“Es tut mir leid, ich habe versagt”, kam es traurig über ihre Lippen.
“Aber nein!”, stieß nun freudig Sally hervor. “Sieh nur, ich kann wieder meine Finger bewegen und die Kälte ist auch vollkommen verschwunden. Du hast mich geheilt!”
Sally beugte sich zu ihr hinab und umarmte sie.
“Wenn du mich noch länger so drückst, werde ich die Erste sein, die du besiegt hast”, scherzte sie.
Verschämt löste sich Sally und trat einen Schritt zurück.
“Entschuldige bitte, aber meine Freude war so groß, dass ich nicht anders konnte.”
“Ist schon gut, ich freu mich ja genauso für dich. Aber wie hast du das nur gemacht? Ich spürte auf einmal das Hundertfache meiner Kraft in dir aufsteigen und dann wurde ich ohnmächtig.”
“Das muss der Kristall gewesen sein, den mir die Elfen gegeben haben. Ich habe ihn fest umschlossen und an nichts anderes gedacht, als diese Kälte aus mir zu vertreiben.”
“Was ja auch wunderbar geklappt hat”, antwortete Belonia. “Aber dann hättest du ja meine Hilfe gar nicht gebraucht, du bist mächtiger als ich.”
“Aber nein!”, beeilte sich Sally zu sagen. “Ich hätte doch gar nicht gewusst, wie ich den Zauber bannen sollte. Das mit dem Kristall war reiner Zufall. Warum er so stark auf mich reagiert weiß ich auch nicht. Das ist auch schon den Elfen aufgefallen.”
“Das kann nur bedeuten, dass du wirklich die Auserwählte bist. Du musst lernen, deine Fähigkeiten zu erkennen und diese gezielt zu nutzen. Dann haben wir eine Chance, gegen Saldera zu gewinnen. Aber nun lass uns erst mal etwas Essen gehen, du musst ja schon ganz ausgehungert sein und ich brauche auch dringend eine Stärkung. Ich hoffe, dass man deine Gefährten schon in Kürze zu uns bringen wird. Ihnen wird selbstverständlich die gleiche Gastfreundschaft, wie auch dir gewährt.”
Mit diesen Worten entfernte sich Belonia in Richtung einer Wendeltreppe und winkte, ihr zu folgen. Gehorsam schloss sie sich ihr an.
Die Treppe war mit einem Teppich ausgelegt, so dass das Gehen keine Geräusche machte und man auch nicht Gefahr lief, auszurutschen. Sally konnte sich an einem Geländer festhalten und entlang der gesamten Treppe waren weitere Szenen in Form von Bildern auf der Wand verewigt. Alle wirkten so plastisch, als wären sie lebendig.
Oben angekommen traten sie in einen großen Raum, in dessen Mitte ein großer Tisch mit vierzehn Stühlen stand. Der Tisch war mit einer Vielzahl von Speisen gedeckt.
“Dies ist der Raum, in dem ich zusammen mit den Elfen Versammlungen abhalte, wo wir Schlachtpläne schmieden oder auch uns einfach nur einmal jährlich zum Erfahrungsaustausch treffen.”
Sally ging langsam um den Tisch herum, jeden Stuhl an der Lehne ehrfurchtsvoll berührend, und blieb schließlich am Stuhl stehen, der dem Fenster am nächsten stand. Als sie hinausblickte, konnte sie die ganze Stadt überblicken.
Sie sah in weiter Ferne die Fledermäuse kreisen und die Bergtryaden auf den Feldern arbeiten. Sie sah auch noch weitere Eingänge, die dem glichen, aus dem sie in die Stadt hinunter gekommen war. Dann bemerkte sie an einem Eingang ein bisschen Trubel. Beim näheren Hinsehen dachte sie, die Gestalt Ziofottas auszumachen.
“Du hast gute Augen”, sagte da hinter ihr Belonia. “Es sind deine Gefährten, sie werden gerade zu uns geleitet. Lass uns schon einmal Platz nehmen, sie werden gleich bei uns sein.”
Belonia deutete auf einen der Stühle und nahm selbst an einer der Stirnseiten des ovalen Tisches Platz.
“Erzähl mir doch bitte mehr von dem Ort, von dem du kommst”, bat Belonia. “Man hat mir berichtet, du seiest durch blanke Willenskraft zu uns gekommen. Du musst große Zauberkräfte in dir tragen, wenn du dies vermagst.”
