Felipe schlug sich vor Frust mit der Faust aufs Knie. Was würde er in einem normalen Mordfall zuerst machen? Was hat er in der Polizeischule gelernt? Normalerweise würde er als erstes den Tatort begehen, einen Blick auf die Leiche werfen. Die Spurensicherung würde den Tatort untersuchen und Spuren sichern. Das waren die ersten und wichtigsten Punkte einer Untersuchung. Die fielen vorerst aus! Denn Felipe war ja nicht in Igoschetsien! Felipe würde normalerweise eventuelle Zeugen über den Tathergang befragen. Das fiel auch erstmal aus! Die waren auch in Igoschetsien! Felipe schniefte durch die Nase und schüttelte den Kopf.
Fassen wir zusammen!, sinnierte er weiter. Was haben wir? NICHTS!!! Blödsinn!! Was haben wir wo wir ansetzen können? Der Papst wurde bei einem Attentat erschossen. Ergo, irgendwo im Leben des Papstes musste es ein faules Ei gegeben haben, was ihm letztendlich den gewaltsamen Tod beschert hat. Es gab Feinde im Leben des Papstes!, das wusste er schon von Kardinal Holzenberg. Welcher dieser Feinde musste einen solchen Hass auf den Papst gehegt haben, um ihn gleich zu töten oder töten zu lassen?
Dieses faule Ei musste Felipe finden! Bis dahin würde jeder der von Felipe befragt wird als verdächtig eingestuft werden! Selbstverständlich würde er das nicht Kardinal Holzenberg erzählen! Im Moment war dieser Mann sein Schlüssel in hoffentlich alle Bereiche des Vatikans!
Jetzt stand für Felipe fest, dass er unter diesen Umständen etwas über den Menschen Papst in Erfahrung bringen musste. Wie war er wirklich? Was waren seine Stärken, was seine Schwächen? Was hielten die anderen Bewohner des Vatikans von ihm? Gab es Vertrauenspersonen des Papstes, wie zum Beispiel einen Butler, einen Sekretär oder ein einfaches Dienstmädchen? Felipe wusste ja nicht wie es bei Päpsten zu Hause so ablief!
Na endlich! Langsam bildet sich aus meinen Gedanken ein verschwommenes Gebilde, was man schon beinahe als Strategie bezeichnen könnte!
Als erstes wollte sich Felipe ganz harmlos den Vatikan zeigen lassen, insbesondere die Privaträume des Papstes. Vielleicht traf er ja dort die eine oder andere Vertrauensperson des Papstes, die Felipe in ein scheinbar harmloses Gespräch verwickeln könnte. Er würde auch das Büro des Papstes, wenn es denn so was gab, inspizieren wollen. Manchmal gab es ja dort Unterlagen aus denen er schlau werden könnte.
Auf keinen Fall durfte Felipe den Personenschutz des Papstes unbefragt lassen. Kaum einer kam dem Papst näher als sein oder seine Personenschützer. Wer waren die Personenschützer überhaupt? Waren das welche von der Schweizergarde oder ein besonderer Dienst für sich?
Doch schon recht bald musste Felipe nach Igoschetsien, die noch vorhandenen Spuren auswerten, solange sie noch warm waren. Das stand für ihn fest. Er musste ebenso einen Blick auf die Leiche des Papstes werfen. Das Aussehen der Verletzungen ließ oftmals Schlüsse auf den Tathergang zu.
Der Busfahrer sagte die vorletzte Station vor Felipes Ausstieg an.
Na siehst Du! Jetzt hast Du schon einen richtigen kleinen Plan! , dachte sich Felipe, lehnte sich zurück und konnte sich dabei ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Er stand nicht mehr so ganz ohne was da!
Nun war er doch schon recht gespannt und aufgeregt auf seinen ersten Arbeitstag. Jetzt wo er sich so was wie eine Strategie über sein weiteres Vorgehen zurechtgelegt hatte, war die größte Unsicherheit oder Scheu verflogen.
Wenn es etwas gab, was Felipe hasste, dann war es die Vorstellung plan- und ziellos durch die Gegend zu laufen. Um dies zu vermeiden war er immer bestrebt sein Leben so halbwegs durchzuplanen. Viele deuteten dies als penibel, pingelig oder kleinkariert. Felipe sah das natürlich ganz anders! Er selbst fand zum Beispiel, kein guter Hausmann zu sein. Auch machte die Ordnung auf seinem Schreibtisch nicht allzu viel her.
