Jonathan Turner
Schatzsuche wider Willen
Band 1: Das Küken markiert den Punkt
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jonathan Turner Schatzsuche wider Willen Band 1: Das Küken markiert den Punkt Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
So geht es weiter …
Impressum neobooks
Hank Johnson war auf keinen Fall das, was man als einen normalen Menschen bezeichnen konnte. Er lebte in einem Tal zwischen einer grauen Gebirgskette auf der einen und einem Nationalpark mit Hunderttausenden von Bäumen auf der anderen Seite.
Es gab keinen Supermarkt in der Nähe und auch keine Nachtclubs oder andere Annehmlichkeiten des zivilisierten Lebens. Hank war sowieso nicht der Typ, der gern mal ins Kino ging. Er verzichtete auch gern auf irgendwelche Nachbarn, die auf einen Drink vorbeischauten. Ja, man konnte sogar mit Fug und Recht behaupten, dass Hank andere Menschen hasste und genau deswegen das Leben eines Eremiten lebte.
Er war ein mittelgroßer, schlanker, aber nicht hagerer Mann mittleren Alters. Hank trug ein schmutzig weißes T-Shirt und eine blassblaue Jeans. Er hatte kurzes, braunes Haar, das mangels Pflege kraus in alle Richtungen abstand. Seinen Dreitagebart liebte er über alles und er schien das Einzige an ihm zu sein, das gepflegt war. Seine Devise in Sachen Körperpflege war: Wenn man sich nicht unter Menschen begab, dann sollte man der Natur ihren Lauf lassen.
Er besaß hier im Nichts ein Haus. Es war aus Holz gebaut und machte den Eindruck, dass es jederzeit einstürzen konnte. Sein Haus als spartanisch zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. In ihm gab es einen Raum mit einem Tisch im Erdgeschoss und zwei Räume im Obergeschoss. In dem einen Zimmer oben befand sich sein Bett und im anderen bewahrte er Zeitschriften auf, in denen die neusten Testergebnisse von Digitaluhren standen. Der Lieferjunge hatte von ihm explizite Anweisung bekommen, sie immer am Monatsanfang unter einer großen Zeder am Eingang des Parks zu deponieren, damit Hank niemals auf einen Menschen traf.
Eine Toilette suchte man im ganzen Haus vergeblich, aber Hank machte sich nichts daraus. Im Winter wie im Sommer ging er einfach vor das Haus und verrichtete dort sein Geschäft. Dies hatte er – zumindest gelegentlich – auch schon getan, als er noch in der fernen Stadt gelebt hatte. Zwei Zivilklagen wegen unmoralischen Verhaltens und Nacktheit in der Öffentlichkeit zwangen ihn, mit seinen Mitmenschen anders umzugehen und sein Verhalten ihnen gegenüber zu erklären, wenn sie ihn fragten, warum er immer sein Geschäft im Freien und nicht auf einer Toilette verrichtete. Bis dahin hatte er entweder nur geschwiegen oder ihnen Schimpfwörter an den Kopf geschmissen. Nun antwortete er mit: „Weil im Klo die große, grüne Schlange nur darauf wartet, in meinen Arsch zu beißen!“
Klar, dass seine Verteidiger mit diesem Argument im Laufe weiterer Prozesse – Hank ging ja auch weiterhin nicht aufs Klo! – bei den Richtern kein Land sehen konnten.
Hank verstand dies gar nicht, eine grüne Schlange im Klo schien ihm ein äußerst stichhaltiges Argument zu sein. Und auch sonst entzog sich die Logik seiner Mitmenschen oft seinem Verständnis, so dass er regelmäßig erbärmlich scheiterte, obwohl er es ihnen mit seinem Handeln eigentlich recht machen wollte.
Verzichtete Hank auch sonst auf jede Annehmlichkeit eines zivilisierten Lebens, so hielt er seine extrem sportlich aussehende Digitaluhr von Casio für das Maß aller Dinge. Er saß oft im Yogasitz auf seinem Tisch und sinnierte über das Leben und das Leben der Digitaluhren. Es gab Tage, da stellte er sich vor, etwas anderes zu sein. Zum Beispiel blickte er im Geiste durch die Augen eines anderen Menschen oder gestern hatte er versucht sich vorzustellen, wie hart ein Pinguinleben tatsächlich war. Man kam ja schließlich nicht mehr aus dem Frack heraus! Das musste einen doch komplett wahnsinnig machen. Kein Wunder, dass Pinguine im Allgemeinen bissig waren.