Sally wurde etwas unwohl zumute, fasste sich dann aber schnell und begann zu berichten:
”Es stimmt, dass ich von einer anderen Welt komme und ja, es stimmt auch, dass ich eigentlich nicht weiß, wie ich zu euch gekommen bin. Ich lag auf meinem Bett und habe geträumt und dann ist es einfach passiert, ich erwachte auf der Wiese, wo ich Elmona kennen gelernt habe.”
“Kennen gelernt ist gut”, bemerkte Belonia, “du hast ihr immerhin das Leben gerettet!”
“Aber das ist doch unabsichtlich geschehen, wenn ich auch zugeben muss, dass ich es in dem Moment sowieso versucht hätte, in dem ich erkannt hätte, dass es sich nicht um ein Insekt handelt, um das sich die Vögel streiten.”
“Vielleicht ist es ja diese Unbedarftheit, die dir letztendlich zum Sieg über Saldera verhelfen wird. Es haben schon viele vor dir versucht, aber alle sind bisher gescheitert und wurden versklavt, haben dadurch die Macht Salderas immer mehr gestärkt.”
Plötzlich hörte Sally Schritte aus der Richtung der Treppe und als sie sich umdrehte, erkannte sie Schnurz und Ziofotta, die ängstlich ihre Köpfe um die Ecke steckten. Nun konnte sie keine Macht der Welt mehr auf ihrem Stuhl halten. Sie sprang auf und stürmte ihren Freunden entgegen. Fast hätte sie Ziofotta umgerannt, so groß war ihre Freude, sie unbeschadet wiederzusehen. Sie umarmte sie herzlich und beugte sich anschließend liebevoll zu Schnurz herunter.
“Ich dachte schon, du würdest mich zu Tode trampeln.”
Schnurz brachte nur mühsam die Worte hervor und wenn man genau hinsah konnte man bemerken, das eine kleine Träne aus seinem Auge quoll. Sally aber überhörte den Unterton und nahm Schnurz liebevoll in die Hände, um ihn an ihrer Wange zu liebkosen.
“Wenn du so weitermachst, werde ich erstickt sein, bevor du uns auch nur annähernd erzählen kannst, wie du es geschafft hast, die Bergtryaden auf deine Seite zu bringen.”
Schnurz versuchte seine Gefühle zu überspielen, aber Sally bemerkte wie nah es auch ihm ging, dass ihr Irrweg durch die Stollen der Unterwelt zu einem glücklichen Ende geführt hatte.
“Wollt ihr dort den ganzen Tag herumstehen oder stellst du mir vielleicht deine Gefährten vor?”, fragte Belonia mit einem verschmitzten Lächeln.
“Entschuldige bitte, ich war so überglücklich, meine Freunde wieder zu sehen, dass ich ganz vergaß, sie dir vorzustellen.”
Sally machte ihre Freunde mit Belonia bekannt und alle setzten sich an den Tisch, Schnurz natürlich direkt neben Sallys Teller, darauf wartend, die besten Happen von ihr zu bekommen. Belonia duldete dieses Verhalten, kannte sie doch die Beschützer der Elfen sehr gut.
Nachdem Sally ihren Freunden berichtet hatte, was ihr geschehen war, ergriff Belonia das Wort.
“Liebe Sally, wie du sicherlich gehört hast, ist es bisher noch niemanden gelungen, wieder aus unserem Reich zurückzukehren.”
Alle hielten bei diesen Worten den Atem an.
“Nun, ich muss dir sagen, dass dies nicht ganz der Wahrheit entspricht. Wir treffen uns regelmäßig geheim mit den Elfen und haben das Abkommen getroffen, dass sie verbreiten sollen, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, das Reich der Bergtryaden zu verlassen. Wir haben früher häufig aus allen Teilen des Landes Besuch bekommen und trieben regen Handel. Dann tauchte Saldera auf und schloss ein Packt mit dem Herrscher der Unterwelt. Wir wissen nicht, was sie ihm versprach, aber als Gegenleistung nahm er diejenigen, die uns besuchen wollten gefangen und versklavte sie. Die Seele der Gefangenen aber schenkte er Saldera. Du hast ja selbst einige von ihnen leiden sehen, als man dich zu uns gebracht hatte. Obwohl man bemerkte, dass nicht mehr alle Besucher wieder zurückkamen, schickte man immer wieder neue Händler zu uns.
Daraufhin beschlossen wir einen kleinen Trick anzuwenden. Wir ließen durch die Elfen verbreiten, dass wir Bergtryaden selbst die Leute, die zu uns kommen gefangen halten und sie nicht wieder gehen lassen. Waren die Leute vorher bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, uns zu besuchen, vermieden sie es von nun an, dachten sie doch, sie wären hier nicht mehr willkommen.
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