Der Bus hatte die vorletzte Station passiert. Gleich musste Felipe raus. Er stand schon mal auf und begab sich nach hinten zur Ausgangstür. Er drückte den Signalknopf für den Busfahrer und sprang, kaum dass sich die Tür geöffnet hatte, die Aktentasche in der Hand, aus dem Bus. Da er der Einzige war, der ausstieg und auch keine Leute einstiegen, fuhr der Bus auch sogleich weiter.
Felipe stand nun da und atmete tief durch. Die Luft war um diese Zeit einfach nur herrlich frisch! Zügig ging er los und erreichte bald das Portal zum Petersplatz. Kaum hatte er die Grenze zum Vatikan überschritten, wurde er auch schon von den ersten Überwachungskameras eingefangen. Felipe machte sich einen Spaß und winkte freundlich in die Objektive der Geräte, obgleich er wusste, dass in den seltensten Fällen jemand permanent im dazu gehörenden Kontrollraum saß und alle Monitore überwachte.
Zügig überschritt Felipe den Petersplatz in Richtung sixtinische Kapelle, wo er sich um Punkt 7.45 Uhr mit Kardinal Holzenberg treffen wollte. Es war inzwischen schon 7.38 Uhr, wie Felipe mit einem Blick auf sein Smartphone feststellte. Da er lieber fünf Minuten früher da sein wollte als exakt pünktlich, erhöhte er seine Geschwindigkeit und rannte schon fast über den Petersplatz. Er hatte keinen Blick für die Taubenschwärme, die sich auf dem großen Platz tummelten und, durch seine Eile aufgescheucht, davon flogen.
Genau um 7.40 Uhr hatte er sein Ziel erreicht, blieb vor dem Eingang des alten Gebäudes stehen und atmete erneut tief durch. Er richtete seinen Dienstanzug her und schaute sich um.
Die Sonne stand knapp über dem Hauptportal zum Petersplatz und erfüllte diesen mit ihren warmen Strahlen. Vielleicht waren deshalb so viele Tauben anzutreffen, weil sie die Energie der morgendlichen Sonnenstrahlen tankten?
Sein Blick schweifte weiter zum Palast, in dem der Papst zu wohnen pflegte. Felipe fand, dass dieser Palast bis auf seine Größe ein eher schlichter Bau mit wenig Prunk und Pomp war. Er wusste nicht zu sagen wo genau der Wohnbereich des Papstes war. Er hat sich einfach nie mit diesem Thema beschäftigt! Doch konnte er sich auch nicht vorstellen, dass ein Mensch allein ein so riesiges Gebäude bewohnen konnte!
Weiter schweifte sein Blick zum alles überragenden, ehrfurchtgebietenden, alles in den Schatten stellenden, gigantischen Petersdom, als wäre er der Nabel der Welt! Vielleicht wurde dieser Eindruck ja auch mit dessen Erbau bezweckt? Noch heute wollte man am liebsten ehrfurchtsvoll, allein wegen der technischen Meisterleistung der damaligen Zeit, in die Knie gehen. Wie musste es da erst einem streng gläubigen Katholiken ergehen?
Felipe nahm seine Aktentasche in die andere Hand. Nicht dass sie irgendwie schwer war! Heute war bis auf ein paar Sandwichs, ein paar Stifte, ein Schreibblock und seine Unterlagen für die vatikanische Verwaltung nichts in ihr enthalten. Er nahm immer seine Aktentasche mit zur Arbeit. Sie hat ihn schon durch die letzten drei Jahre seiner Schulzeit, durch seine Polizeischulzeit und durch sein bisheriges noch junges Arbeitsleben begleitet. Felipe hatte sie schon fast lieb gewonnen und wollte sich nur ungern von ihr trennen. Er hatte sie immer dabei, ob er sie nun brauchte oder nicht!
Ein Blick auf sein Smartphone verriet ihm dass es bereits 7.46 Uhr war.
Na ja! Besser mein Chef ist zu spät als ich!
Felipe glaubte Kardinal Holzenberg als seinen Chef bezeichnen zu dürfen. Immerhin hatte der ihn ja auch eingestellt!
Er drehte sich um, mit der Absicht sich das Gebäude hinter ihm genauer anzuschauen, als er von weitem, hinter seinem Rücken, ein Fahrzeug nahen hörte. Er drehte sich erneut um. Eine große schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben, ein Mercedes älteren Baujahres, rollte, aus Richtung Papstpalast kommend, auf ihn zu.
Das wird er wohl sein! , dachte sich Felipe und lief die paar Stufen vom Portal hinunter auf den Platz. Der Wagen hielt an und ein Chauffeur stieg aus. In schwarzem Anzug mit einer schwarzen Schirmmütze auf dem Kopf, bestätigte der Mann das allgemeine Klischee eines Chauffeurs. Er kam auf Felipe zu.
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