Ein junges Paar machte Densen bereitwillig Platz und er trat an das hölzerne Brett, das den Tresen improvisierte. Er zog einen Imperial aus seinem Münzbeutel und reichte ihn dem Mann, der ihm lächelnd einen Fleischspieß reichte. „Vorsicht, junger Mann, es ist heiß.“
Der Mann hatte nicht übertrieben. Densen verbrannte sich fast die Lippen, als er in den ersten Brocken beißen wollte. Hastig blies er Luft an das Fleisch, während der Koch neugierig die kleine Münze anstarrte. „Das ist kein imperiales Schüsselchen, Herr.“
„Ist es“, bestätigte Densen und lächelte. „Aber jetzt werden die Imperials nicht mehr mit einem Hammer geschlagen, sondern mit Dampfkraft geprägt. Dadurch sind sie jetzt flach und nicht mehr gewölbt.“
„Aha.“ Der Mann zuckte die Achseln. „Nun, es ist Gold und es trägt das imperiale Wappen. So wird es auch ein Imperial sein.“
Das Fleisch war nun ein wenig abgekühlt und Densen zupfte mit den Zähnen daran. Seine Augen weiteten sich überrascht und der Koch grinste breit. „So etwas habt ihr in Newam sicher noch nie gegessen, nicht wahr?“ Der Mann wies hinter sich, zu den Regalen, in denen Töpfe und Tiegel standen. „Bestes Rindfleisch, aber das habt ihr hier ja auch. Das Geheimnis ist die Würze. Wildkräuter und Honig aus den Stachelbeeren, die in den unteren Bergregionen zu finden sind. Und nur dort, mein Herr. Dieser Honig gibt den typischen Geschmack. Scharf und zugleich süß.“
Densen nickte. „Es ist wirklich ausgezeichnet. Gib mir einen Becher Wasser dazu. Der Honig mag süß sein, aber die Schärfe der Kräuter hat es in sich.“
Der Mann lachte gutmütig und füllte einen Tonbecher mit klarem Wasser. „Die meisten trinken Gerstensaft oder Wein dazu.“ Er beugte sich ein wenig vor und sah den Hauptmann verschwörerisch an. „Offen gesagt, ich selbst nehme auch Wasser. Alles andere würde den Geschmack der Würze nur verfälschen.“
„Hast du die weite Reise, aus Endan nach Newam, nur wegen des Verkaufs deines Fleisches gemacht?“
Der Koch lachte amüsiert. „Sicher nicht. Aber meine Frau, das gute Weib, wollte unbedingt einmal die Stadt des Kaisers sehen. Einmal in das Zentrum des Imperiums. Gütige Götter, wie oft hat sie mir damit in den Ohren gelegen. Glaube mir, junger Mann, nichts gegen eure Stadt, sie ist sehr hübsch. Aber es gibt viele Städte, wenn auch vielleicht nicht so groß, wie die eure. Ich habe meiner Frau gesagt, lass uns nach Kentara oder Dorma reisen, meinetwegen auch nach Leondara, aber nein, es musste Newam sein.“ Er seufzte leise. „Glaube mir, junger Mann, so eine Reise kostet einige Imperial. Wirklich, das tut sie. Nun, ich koche recht gerne und so habe ich das Angenehme meiner Frau mit dem Nützlichen für mich verbunden.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Offen gesagt, sie ist eine gute Frau, aber eine lausige Köchin.“
Einer der Männer an dem einfachen Tresen gab dem Koch einen Wink. „Gib mir noch so einen Spieß. Du hast übrigens Glück, dass ihr heute in Newam seid. Der große Otwaga wird heute seine Vorstellung geben. Ein unvergleichliches Erlebnis. Da habt ihr zu Hause einiges zu erzählen.“
Irgendwo hatte Densen den Namen schon einmal gehört und überlegte. Der Koch aus der Provinz kam ihm zuvor. „Otwanga? Wer soll das sein?“
„Otwaga“, korrigierte der Einwohner Newams. „Einer der Hochgeborenen Newams. Nun ja, eigentlich kommt er aus Azamon und ist nur zugereist. Kein Einheimischer, ihr versteht? Er schreibt Stücke für die Schausteller. Hält sich für einen großen Poeten.“ Der Mann lachte spöttisch. „Eigentlich ist er ein Idiot, denn er meint seine Stücke ernst. Dabei sind sie ausgesprochen vergnüglich und alle lachen über sie. Otwaga war anfangs erbost, weil man sein Talent nicht erkennen wollte, aber nachdem seine Stücke inzwischen auch bei anderen Hochgeborenen ankommen, sonnt er sich in deren Anerkennung.“
Fröhliches Gelächter brandete auf. Offensichtlich kannten die meisten der Umstehenden Otwaga. Densen hörte ein leises Hüsteln hinter sich und wandte sich um. Überrascht erkannte er einen der Federträger. Der imperiale Leibgardist sah seinen Hauptmann nervös an. „Verzeih, Hauptmann Jolas, aber du wirst sofort im Palast gebraucht.“
