„Quatsch. Selber welche geben schon eher. Oder einen Wollladen – ein kleines, aber feines Catering… irgend so was.“
„Und warum soll ich mich nicht um meine Kinder kümmern? Immerhin muss Benni noch den Übertritt schaffen!“
Doro verkniff sich eine Bemerkung über Eltern, die ihre Kinder um jeden Preis aufs Gymnasium prügelten, weil sie sich nicht vor den Nachbarn genieren wollten. „Und sonst ist bei euch nichts los?“, wechselte sie also entschlossen das Thema. „Was macht denn Vinzenz? Von dem hört man ja auch nichts.“
„Weiß ich auch nicht. Geschäfte, denke ich. Mensch! Du kennst doch den Pointner, der bei uns an der Ecke zur Wasserburger diese Riesenscheune gebaut hat, oder?“
„Den gelben Klotz?“, fragte Doro, die sich vage an das überdimensionierte Ding mit den vielen spacigen Erkern, Terrassen, Balkonen und merkwürdigen Einbuchtungen erinnerte. Dass so was genehmigt worden war?
„Ja, genau. Der Pointner hat sich ja beim Boom 2000 dumm und dämlich verdient, nicht? Und jetzt hat er alles wieder verspekuliert.“
„Hui“, machte Doro. „Hatte der nicht diese unglaublich arrogante Zimtzicke zur Frau? Die mit dem roten Sportflitzer und den Riesensonnenbrillen?“
„Die Vanessa, genau. Naja, Hochmut kommt vor dem Fall. Jedenfalls, der Pointner hat sich vor den Zug geworfen, und die Vanessa muss aus dem Haus raus, wird alles zwangsversteigert, damit die Bank wenigstens einen Teil der Schulden wieder reinkriegt.“
„Bitter. Der arme Mann. Ich muss zugeben, diese Vanessa tut mir jetzt nicht so furchtbar leid.“
„Mir auch nicht“, sagte Silvia mit etwas schwankender Stimme.
„Kicherst du etwa??“, fragte Doro streng, musste aber auch lachen. „Da gab´s doch mal eine Serie, wo ganz Reiche alles verloren haben und sozusagen ins Hasenbergl ziehen mussten… stell ich mir gerade mit Vanessa Pointner vor…“ Sie prustete los, und Silvia lachte mit.
Schließlich wurde Doro wieder ernst. „Trotzdem, vor einen Zug? Das stelle ich mir total grässlich vor.“
„Ja, ich auch. Aber anscheinend wollte er seinen Gläubigern und seiner Frau nicht ins Gesicht schauen.“
„Gut, aber warum nicht eine friedliche Dosis Schlaftabletten?“
„Musst du erstmal auftreiben. So viele verschreibt dir ja auch keiner. Und wenn du´s eilig hast…“
„Na gut, dann Auspuffgase.“
„Geht das mit Kat überhaupt noch?“, wandte Silvia ein.
„Hm, weiß ich auch nicht“, musste Doro zugeben. „So einfach ist ein Selbstmord wohl doch nicht. Naja, Strick um den Hals geht wohl immer. Übrigens hatten wir hier auch so eine Bahnleiche. War aber wohl einfach ein Besoffener, der den Abhang runtergefallen und auf die Gleise gekullert ist.“
„Du meinst, gruselfaktormäßig kann Leisenberg mit München durchaus mithalten?“, spottete Silvia, und Doro wusste wieder, warum sie sich eigentlich doch ganz gut verstanden – es war die familieneigene spitze Zunge.
„Hauptsache, Vinz spekuliert vernünftig“, hoffte sie abschließend, während sie allmählich sehnsüchtige Blicke auf die verlockenden weit offenen Schranktüren warf.
„Ach, der ist doch eher risikoscheu. Da mache ich mir mal keine Sorgen. So, und du bleibst also in diesem Kaff und erziehst die Kinder anderer Leute. Na, jedem Tierchen sein Pläsierchen!“
Als sie endlich aufgelegt hatte, rieb sich Doro vergnügt die Hände. Erst mal feucht auswischen, falls es drinnen auch noch Sägemehl gab! Eigentlich war es ganz gut, dass Silvia angerufen hatte – sie hätte sonst das Putzen womöglich in ihrem Eifer ganz vergessen.
Also wischte sie mit einem leicht feuchten Tuch sorgfältig durch alle Fächer und Schubladen, verteilte auch ein paar Tropfen Zedernöl in den Ecken, polierte die Edelstahlgriffe, bis sie funkelten, und amüsierte sich dann damit, die T-Shirt- und Pulloverstapel auf dem Bettsofa noch gleichmäßiger und nach Farben sortiert zu arrangieren.
