“ versucht, dieses Mädchen zu sich zu ziehen, um Besitz von ihr zu ergreifen. Allerdings scheint er langsam alt zu werden, denn plötzlich stürzte die Wand ein und hätte das Mädchen fast erschlagen. Dabei schien sich seine Energie gegen ihn selbst gerichtet zu haben, denn urplötzlich war er verschwunden.”
“Wir sollten versuchen, das Mädchen zu finden. Sie könnte für etwas Abwechslung sorgen. Schon lange hat uns niemand mehr besucht.”
Eigentlich sollte Sally zu Tode erschrocken sein sollen, aber sie fühlte nichts als Neugier.
“Wenn ihr so gut Bescheid über alles wisst, könnt ihr mir ja vielleicht auch helfen, den Fluch des Bösen von mir zu nehmen!”
Sally war über ihre eigenen Worte erschrocken. Sie hatte in Gedanken zu den Bergtryaden gesprochen und augenscheinlich hatten diese sie auch verstanden, denn es wurde plötzlich wieder ganz still.
“Wer bist du?”, hörte sie eine der Drei fragen.
“Das gleiche könnte ich euch fragen!”
Ihre Worte klangen hart und herausfordernd. Sally wunderte sich über sich selbst.
“Wir sind die Wächter zum Reich der Bergtryaden und wachen darüber, dass niemand unbefugt unser Reich betritt.”
“Und ich bin Sally, die Magierin aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, auf dem Weg, die böse Saldera zu bezwingen.”
“Dann warst du es, die den Herrscher über die Unterwelt in seine Schranken verwiesen hat?!”
Sally konnte das Staunen aus den Worten heraushören.
“Natürlich war ich es!”, antwortete sie, ihre kleine Chance erkennend. “Ich habe mich auf den Weg gemacht, euch um einen kleinen Gefallen zu bitten. Wie ihr wisst, hinterlässt der Herrscher der Unterwelt seine Spuren an jedem, den er jemals berührt hat. Ich konnte ihn zwar zurückweisen, aber trotzdem hat er es geschafft, ein Teil des Bösen auf mich zu übertragen. Ich möchte euch bitten, mich von diesem Übel zu befreien, damit ich meine Aufgabe vollenden kann.”
Es herrschte kurzzeitig Stille. Dann antworteten die Bergtryaden:
”Das können wir nicht selbst entscheiden. Wie du sicherlich weißt, ist es noch niemandem gelungen, der jemals in unserem Reich war, es wieder lebend zu verlassen.”
Enttäuschung machte sich in Sally breit.
“Es ist aber bisher auch noch nie eine Magierin in unser Reich gekommen. Wir werden dich mitnehmen, damit du dein Anliegen unserer Königin vortragen kannst. Sie wird dann entscheiden, ob sie dir helfen wird.”
Ein schwacher Hoffnungsschimmer keimte in Sally auf. Vielleicht hatte sie ja doch noch eine Chance. Sie öffnete die Augen und hätte fast vor Schreck aufgeschrieen, als sie direkt vor sich die drei Bergtryaden sah.
Sie blickte in gütige weiße Gesichter mit blonden Haaren. Die schlanken Gestalten waren in weiße Gewänder gekleidet, die wie alles hier, ein mattes Leuchten ausstrahlten.
“Folge uns!”
Sally hörte zwar die Stimme in ihrem Innern, konnte jedoch nicht ausmachen, welche der drei Gestalten zu ihr sprach. Als sie sich umwandten und losgingen, folgte Sally ihnen gehorsam.
Sie gingen in die Richtung, aus der Sally gerade gekommen war, zweigten dann jedoch mehrfach scheinbar wahllos nach links oder rechts ab und kamen an eine Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. Die Stufen waren aus dem Fels gemeißelt, aber so gleichmäßig, dass es ihr leicht fiel, auf ihnen den Bergtryaden zu folgen. Längst schon hatte sie es aufgegeben, die Stufen zu zählen. Sie mussten sich schon weit unter der Erde befinden.
Dann hörte sie ein Wimmern und Schreien, allerdings aus scheinbar weiter Ferne. Je tiefer sie jedoch die Treppe hinab stiegen, um so lauter wurden die Stimmen. Als sie an einer Öffnung vorbei kamen, bemerkte Sally dahinter ein rotes Flackern. Sally blieb stehen und näherte sich der Öffnung. Sie erblickte eine große Höhle, in der zahllose Feuer brannten. Als Sally näher hinsah, bemerkte sie Gestalten, die über den Feuern angekettet waren. Ihr Herz schien stehen zu bleiben. Sie konnte quasi spüren, wie die “Menschen?” dort große Qualen litten. Eine große Wut machte sich in ihr breit. Automatisch ging ihre Hand zum Kristall und umschloss ihn. Er begann zu glühen. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, wie schon an der Wand, welche die Höhle von dieser Welt trennte. Doch plötzlich hörte sie die Bergtryaden.
