1 ...6 7 8 10 11 12 ...49 „Und ich habe mir sehr unterschiedliche Psychotherapie-Methoden in jahrzehntelangen Ausbildungen angeeignet, für die ich viele Jahre mit Einsatz von sehr viel Geld und Zeit privat auf Vieles verzichtet habe. Da hatten dann Bankangestellte, die mit 18 Jahren ihre Lehre fertig hatten, schon ihr erstes Häuschen fast bezahlt, da saß ich noch auf Apfelsinenkisten. Und da soll ich mich auf die Honorarstufe mit einem Diplom Psychologen stellen, der für lächerliche 10.000 Euro, wenn es hoch kommt, eine Verhaltenstherapie-Ausbildung gemacht hat und dann eine Zulassung in Deutschland bekommt? Ich werde schon im KV-System genauso bezahlt wie ein Berufsanfänger!!! Das reicht an Demütigung! Aber doch bitte schön nicht im Bereich der Privatpatienten! Es gibt bei uns weder eine Differenzierung nach Berufsjahren, noch nach der Anzahl und Qualität und Kosten einer Ausbildung zur Aneignung von Psychotherapie - Methoden. Alle werden gleich gemacht. Können 'Scheine' machen, um ein paar Kröten für Entspannungs- oder Gruppentherapien abzurechnen. Die können aber Leute, die kein Studium oder keine Therapieausbildung haben, ebenfalls abrechnen! Also, die einzige Möglichkeit ist, eine Privatvereinbarung zu treffen und die entsprechend nach der GOP abzurechnen!”, schließe ich nun diesen unbeabsichtigten Vortrag, der mir gefühlt vorkommt, als sei er nur einen Atemzug lang, besser ein Ausatmen lang von jahrelang eingeatmeter Berufspolitik gewesen. Schiebe aber noch aus schemenhafter Erinnerung an einen STERN Artikel von vor ein paar Jahren, in dem Naturheilpraktiker und Psychiater, also Mediziner, als die wahren Experten im Bereich Psychotherapie in Deutschland vorgestellt und angepriesen wurden, nach:
„Die Krönung ist, dass viele medizinische Kollegen und auch andere Menschen nicht einmal den Unterschied zwischen Psychiate r und Diplom Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten kennen... So viel dazu, wie wir in Deutschland da stehen!“
Pause.
Ich schaue das Glas an, das vor mir auf blitzweißer Tischdecke steht. Sehe wie sich das Licht der Kerze darin spiegelt. Maria wirkt gebügelt, von dem was ich auf den Tisch lege. Schaut mich ernst an und nickt. Sie braucht eine Weile, um zu ihrer Stimme zurückzufinden.
„Ja, aber das sind doch Privatpatienten, die unterschreiben doch ein entsprechendes Anmeldeformular! Oder nicht?”, insistiert Maria und fährt fort, ihren Einsatz witternd:
„Und die Inhalte der GOP-Ziffern sind doch eingehalten. Ob die 15 in der Häufigkeit vor Gericht anerkannt wird, muss man abwarten... Wenn du die entsprechend begründest.... Schließlich hast du die Abrechnungsziffern analog angesetzt...! Aber sonst...?”, ungläubig gibt sie die Gepflogenheiten der geltenden Regeln wieder, wie wir sie beide kennen.
„Wiihie ich diiich keehnne", fährt sie fort, „wirst du in Behandlungen deiner Patienten nicht schlaafen...!”, beginnt sie zu scherzen und lacht dazu. Wohl denkend, wir sind am Ende der Besprechung angelangt, obwohl wir noch gar nicht wirklich angefangen haben, zu besprechen, was es zu besprechen gibt und sie fährt infolgedessen fort:
„Von daher gesehen hast du dein Honorar schon allein deshalb verdient...! Und ganz sicher schon von deinen zahlreichen und unterschiedlichen Methoden-Ausbildungen her!”, wird sie ernster.
Ich schweige, da ich mit meinem Anliegen, Fragen in Bezug auf die GOP zu klären, emotional verhaftet bin. Nicke nur kurz ab, was sie gesagt hat und trinke einen Schluck Wasser. Maria realisiert, dass sie mich mit Scherzen oder gut gemeinten Belobigungen jetzt nicht erreichen kann. Und das Thema 'schlafen' während der Arbeit liegt nun völlig neben meinem Arbeitsstil! Aber sie gibt nicht auf:
„Ja, natürlich..., entschuldige, war vielleicht etwas dumm von mir... passt nicht so! Sorry! Aber jetzt ernsthaft: Nun, eine deiner Kolleginnen erzählte mir letztens, ihre neue Patientin habe ihr erzählt, ihr Therapeut, bei dem sie 10 Mal war, ist während der Behandlung zehn Mal eingeschlafen! Auf gut Deutsch: Alle 10 Sitzungen hat er verpennt. Dass er die Patientin an der Tür wiedererkannte, grenzt an ein Wunder! Sie beschwerte sich bei der Krankenkasse. Die zuständige Sachbearbeiterin fragte:
Haben Sie ihre Zeit mit ihm gehabt oder nicht? Na also. Was wollen Sie denn?
Was sagst du dazu?"
Ich schaue sie an, glaube erst einmal nicht, was ich höre und lache dann befreiend auf, als ich sehe, sie scherzt nicht, sondern berichtet aus dem Nähkästchen.
