In der Pause ging er manchmal ins Klo und holte sich einen runter. Danach konnte er sich eine Dreiviertelstunde lang konzentrieren, und erwartete dennoch atemlos das Ende der Vorlesung.
Er brauchte Sex. Harten, versauten Sex. Er fühlte sich wie ein Sportwagen, der mit angezogener Handbremse auf Hochtouren lief, Gummispuren auf dem Asphalt hinterließ und qualmte, stank, jedoch nicht von der Stelle kam.
Wie er bald herausfand, hieß sie die schwarzhaarige Studentin mit der Stupsnase Natalie und wohnte im gleichen Studentenwohnheim, wo sie sich auch gelegentlich über den Weg liefen.
Ob sie denn auch mal auf Partys gehe, hatte Leon sie irgendwann einmal gefragt, und Natalie hatte mehrdeutig gelächelt und gemeint, man träfe sich bestimmt mal auf einer der Erstsemesterpartys.
Statt Natalie traf er dort Vanessa. Vanessa war ebenfalls in einem seiner Seminare, wühlte ständig in ihrer Tasche suchte einen Stift, einen Zettel, ihre Unterlagen, Essen und stellte dann Fragen, weil sie nicht aufgepasst hatte.
Vanessa stand mit einer Flasche Bier neben zwei Freundinnen. Sie trug ein enges T-Shirt über einem kurzen Jeansrock. Der Bass dröhnte. In der Vorlesung heute, während ihr Dozent verdeutlichen wollte, wie Stochastik funktioniert, war ihr Kopf einmal ganz kurz nach vorne gekippt, als sei sie in einen Sekundenschlaf gefallen. Dabei hatten ihre blonden Haare den Nacken freigelegt. Leon hätte sie gerne dort geküsst.
»Hi«, sagte er und stellte sich dazu. Vanessa sah ihn an, lächelte. Leon prostete ihr zu.
»Nach der heutigen Vorlesung kann man ja nur sagen: War recht wahrscheinlich, dass wir uns hier treffen, oder?«
Sie lachte. Das Eis war gebrochen. Sie stellte ihm ihre Freundinnen vor. Sabrina, Jennifer. Leon sagte brav Hallo und seinen Namen, auch um sicher zu gehen, dass Vanessa ihn wusste. Den Rest des Abends blieb er immer in ihrer Nähe, verabschiedete sich nur ein oder zwei Mal, weil er Gregor traf, seinen Leidensgenossen, Lernpartner, Mitbewohner. Und wie zufällig tanzte er sie auf der Tanzfläche an, oder er hatte ein Bier zu viel, weil Gregor ihnen ebenfalls zwei mitgebracht hatte.
Sie studierte BWL, so viel hatte er bald gelernt, und sie schimpfte auf einen Araber in irgendeinem Seminar. Der sei aufdringlich und würde sie für eine Schlampe halten, nur weil sie blond sei. Und Leon wusste jetzt, wo er einhaken musste, um zum Ziel zu kommen, und sagte: »Ich mag die laute Art der Araber auch nicht.«
»Außerdem sehen die in deutschen Mädchen nur willige Weiber fürs Bett. Heiraten wollen sie dann aber nur eine Jungfrau. Alles wegen dieser Religion«, prustete sie zwischen zwei Zügen an einer Zigarette und rümpfte ihre Stupsnase. Ihr Lippenstift blieb am Filter kleben. Unter dem nassgeschwitzten T-Shirt wurden die Träger ihres BHs sichtbar. Wenn unter dem BH nicht diese zwei ziemlich hübsch gepuschten Titten gesteckt hätten, wäre ihm herausgerutscht, wo er bei der letzten Bundestagswahl sein Kreuz gemacht hatte.
»Wir sind nun mal ein christlich geprägtes Land.«
»Wenn es nach den Grünen ginge, hätten wir doch längst die Scharia eingeführt. Und ich könnte gar nicht mehr ohne Schleier auf die Straße.«
Leon nickte und fügte spöttisch hinzu: »Scheiß Grüne. Mein Vater ist Richter, was der erzählt über Araber und wie häufig die sich an hübschen Blondinen vergreifen, das ist unglaublich.«
Sein Blick wanderte ganz unauffällig über ihre Schultern, die Wölbung der Brüste, dem blanken Bauchnabel über dem Bund des Jeansrocks.
»Jetzt echt? Dein Vater ist Richter?«
»Aber nur an einem Landgericht, jetzt nicht beim Verfassungsgericht.«
Ihre Augen weiteten sich vor Bewunderung. Sein Vater war Beamter in der Stadtverwaltung in Hölzenheim, wobei man auch Hölzenheim nicht wirklich Stadt nennen konnte. Stadtverwaltung. Nichts lag ihm ferner als Jura, aber das hätte sie nicht hören wollen. Viele andere Frauen, aber nicht sie. Informationen für Zielgruppen.