Der Gardist war in Begleitung einer zweiten Wache, die ebenso unruhig wirkte. Densen sah, dass der andere Mann seine Hand nervös um den Schwertgriff gelegt hatte. Er nickte den beiden Männern zu. „Ich komme mit euch, Männer.“ Er nickte den Umstehenden freundlich zu. „Ich werde wohl nicht in den Genuss kommen, Otwagas Stück anzusehen. Aber ich hoffe, ihr lasst mir etwas von dem Fleisch für später übrig.“
Die beiden imperialen Leibgardisten hielten sich einen Schritt hinter Densen, wie es der Rang ihres Vorgesetzten verlangte. Der Hauptmann wandte sich halb um. „Also gut, Hermen, ich sehe, du bist nervös. Was geht im Palast vor sich?“
„Es ist der Kaiser“, stieß der Gardist hervor und man sah ihm an, wie betroffen er war. „Ihre Imperialität… Der Kaiser… Er ist tot.“
Kapitel 5 Die Hüterin des Eis
Die Raan erhob sich auf einen Hinterlauf, gab ihrem Körper mit dem Schwanz eine Drehbewegung und führte mit dem anderen Hinterlauf eine kreisförmige Bewegung aus. Die fast dreißig Zentimeter lange, sichelförmige Kampfkralle traf den weichen Unterleib des anderen Weibchens, das zu langsam reagierte. Die Kralle war dick gepolstert, sonst hätte die Getroffene eine tödliche Verletzung erlitten. Auch so war der Treffer schmerzhaft genug und das Weibchen maunzte schrill, während sein Körper gegen die Wand der Übungskammer geworfen wurde.
„Zu langsam“, stellte die Kriegerin fest und bleckte ihre Reißzähne. „Du bist immer zu langsam.“
Die Getroffene richtete sich auf und ignorierte den Schmerz, den sie spürte. „Du hat gesagt, wir übten den Schädelkampf. Du hast aber die Kralle genommen, Hüterin.“
Nadaii-Sha, die Hüterin des Geleges der Sha, lachte pfeifend. „Meinst du, ein Feind würde dir mitteilen, wo er dich angreifen will?“ Sie bleckte spöttisch ihre Lefzen. „Im Kampf musst du immer mit dem Unerwarteten rechnen, Kriegerin. Also beschwere dich nicht, sondern lerne, auf den Feind zu reagieren.“
Der Übungsraum befand sich in der unteren Ebene des Stadtkegels, in direkter Nähe zu den beiden Toren des Geleges. Gaben die Wachen Alarm, konnten die übenden Kriegerinnen sofort in den Kampf eingreifen. Der Raum hatte die Abmessungen einer großen Halle und der Innenraum war mit Säulen unterteilt. Der Boden war dick mit Sand bestreut, um die Klauen zu schonen und gelegentlich fließendes Blut aufzunehmen. Nadaii-Sha, die Kommandantin der Kriegerinnen und somit Hüterin des Eis, legte Wert auf realistische Übungen und duldete nur die notwendigsten Polsterungen. Das ging nicht ohne Verletzungen ab, aber Nadaii wollte, dass ihre Klauen, wie man die Truppen der Gelege nannte, auf alles vorbereitet waren.
Einige Hundert Kriegerinnen übten in der Halle und es war nicht die einzige des Geleges. In einer anderen wurde mit den Rüstungen und Waffen geübt, welche die Sha-Männchen in den Schmieden herstellten. Die Rüstungen waren eher bescheiden, denn die Weibchen schätzten es nicht, wenn sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden. Auch wenn sie inzwischen Wurflanzen und Schleuderkugeln benutzten, setzten sie bevorzugt die scharfen, dolchartigen Zähne und die tödlichen Klauen der Hinterbeine ein. Ihr metallener Körperschutz beschränkte sich daher auf einen kurzen Brustschild und einen Augenschutz, der die natürlichen Knochenwülste über den Augen verstärkte.
Nadaii war eine außergewöhnlich große Raan, aber das war auch kein Wunder, denn sie war aus einem außergewöhnlich großen Ei geboren worden. Schon früh hatte sie sich als exzellente Kämpferin erwiesen und zunächst eine einzelne Klaue aus zweihundert Kriegerinnen geführt. Die Erstürmung des Dorsa-Geleges war ihr Verdienst und hatte ihr das Kommando über alle Klauen der Sha eingetragen. Nadaii war es irgendwie gelungen, sich die Alarmrutsche des feindlichen Geleges hinaufzuarbeiten und hatte, während man in den unteren Ebenen um den Besitz der Gelegetore kämpfte, die Mutter des Dorsa-Geleges in deren oberen Räumen getötet.
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