„Das ist doch unglaublich...!”, lache ich.
„Ich habe ja schon viel gehört, aber das schlägt dem Fass den Boden aus!”, ergänze ich.
„Jaha. Daahas giiibt eeees!”, lacht auch Maria los.
„Einfach unglaublich...", sage ich noch einmal, jetzt entspannter und schüttele den Kopf.
„Der Kollege scheint sein Honorar im Schlaf oder in der Götzendämmerung zu verdienen. Ist zumindest äußerlich nicht anwesend, in welchem entspannten Zustand auch immer...", übertreibe ich maßlos das mir zu Ohren Gekommene.
„Es hat mich wirklich sehr geärgert!”, entrüstet sich Maria, obwohl es nicht einer ihrer Kollegen war, sondern ein Kollege aus meinem Fachbereich.
„Na ja, ein Charles Lindbergh!”, lache ich und versuche den Kollegen nun meinerseits etwas aus dieser misslichen Lage heraus zu hauen:
„Ich weiß nicht, ob du weißt, dass Charles einmal zu seiner Alleinüberquerung mit seinem Flugzeug von New York nach Paris, ich glaube, es waren zwei Tage mitten im Mai 1927, berichtete, dass er irgendwann einschlief. Ihm fielen einfach die Augen zu. Er hätte nichts dagegen tun können! Aber er hätte alles mitbekommen! Zwei Tage flog er allein in seiner kleinen Maschine ohne auch nur einen Zwischenstopp zu machen! Er beschrieb diesen Schlaf als eine Art schwebenden Zustand eines Teils seines Bewusstseins, das die ganze Zeit über sehr aufmerksam gewesen sei...!”, berichtete ich diese phantastische Atlantik-Überquerung.
„Nein, das wusste ich nicht! Also von seinem Flug schon, aber nicht, wie er es fertig brachte, zwei Tage non-stop zu fliegen", sagte Maria nun doch überrascht.
„Ja, das war schon ein Wunder! Er hat auf Funkgerät und Sextant aufgrund von Gewichtsproblemen und Benzinverbrauch verzichtet und flog nur mit Armbanduhr, Karten und Kompass! Und er kam gut in Paris an! Seine Lebensgeschichte spricht all' denen zu, die auf den Zufall vertrauen, wenn sie nicht sofort dahin kommen, wo sie eigentlich hinwollten! Musst' du mal nachlesen. Ob es das Preisgeld eines Hoteliers von 25.000 Dollar war, das ihn veranlasste diesen Trip zu unternehmen, kann ich mir nicht vorstellen. Das Geld war vielleicht nur Anreiz, aber der Motor war die Herausforderung! Nun ja, nur mal so nebenbei...", beende ich immer noch begeistert von Charles Lindbergh den Bericht über ihn.
„Aber, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sachbearbeiterin bei der Krankenkasse diese Geschichte von Charles Lindbergh kennt!”, wendet Maria nun besorgt um die Brisanz ihrer Mitteilung ein.
„Nein! Das glaube ich auch nicht! Und schon gar nicht wird sie den Teil über seinen persönlichen Bericht zu seinem Schlaf und seinem Bewusstsein gelesen haben...!”, lache ich nun meinerseits und Maria stimmt ein.
„Maria", sage ich liebevoll und noch immer belustigt zu ihr, „man hört immer wieder mal das eine oder andere von Kollegen! Wie ihr auch in eurem Beruf. Und ja, ich habe auch schon erlebt wie Patienten jahrelang von Kollegen im Kreis geführt, dann zu mir in die Praxis kamen und davon berichteten, dass sie kaum einen Zentimeter in ihrem Leben wegen dessen, weshalb sie in Behandlung gingen, voran gekommen seien...! Die Frage, warum sie dann so lange bei dem Kollegen blieben, beantworteten sie damit, dass sie hofften, irgendwann käme dann doch noch der Durchbruch! Nun gut. Was willst du da noch sagen? Sie klagten jedenfalls, sie hätten immer noch die gleichen Symptome. Ich habe auch schon solche Patienten weiterbehandelt, die selbst nach 2 Jahren weder Plan noch Fortschritt hatten...! Warum da keine Fortschritte in der Psychotherapie berichtet werden konnten, kann an vielen Dingen liegen. Und ja, manche Kollegen entwickeln neue Methoden. Ich habe auch schon mal von einer neuen Methode eines Kollegen, ob er in der KV war, kann ich nun nicht mehr sagen, gehört. Dieser Psychotherapeut favorisierte, die Augen während der Behandlungen zu schließen. Aber offenbar stand bei ihm ein System, eine Überlegung dahinter, die Patienten zu Erfolg verhalf. Er hat darüber ein Buch veröffentlicht. Insofern: Diese Patientin hätte mal mit ihrem Psychotherapeuten sprechen sollen, ihn fragen sollen, warum er immer die Augen schließt! Andererseits kann es ja tatsächlich auch so sein, dass er tatsächlich geschlafen hat. Ehrlich gesagt: Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass sie keine Antwort von ihm bekommen hätte! Wenn sie ihn gefragt haben sollte und dann kein Antwort bekommen hat, dann hat sie mit einer Beschwerde vielleicht Recht gehabt", referiere ich ein paar Gedanken, die man sich zu dieser Patientenschilderung machen könnte.
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