Perfekt.
Und alle Söckchen waren ordentlich gerollt, sogar die Wäschegarnituren sahen tadellos aus, je drei Slips gerollt und in die ineinander geklappten Schalen des dazu passenden BHs gesteckt. Bildschön.
So, und jetzt kam alles in den Schrank!
Sie begann mit allem, was auf einen Bügel gehörte, ihren paar Blazern, den Blusen, dem einzigen Rock und den zwei Sommerkleidern, hängte einige Male um, bis die Reihenfolge einleuchtend schien, und füllte dann die Fächer. Auf den Boden unter den Blazern stellte sie alle ihre Schuhe und Stiefel, ordentlich auf Spanner gezogen und frisch geputzt. Oh, die blauen Lackballerinas mussten neue Absätze kriegen! Sie ließ sie im Flur stehen, morgen nach der Schule würde sie die zum Schuster bringen.
Himmel, wo gab es denn hier einen Schuster? Vermutlich hatte das Kaufhaus am Markt so einen Schnellservice. Na, sie konnte morgen ja mal herumfragen.
Schließlich war alles auf das Schönste untergebracht. Doro betrachtete sich das Schrankinnere befriedigt, schloss dann die Türen und sah sich im Zimmer um. Ohne die Kleiderstapel allenthalben wirkte das Zimmer gleich viel größer und ordentlicher. Fast schon puristisch.
Hoch zufrieden setzte sie sich an den Schreibtisch, legte eine Liste davon an, was sie morgen alles erledigen wollte, und fand sich ungemein effizient und organisiert. Dann hatte sie jetzt neben einem kleinen Abendimbiss doch etwas hirnlose Fernsehkost verdient?
In der kleinen Pause saß sie innerlich immer noch strahlend auf ihrem Platz im Lehrerzimmer. Mit dem neuen Schrank und der übersichtlichen Garderobe war das Aufstehen morgens der reinste Genuss gewesen. Sie hatte sich für den grauen Harris-Tweed-Blazer, eine schwarze Hose und ein blassrosa T-Shirt entschieden. Blassrosa stand ihr gut zu ihren nussbraunen Haaren, fand sie.
Gesundes Frühstück, ein paar aufräumende Handgriffe, damit sie später auch wieder gerne nach Hause kam, ein prüfender Blick in die Tasche, hierher gefahren (grüne Welle, das kam so oft auch nicht vor!) und schließlich zwei wohl gelungene Stunden. Warum kam der Chef eigentlich nicht mal zum Unterrichtsbesuch? Sie hatte so schöne Schüler aktivierende Unterrichtsformen verwendet und wirklich Lernerfolge erzielt, das hätte er sich ruhig mal ansehen können! Als Hilde hereinkam und ihr zuwinkte, sprang sie auf und fragte sie: „Wann kommt denn mal der Chef in den Unterricht?“
„Bist du so scharf darauf? Die meisten haben total Panik davor“, war die amüsierte Antwort.
„Ich fand mich heute richtig gut, und dann guckt wieder kein Schwein…“
„Hauptsache, die Kinder fanden es gut. Obwohl, die finden es noch besser, wenn man gar nichts macht. Langfristig nicht, aber für den Moment schon. Ich glaube, er fängt nach Weihnachten mal wieder an. Bis dahin kannst du dir noch etwas Routine zulegen.“
Doro grummelte. „Und weißt du einen anständigen Schuster?“
„Hier an der Schule? Nein. Aber ich kaufe hier auch nie ein.“
„Ich dachte eher an Selling oder die Altstadt.“
Hilde überlegte. „Ich habe früher auch mal in Selling gewohnt… hab ich da jemals Schuhe zum Richten gebracht? Hm… Ist nicht an der Düsseldorfer neben der Reinigung so ein Reparaturservice? Der, der auch Taschen richtet? Oder gibt´s den nicht mehr?“
„Danke, da schaue ich mal hin. Ecke Rheinland, meinst du?“
„Eher Ecke Duisburger. Zwei Blocks weiter stadtauswärts. Was ist denn jetzt wieder los?“
In der Ecke gegenüber hatten sich zornige Stimmen erhoben – die Uhl und die Zirngiebel. Hilde seufzte. „Nicht schon wieder! Die blöde Uhl lernt es auch nicht mehr…“
„Worum geht es da?“
„Die Uhl ist sauer, dass die Zirngiebel für ihre Beratungstätigkeit ein eigenes kleines Zimmer hat. Braucht sie ja auch. Aber die Uhl will auch eins.“
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