Der andere nickte. „Zudem ist es keine schlechte Werbung für unseren Laden, wenn der Hauptmann der imperialen Leibgarde unseren Gürtel trägt, nicht wahr?“
Densen Jolas leckte sich zögernd über die Lippen. In diesem Gürtel steckten eine Menge Zeit und Arbeit. Ein guter Verdienst für die beiden Männer, der ihnen entging, wenn er das Geschenk annahm. Er war in einer Zwickmühle. Verweigerte er die Annahme, fühlte sich der Veteran vielleicht verletzt, gab er ihm Geld dafür, dann fühlte er sich zu Recht beleidigt.
Densen nickte zögernd. „Gut, ich will ihn gerne nehmen und in Ehren tragen. Aber ich knüpfe eine Bedingung daran. Macht mir eine dazu passende Scheide für mein Schwert.“
Der Veteran nickte erfreut. „Das mache ich gerne, Hauptmann. Bring mir dein Schwert vorbei, damit ich die Maße nehmen kann, und ich werde die Scheide danach fertigen.“
„Dann ist es so beschlossen“, stimmte Densen zu. Die Scheide war eine Auftragsarbeit und er würde den Männern gutes Geld dafür geben. So konnte er sie auch für den Gürtel entlohnen und sie alle konnten dabei ihr Gesicht wahren.
Während Densen seinen alten Gürtel öffnete und den neuen anlegte, blickte Numes die Straße entlang. „Willst du zum Markt hinunter, Hauptmann? Dann gib Acht, es sind einige Beutelschneider in der Stadt, wie ich hörte. Zwar streifen die Federträger umher, aber die langen Finger wissen ihre Nähe zu meiden.“
„Sind ja auch nicht zu übersehen“, brummte der andere Mann und nahm ein unbearbeitetes Stück Leder aus dem Korb, der zwischen ihnen stand.
„Ich werde an euren Rat denken“, versicherte Densen. Er befestigte seinen Geldbeutel an dem neuen Gürtel, nickte den Männern nochmals zum Abschied zu und ging weiter die Straße entlang.
Aus einer kleinen Querstraße hörte er leises Zischen und Stampfen. Dort befand sich eine der Schmieden. Sie musste einem wohlhabenden Mann gehören, denn die Geräusche stammten offensichtlich von einer der neuartigen Dampfmaschinen. Erst vor zwei Jahren hatte man entdeckt, wie man aus Dampf die Kraft zum Antrieb von Werkzeugen gewinnen konnte. Inzwischen gab es einige der lärmenden Maschinen in der Stadt. Sie wurden dort nutzbringend eingesetzt, wo es nicht auf die Feinheiten des Handwerks ankam, sondern auf rasche Massenproduktion und große Kraft. In den Dampfschmieden wurden einfache Geräte für die Landwirtschaft, Kessel und Pfannen für die Küchen und Rüstungsteile für die imperialen Truppen hergestellt.
Eine Horde fröhlicher Kinder strömte an Densen vorbei und stieß ihn an. Den aufgeregten Rufen konnte er entnehmen, dass auf dem Marktplatz von Alt-Newam eine Schaustellertruppe eingetroffen war. Sie würden magische Zaubereien und Akrobatik bieten und wahrscheinlich auch eines der Bühnenstücke, die beim Volk immer beliebter wurden.
Seit vielen Jahren gab es Gruppen, die, in verschiedensten Kostümen und Rollen, Geschichten aus dem einfachen Volk erzählten. Einfache Geschichten von Liebe und Leid, die bei den Menschen gut ankamen, zumal am Ende das Liebespaar stets zueinanderfand. Auch die Hochgeborenen schätzten diese Stücke, obwohl sie die Schausteller als gewöhnliches Volk bezeichneten, das ohne Kunstverstand und Poesie sei. Densen wusste jedoch, dass viele Hochgeborene sich ein Vergnügen daraus machten, die Stücke des Volkes in ihren Häusern mit Puppen nachzustellen. Die Bühne eines Marktplatzes wurde dann durch einen hölzernen Rahmen mit Vorhang ersetzt. Im letzten Jahr war herausgekommen, dass sogar einer der Hochgeborenen Stücke für die Schausteller schrieb. Zunächst ein Skandal in der hochgeborenen Gesellschaft, entpuppte sich diese Erkenntnis inzwischen als Durchbruch, denn die vornehmen Häuser akzeptierten zunehmend die Schaustellerei. Es gab sogar Gerüchte in Newam, der Imperator wolle ein Schauspielhaus errichten lassen, damit man die Darbietungen bei jedem Wetter und jeder Jahreszeit erleben könne. Densen wusste, dass dieses Gerücht falsch war. Der Kaiser war kein Freund verkleideter Männer und Frauen und schätzte allenfalls die Akrobatik, die manche Schausteller boten.