»Sehr konservativ, schon in der dritten Generation. Reden wir nicht drüber.«
Weit nach Mitternacht gingen sie an die frische Luft, lehnten sich an ein Geländer und atmeten durch. Mein Gott, wie er das Rauchen hasste. In den Ohren piepte es. Sein Hemd klebte am Körper. Und auch Vanessa sah fertig aus. Sie war niedlich und ihre Haut war samtig, und obwohl ihr Becken etwas zu schmal war und die Titten zu klein, fand er die Idee, sie zu ficken, sehr attraktiv.
»Wohnst du auch im Wohnheim?«, fragte sie. Leon nahm einen Schluck vom Bier undr nickte. Inzwischen funkelte die Nacht in bunten Farben. Ein Bier mehr und er wäre zu betrunken. Ob sie noch Lust hatte?
»Bringst du mich nach Hause? Ich glaube, ich bin betrunken.«
Beinahe hätte er gejubelt. »Hast du eine Jacke dabei?«
Vanessa schüttelte den Kopf und klopfte auf ihre kleine Handtasche. Ihr enger Jeansrock war über die Knie gerutscht. Auf dem Weg durch die Nacht zeigte Leon ihr den großen Wagen und riss seinen Lieblingswitz.
»Guck mal, ganz abgefahrenes Profil.«
Sie lachte wieder klirrend. Ihr Blick war nicht mehr ganz sattelfest.
»Wie oft hast du den Witz schon gemacht?«
»Seit Semesteranfang? Noch nicht.«
Leon mochte es, dass sie ihn durchschaute. Totale Transparenz war das Motto der Nacht, sag ihr, was sie hören will. Hauptsache, es erhöht deine Chancen. Über ihnen stand der klare Mond. Man konnte sogar die Krater erkennen, das Meer der Ruhe. Die Tannen warfen scharfe Schatten.
»Apropos – weißt du, wie viele Männer mich seit Semesteranfang nach Hause bringen wollten?«, lachte sie und Leon wusste, dass sie ihm die Antwort gleich selbst geben würde. »Zehn. Und weißt du, wie viele Sex wollten?« Wieder grinste sie ihn an.
»Alle«, sagte Leon. Ob sie ihn schon eingerechnet hatte?
»Und keinen hab ich mein Döschen gelassen.«
Beim Lachen zeigte sie ihre Zähne. Leon seufzte stumm. Vielleicht stimmte das, vielleicht war sie auch einfach nur zu betrunken, um die Gefahr dieser Provokation richtig einzuschätzen. Vielleicht beherrschte sie aber auch irgendeine exotische Kampfsportart.
Hinter einer Kastanie im frischen Grün stolperte sie und ließ sich von Leon auffangen. Unter dem Rock, im fahlen Mondlicht, blitzte ein weißer Schlüpfer. Sein Herz pochte. Die Tasche landete im Gras, er hob sie auf, ganz Gentleman, und gab sie ihr zurück. Leon lachte und behielt die Kontrolle über die Situation.
»Ich bin so froh, dass du mich nach Hause bringst«, nuschelte sie. »Da laufen viel zu viele Irre rum.«
Die alle an dein Döschen wollen? Ich glaube nicht, dachte Leon.
»Zum Glück hast du mich«, sagte er und half ihr hoch. »Aufrecht, katholisch, konservativ.« Weiter stolperten sie über den Weg. Die nächste Straßenlaterne war fern und Gott tot. Noch etwas, das sie von ihm nicht erfahren musste.
»Ich kenne eine Abkürzung«, sagte sie und zog Leon zwischen die Bäume. Er ließ sich ziehen. Ihr Griff an seiner Hand war fest. Ein Ast peitschte ihm ins Gesicht. Ihr blondes Haar funkelte und Leon hoffte, dass diese Abkürzung nur eine Ausrede war. Doch gerade, als er glaubte, sie würde vor ihm ins Moos sinken, brachen sie durch eine Hecke und standen vor dem Wohnheim.
»Na, wunderbar«, sagte Leon und richtete sich schon auf die Handmaschine ein. Vanessa fummelte in ihrem Täschchen nach ihrem Schlüssel. »Dann wünsch ich dir eine gute Nacht.«
Letzte Chance.
»Kommst du noch kurz hoch? Dann fühl ich mich wohler.«
»Klar.« Leon sah den Kurs seiner Aktien wieder steigen. »Aber ich hab keine Briefmarken dabei.«
Sie kicherte, dann schluckte sie das Wohnheim. Sie wohnte im höchsten der Wohntürme. Sieben Etagen. Von oben hatte man bestimmt eine gute Sicht.
»Dein Vater ist Richter«, sagte sie, während sie auf den Fahrstuhl warteten. »Warum studierst du nicht auch Jura?«
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