Schließe ich nun ab, was sich gerade im Gespräch als mitteilenswert ergeben hatte. Maria wird nun ungeduldig und schaut mich aufmunternd an. Als ich nicht reagiere, und am Wasserglas nippe, steigt die Spannung.
„Mensch, jetzt schieß mal los...“, unterbricht sie mich mit ernstem Gesicht und flatternden, dunklen Augen und ich weiß‘, sie will mehr zu meiner Geschichte mit der Patientin wissen. Ich kehre wieder zum Eigentlichen zurück, blicke sie an und beginne.
„Ja, dass ist wirklich ein Ding“, spreche ich mehr zu mir als zu Maria..., „nur vergleichbar mit der Geschichte der Frau, die über Süddeutschland in unsere Stadt aus Bulgarien kam, ziemlich viel Geld durch Prostitution verdiente und liiert war mit einem hohen Tier einer weltweit arbeitenden Firma. Er schickte sie wegen seiner perversen Gelüste auf den Strich. Zu seiner Belustigung und Verstärkung seiner Geilheit filmte er sie mit den fremden Freiern. Auch von diesen Freiern wurde sie verprügelt. Manchmal waren es Geschäftsfreunde, denen er meine Patientin zuführte, besser, zur Verfügung stellte. Sie sollte machen, was sie wollten. Er beleidigte sie zum guten Schluss, in dem er sinngemäß sagte:
Was willst du eigentlich? Du bist doch eine Professionelle? Mach‘, was die wollen, dann verprügeln sie dich auch nicht! Außerdem zahlen sie ja dafür!
Da konnte ich auch nicht mehr viel sagen! Da war ich erst einmal ruhig!“
Pause.
Wir nippen an unseren blitzenden Kristallgläsern.
„Er nahm ihr alles. Ihre Seele. Ihre Psyche. Ihren Körper. Ihr Geld, was sie in den Jahren zusammengespart hatte, ihr teures Auto, Schmuck, kurz einfach alles! Als Liebesbeweise, wie er sagte! Und dann kam der Strich, die Prostitution. Als sie zu mir kam, war sie immer noch eine schöne, junge Frau. Aber auf den geraden Weg nach unten. Der Kollege in Süddeutschland nahm den Satz 7,8-fachen Satz nach der GOÄ! Ich wusste bis dahin gar nicht, das es einen solchen Gebührensatz gibt! Dennoch: Angemessen war er!“
„Waaas?”, geht Maria erneut hoch, ihren Ohren nicht trauend, „7,8-facher Satz? Was ist das denn? Hast du mir ja gar nicht erzählt!”, setzt sie nun fast beleidigt nach.
„Ein anderes Mal....! Sie war jedenfalls eine der Patientinnen, die ich in 32 Jahren behandelte, die schamlos geworden, weil seelisch völlig am Ende, in der vierten Sitzung in das Behandlungszimmer kam und ohne zu fragen Hose und Schlüpfer herunter zog und mir zum Beweis dessen, was sie mir in der Sitzung sonst noch mitteilen wollte, ihren grün und blau geschlagenen Po entgegenstreckte. Der Anus blutete, war zerfetzt. Dann zog sie ihren Pullover hoch und zeigte mir ihre in allen Farben schillernden grünen, gelben und blauen Brüste. Ihre Worte dazu:
„So geht es mir heute....! Ich kann nicht mehr...!!!“
„Waaaaass???”, Maria japst nach Luft.
„Haaat sie iiihn aaaangezeigt?“
„Nein. Es wäre ihr Todesurteil gewesen, wie sie sagte! Sie hatte furchtbare Angst.“
Pause.
Wir schauen uns direkt in die Augen.
„Weißt du, wenn du Frauen, die in ein Frauenhaus gehen, zuhörst, weshalb sie kommen, härtest du ab. Du bist auf alles gefasst und es haut dich trotzdem vom Hocker, wenn du es hörst oder siehst, wie misshandelt und fertig mit der Welt sie ins Haus kommen. Es sind keine erfundenen Geschichten, sondern Leben, wie es jeden Tag zwischen Männern, Frauen und Kindern geschieht. Diese Erlebnisse betreffen nicht ein paar Frauen und Kinder. Es sind viele!" schiebe ich leise nach.
Schweigen.
„Sehr viele!“
Kein Ton.
„Und nun kommen immer mehr in Psychotherapien. Was ich da bisweilen höre und sehe, ist unglaublich.“
„Aber zurück zu dem jetzigen Fall“, setze ich nachdenklich wieder an, um das bleierne Grauen, das sich auf uns zu legen drohte, abzuwehren.