Er hörte die Fahrgeräusche einer leichten Kutsche hinter sich und trat instinktiv zur Seite, als der Kutscher einen Warnruf ausstieß. Eine blau lackierte Kutsche, von einem Einhorn gezogen, ratterte an ihm vorbei.
Densen empfand Scham, dass ein Einhorn zu solcher Arbeit erniedrigt wurde. Die Tiere waren dazu geboren, sich in Freiheit zu bewegen oder an die Seite des Menschen zu treten, aber nicht dazu, sich ihm als Arbeitstier unterzuordnen. Dieses Einhorn war sicher nicht reinrassig und auch nicht wild gefangen worden, sonst wäre es lieber gestorben, als sich vor einen Wagen schirren zu lassen. Densen und die meisten Lanzenreiter waren sich darin einig, dass die Einhörner weit mehr als nur Tiere waren und jeder, der mit ihnen eine mentale Bindung einging, schloss sich ihrer Meinung an. Auch der Kaiser empfand viel für sie. Für den Imperator war sein „Sturmwind“ ein wirklicher Weggefährte.
„Sie werden alt, unsere vierbeinigen Freunde“, hatte der Imperator einmal zu Densen gesagt. „Viel älter, als wir Menschen es uns erträumen lassen. Ich spüre die enge Bindung zwischen Sturmwind und mir, und ich frage mich, was aus ihm werden wird, wenn ich einmal nicht mehr bin.“
„Er wird keinen anderen Reiter akzeptieren“, hatte Densen Jolas erwidert. „Er wird um Euch trauern, Eure Imperialität, und er wird von den Lanzenreitern sein Ehrenfutter erhalten. Solange, bis er Euch eines Tages folgt und ihr wieder vereint seid.“
Donderem-Vob hatte Densen traurig angesehen und dabei das Horn seines Reittieres sanft berührt. „So mag es sein, Densen, mein Freund.“ Der Imperator hatte ihn gemustert, mit einem langen, forschenden Blick, und nach einer Weile nachdenklich genickt. „Sturmwind würde dich akzeptieren, mein Freund. Eines Tages, wenn ich zu meinen Ahnen gegangen bin, dann wünsche ich, dass du sein Horn berührst. Dann wird sich weisen, wie Sturmwind sich entscheidet. Wirst du das für mich und Sturmwind tun, Densen Jolas? Ich sage dies nicht als dein Kaiser und Vorgesetzter, sondern ich bitte dich als Kampfgefährte und Freund um diesen Dienst.“
Densen wusste, welche Verantwortung dies für ihn bedeutete, aber er hatte nicht gezögert. „So sei es beschlossen, Eure Imperialität.“
Die Kutsche entschwand Densens Blicken und seine Gedanken kehrten aus fernen Tagen in die Gegenwart zurück. Eher unbewusst spuckte er auf das Straßenpflaster. Wem immer diese Kutsche gehörte, er stammte aus vornehmem Haus und hatte niemals das Horn eines Einhorns berührt.
Der Anblick hatte seine Stimmung getrübt und Densen schlenderte automatisch die Straße entlang, achtete kaum auf die Menschen, die ihm begegneten und deren Anzahl konstant wuchs, je näher er dem Marktplatz kam. Er schreckte erst aus seinen Gedanken, als er erneut angestoßen wurde und erkannte, dass er den Markt fast erreicht hatte.
Der Duft gebratenen Fleisches, heiß und scharf gewürzt, drang an seine Nase und er spürte den Hunger, der sich plötzlich in ihm ausbreitete. Er folgte dem lockenden Geruch und der Stimme des Koches, der seine Mahlzeiten anpries, zu einem der kleinen Stände. Die Webart des Stoffes und seine Farben verrieten, dass der Besitzer aus der Provinz Endan stammte. Ein einfacher Mann, in der schlichten Kleidung eines Dörflers und Densen fragte sich, was den Mann bewogen haben mochte, den weiten Weg aus seiner Provinz in die Hauptstadt zu nehmen.
Der Mann bemerkte Densen und drehte dabei einige Spieße, auf denen sich ansehnliche Fleischstücke befanden, von denen die Verlockung aufstieg. „Komm nur näher, junger Mann. Bei mir wirst du nur das beste Fleisch erhalten und die beste Würze. Große Portionen, zu kleinen Preisen. Nur einen Imperial, junger Mann. Komm und koste.“
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