Diese Vorstellung eines anderen Lebens hatte ihn bis gestern Abend komplett in Anspruch genommen und körperlich sowie seelisch ausgelaugt.
Heute hatte er sich den ganzen Tag regeneriert. Aber auch das war anstrengend und deshalb wollte er eine Pause einlegen. Ihm war nicht bewusst, dass Gedanken wie dieser – sich vom Erholen zu erholen – ihm den Ruf eines armen Irren eingebracht hatten. Hätte man es ihm gesagt, hätte er sicher verwundert darauf hingewiesen, dass er keineswegs arm sei. Immerhin hatte er mehrere Milliarden geerbt, eine Summe, die es ihm erlaubt hatte, die Stadt mit einer „Rückfahrkarte“ hinter sich zu lassen und sich ganz seinen wichtigen Betrachtungen über das Universum, das Leben und die Welt der Digitaluhren zu widmen. Hank hielt das für so wichtig, dass er sich mittlerweile mit nahezu nichts anderem mehr beschäftigte und viele Experimente machte, indem er im Geiste eben andere Rollen einnahm.
Hank schaute beiläufig auf die Digitaluhr auf seinem Handgelenk. Um fünf. Er hatte bis zum Essen noch eine Stunde Zeit, die würde er für die Pause nutzen. Er begab sich nach draußen. Auf der Wiese vor seinem Haus konnte er sich entspannen.
In der Ferne hoppelte ein Häschen an ihm vorbei. Hank glaubte, es mit Namen zu kennen, und grüßte es ausgiebig, bevor er an dem nahen kleinen, malerischen See entlanglief und sich Gedanken über den morgigen Tag machte.
Hank legte sich ans Ufer des Sees und imitierte einige der Krötenschreie, die hier an sein Ohr drangen. Aber irgendwie schaffte er es noch nicht, sich mit den Kröten zu unterhalten. Ihm fehlte einfach die Übung.
Nach weiteren, misslungenen Kommunikationsversuchen mit den Kröten glaubte er, dass es nun endlich Zeit war zu essen.
Hank warf einen weiteren Blick auf seine Digitaluhr und bewunderte wieder diese Leichtigkeit des umwerfenden Designs.
Es war genau fünf Uhr.
Hank starrte verdutzt auf die Oberfläche. Es gab keinen Zweifel. Es stand fünf Uhr darauf. Und wenn ihn sein Gedächtnis nicht trog, hatte er die Zahl fünf bereits vor längerer Zeit abgelesen.
Die Batterie konnte nicht leer sein, denn dann wäre auf den Display gar nichts mehr zu sehen gewesen. Sie war hängen geblieben. Sie war kaputt.
Hank packte das nackte Entsetzen wegen der Konsequenzen, die der Vorfall nach sich zog, also lief er zu seinem Lieblingsbaum, der nur wenige Meter von seinem Haus entfernt stand. Es war eine alte Eiche, unter der er immer im Sommer in ihrem Schatten lag. Über all die Jahre hinweg ohne menschliche Gesellschaft war er wunderlich geworden und sprach oft mit Tieren oder Gegenständen, die er als seinen Freundeskreis interpretierte.
„Stell’ dir bloß vor, was ich mit der Uhr machen muss! Zurück in die Stadt!“ Hank war erregt und erwartete ein wenig Trost von der Grünpflanze.
Der Baum entgegnete nichts.
„Das ist das tragischste Schicksal von allen! Ich habe das nicht verdient! Ich will nicht zurück zu diesen ganzen Irren!“
Der Baum blieb ein Baum und sagte nichts.
„Nein, das habe ich nicht verdient. Wie kann eine Uhr einfach nur so kaputt gehen?“, klagte Hank der Eiche weiter sein Leid.
Der Baum blieb stumm.
Wütend stand Hank auf und trat gegen den Baum. Sollte er nur sehen, was geschah, wenn man am Unglück anderer Leute keinen Anteil nahm! Er würde schon einen anderen Gesprächspartner finden!
Hank rannte auf die Wiese. Dort hatte er noch einen Freund. Er fiel auf seine Knie und sah den besonders großen, grünen Grashalm intensiv an. Ihm hatte er schon sehr viele Geschichten erzählt. Er war viel größer als alle anderen hier auf der Wiese.
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