„Vielleicht soviel: Ich weiß gar nicht, welchen Satz ich für die Behandlung der Patientin, um die es jetzt geht, nehmen sollte, gesetzt den Fall, ich könnte es mir aussuchen. Bei dem ganzen Mist, der sich abspult und möglicherweise auch vor Gefährlichkeit strotzt, wenn die Mutter durchdreht!“
Ich greife erneut zu meinem Glas, an dem ich zuvor unentwegt den Stiel gedreht hatte, und trinke.
Die Kellnerin hat uns die Rotweingläser stehen gelassen, aus denen wir nun das Wasser trinken. Irgendetwas, das an entspannte Atmosphäre erinnert, wollte sie uns dann doch wohl am Tisch stehen lassen. Die Kerzen hatte sie auch angezündet und ein kleine Vase mit frischen Blumen wortlos und liebevoll dazugestellt.
Damals hatte ich die entsprechenden Daten meinem Rechtsanwalt zur Aufbewahrung weitergegeben. Er schloss sie in den Safe ein. Nach ein paar Jahren habe ich sie vernichten lassen. Heute weiß‘ ich nicht einmal mehr Namen. Ist auch besser so.
„Welchen Satz hast du denn berechnet?”, wittert sie misstrauisch geworden im Hinblick auf die Information, der Kollege habe den 7,8-fachen Satz berechnet.
„Den üblichen für Privatpatienten, den 3,5-fachen Satz und Zusatzpositionen, GOP 5 für das Arbeiten mit Psychodynamik, Befindlichkeiten, Veränderungen der Symptomatik durch unterschiedlich kritische Einflüsse, die die Symptomatik verschlechtern und andere Symptomabklärungen und externe Symptome, die eventuell neu auftauchen. Für Hausarbeiten, Übungen und flankierende therapeutische Maßnahmen GOP 15. Ich denke, dass ist eine Position für Mediziner gewesen, die mal über ihren Tellerrand bei einigen Patienten hinaussehen mussten, wenn sie ihre Patienten gut betreuen wollten. Weiter denke ich, diese Position ist ebenso wie die anderen einfach aus der Gebührenordnung für Ärzte, kurz GOÄ, übernommen worden. Das muss ich aber erst einmal prüfen, ob es da Formulierungsunterschiede zur GOP gibt. Müsste eigentlich der Fall sein - denn sonst hätten wir ja einfach mit der GOÄ weiter abrechnen können. Generell rechne ich analog ab. Normalerweise kann GOP 15 nur 1 Mal pro Jahr eingesetzt werden. Ich habe es anders für meinen Arbeitsstil interpretiert. Gut. Ja, also so habe ich abgerechnet", erstatte ich Maria Bericht. Versunken schaue ich mein Glas an und ergreife es schließlich, um das Wasser zu trinken. Ich nehme ein kleines Blättchen Pfefferminze und knabbere daran herum.
„Das ist mein jetziger Kenntnisstand!”, fasse ich zusammen, als setze ich einen Punkt.
Marias Gesicht entspannt sich. Sie schaut mich fragend an und ich ebenso zurück. Ich plaudere dann langsam weiter, als spräche ich zu mir selbst:
„Diese GOP hat mich in den letzten 12 Jahren nur einmal beschäftigt, nämlich damals, als ich hörte, es gäbe sie: Eine Gebührenordnung für Psychologische Psychotherapeuten für Privatpatienten, kurz GOP, wie du weißt. Dann habe ich von einem Ausbildungsinstitut für Richtlinienmethoden, also denjenigen Psychotherapie-Ausbildungen, die durch die KVen politisch und wissenschaftlich anerkannt sind, Ausführungen wegen des Verständnisses der Ziffern zugesandt bekommen. Habe mir dann meine eigenen Gedanken gemacht und mein Anmeldeformular entsprechend geschrieben und auf meinen Arbeitsstil interpretativ bezogen. Diese Mitteilung des Ausbildungsinstituts fand ich deshalb gut, weil es dazu anregte, mal den eigenen Arbeitsstil zu reflektieren und dann eben mit den GOP-Ziffern zu verbinden. Es war sozusagen, eine Alchemie, ein Stoffwechsel mit den neuen Arbeitsgrundlagen in unserem Berufsbereich. Aber sonst? Kein Gedanke an GOÄ und GOP! Ist auch klar: Denn einige Privatkrankenkassen beglichen die Rechnungen meiner Patienten ohne Probleme. Bei den anderen ergänzten Patienten, was von den Kassen nicht erstattet wurde. Was bedarf es da noch weiterer Überlegungen? Natürlich, so muss man wohl in Deutschland sagen, weil Vieles offenbar mit Bedacht nicht geregelt wird, damit dem Wettbewerb auch die nötige Freiheit gegeben wird und Leistungen zu steigern“, setze ich nicht ohne Betonung hinzu, „aber gesteigert wird damit die Niedertracht und meiner Ansicht nach auch Kriminalität!“
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