mich zu den Osterkarten durch und fand eine wirklich nette, ein ganz putziges und kindgerechtes Hasenfoto, das man hinterher in Puzzleteile zerlegen konnte. Da hatten die Kinder doch gleich etwas zu spielen, während Irma den Lammbraten begoss oder was immer eine vierfache Mutter an Ostern zu tun hatte!
Zufrieden reihte ich mich in die Schlange ein und nahm im Vorübergehen gleich noch einen geeigneten Filzschreiber mit. Die anderen Kunden sahen furchtbar jung aus – lauter Erstsemester? Ich merkte schnell, dass sie sich um Scheinformulare und das Heftchen anstellten, mit denen das Historische und das Literaturwissenschaftliche Institut ihre Veranstaltungen für das Sommersemester ankündigten. Außerdem gingen Schnellhefter sehr gut, also waren offenbar viele Seminararbeiten in Entstehung begriffen.
Ich überlegte, was ich auf die Puzzlekarte schreiben sollte – einfach Frohe Ostern für Irma, Wolfgang, Niko, Tanja, Susi und Tommy ? Warum nicht, Irma hatte sicher nicht damit gerechnet, dass ich noch alle Namen im Kopf hatte. Und auf den Umschlag konnte ich hinten meine neue Adresse schreiben! Zum ersten Mal! Sophienstraße 12 – das klang gut. Nicht unbedingt besser als Philippinengasse 26 – oder doch? Es klang nach alter Villa, Gasse dagegen hörte sich nach windschiefer Altstadt und lichtloser enger Straße an. Irma war nicht hier aufgewachsen und konnte nicht wissen, wie elegant unsere Altstadtgassen renoviert worden waren.
Ich zahlte und drängte mich zwischen Witzpostkartenständern wieder nach draußen. Bei Horizont hatten sie bunte Jeans im Fenster. Sollte ich? So arm war ich doch gar nicht, oder? Entschlossen stieß ich die Tür auf und ließ mir lässig gelbe und feuerrote Jeans in Dreißig heraussuchen.
In der Kabine kämpfte ich ein bisschen, aber beide passten gut und waren echte Sonderangebote, nur neununddreißig Euro. Da konnte ich mir auch noch diesen Drehständer mit Blazern anschauen... Der dunkelblaue und der graumelierte mit den Lederknöpfen sahen gut aus und waren mit fünfzig Euro auch nicht teuer. Ich schlug zu; mit einem Blazer sahen auch Jeans ziemlich ordentlich aus, also hatte ich nun genügend anständige Arbeitskleidung. In Tweedkostüm und Pumps die Ablage zu machen, erschien mir dann doch leicht übertrieben, so etwas fand außer Christian bestimmt niemand gut. Mit meiner großen Tüte schaute ich dann doch noch einmal bei meiner künftigen Wohnung vorbei. Die Fenster müsste man mal putzen, stellte ich fest und betrachtete die hübsch gegliederte Fassade, aber die Fensterrahmen sahen neu aus. Kunststoff in Holzoptik? Oder wirkliches Holz? Holz war authentischer, aber es musste eben immer wieder mal gestrichen werden.
Sechs Zimmer – wie sollte ich jemals sechs Zimmer bewohnen? Na gut, fünf, eines hatte ja dieser Untermieter. Seit Jahren hatte ich überhaupt kein eigenes Zimmer mehr gehabt; Cora hatte ganz recht, ich war Aschenputtel, das seinen Laptop scheu nach dem Kochen und Abspülen in der Küche aufklappte und peinlich genau darauf achtete, nicht mehr als ein Schrankabteil zu belegen, damit die schicken Anzüge des hohen Herrn nicht verknitterten. Schön blöd!
Ein Mann trat aus der Tür zum Treppenhaus und trug zwei volle Plastiktüten in Richtung Hinterhaus. Dort standen wohl die Müllcontainer? Ich studierte das Klingelschild, um festzustellen, wie viele Parteien überhaupt in diesem Haus wohnten. Im Vorderhaus offenbar acht, je zwei pro Etage. Im zweiten Stock ein Rechtsanwalt, der die Wohnung neben seiner als Kanzlei nutzte, im dritten Stock eine WG und ein Professor, im vierten Stück links ein Paar, den beiden Namen nach, und rechts jemand namens Krzywalski. Ob das der Typ von eben war?
Jetzt kam er wieder, eine finstere Gestalt, ganz in schwarz, groß, schmal, wirre Haare und ein schwarzer Vollbart. Ich hasste Vollbärte, damit sahen die Männer so waldschratmäßig aus und man konnte ihr Mienenspiel nicht erkennen. Und durch das schwarze Gestrüpp im Gesicht sah der Kerl noch bedrohlicher aus – dem wollte ich nicht so gerne nachts auf der Straße begegnen. Mein Gesicht musste meine Gefühle wohl allzu deutlich ausgedrückt haben, jedenfalls kam der Finsterling auf mich zu. „Kann ich Ihnen helfen?“
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