“Tu es nicht, wir würden alle vernichtet werden!”
Erschrocken lockerte sie den Griff um den Kristall und wandte ihren Blick ab von diesem grauenvollen Bild. Die Bergtryaden waren stehen geblieben und starrten Sally aus großen Augen an.
“Du bist ihm einmal entkommen, ein zweites Mal wird es aber nicht geben.” Sie hörte die Worte wie in Trance und drehte sich wieder zu der Öffnung um, konnte aber nur noch die kahle, matt schimmernde Wand entdecken.
Verstört fragte sie die Bergtryaden:
”Was war das? Da war doch gerade noch eine Öffnung, und diese grauenvollen Feuer, und die angeketteten Menschen ”
“Du hast durch deine Anwesenheit für kurze Zeit ein Fenster zum Reich der Unterwelt geöffnet. Wenn der Herrscher über die Unterwelt dies mitbekommt, bist du in großer Gefahr. Es ist bisher noch niemandem gelungen, ihm zu entrinnen, geschweige denn, in sein Reich einzudringen ohne dass er es wollte.”
“Dann lasst uns so schnell wie möglich zu eurer Königin gehen, damit ich diesen Ort wieder verlassen kann!” sagte Sally mit gesenkter Stimme. Jeden Moment glaubte sie, ein Ungeheuer um die Ecke biegen zu sehen, dass sie mit riesigen Klauen greifen und fortschleppen würde.
Vorsichtig machten sie sich dann auch wieder auf den Weg. Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe, das in einen langen matt schimmernden Gang endete. In weiter Ferne glaubte sie Stimmen zu hören, Stimmen, die sich langsam zu einem Gesang vereinten. Als sie schließlich um eine Ecke bogen, lag die Höhle der Bergtryaden vor ihnen. Staunend riss Sally ihren Mund auf. “Das also ist euer Reich!”
Von allen Seiten schimmerte es bunt, riesige Stalaktiten hingen von der Decke herab und berührten den Boden. Bei näherem Hinsehen bemerkte Sally, dass in die Stalaktiten eine Treppe eingearbeitet war, die in luftiger Höhe auf einem Podest endete. Sie erkannte jetzt auch eine Tür und Fenster, aus denen einige neugierige Bergtryaden heraus schauten. Da sie sich weit oberhalb des Bodens der Höhle befanden, konnte Sally sie fast ganz überblicken. Gebannt schaute sie dem Treiben dort unten zu und bemerkte dabei nicht, wie sich ihr eine riesige Fledermaus näherte. Wären nicht ihre beiden Begleiterinnen gewesen, die dem Angreifer Einhalt geboten, es wäre um Sally geschehen gewesen. Erschrocken taumelte sie zurück.
“Du scheinst nicht gerade an deinem Leben zu hängen”, sagte eine der Bergtryaden, “Warum sonst stellst du dich als lebendes Futter für unsere Wächter zur Verfügung.”
Sally hatte sich noch immer nicht wieder ganz in der Gewalt, sah aber jetzt, dass der Wächter immer noch in einiger Entfernung von ihnen kreiste und sie genau beobachtete. Es war eine ca. zwei Meter große Fledermaus, die behäbig mit den Flügeln schlug. Sally konnte deren Schlag bereits hören. In einiger Entfernung, in Nähe der Decke sah sie nun auch weitere dieser Wächter kreisen, wahrscheinlich weitere Zugänge bewachend.
“Entschuldigt bitte, aber ich habe mich in eurer Obhut einfach sicher gefühlt”, brachte Sally mit leicht zitternder Stimme hervor.
“Nein, wir müssen uns entschuldigen, wir hätten dich warnen müssen. Aber es kommt auch nicht alle Tage vor, dass wir Besuch bekommen. Aber nun lasst uns hinuntergehen, unsere Königin erwartet uns bereits.”
Sally ersparte es sich zu fragen, woher man von ihrer Ankunft wusste, sie hatte schon so viel Merkwürdiges erlebt, dass sie dies schon als normal ansah.
Langsam stiegen sie die Stufen hinab. Links und rechts der Treppe kamen Sally die kuriosesten Dinge zu Gesicht. Da tummelten sich maulwurfsgroße Geschöpfe auf einem abgesteckten Teil des Bodens und waren unablässig damit beschäftigt, die Erde aufzuwühlen und hinter sich zu schmeißen. Auf einem anderen Teil wuchsen die sonderbarsten Pflanzen, mit grün leuchtenden Blättern und tomatenförmigem Stiel. Dazwischen schlängelte sich ein kleines Rinnsaal, welches scheinbar dazu diente, die Pflanzen ständig mit Wasser zu versorgen. Auf einem anderen abgesteckten Teil waren ein paar Bergtryaden damit beschäftigt, die Früchte anzuschneiden, um den austretenden Saft mit einem kleinen Gefäß aufzufangen. Wo immer man aber auch vorbeikam, überall begegnete man ihnen freundlich.
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