Edwards Schritte hallten durch die kleine Kapelle hinter dem Hochaltar der Westminster Abbey. Dabei stellte er sich vor, dass er über die Leichen zahlloser Franzosen hinwegstieg und als Krönung über Balliols. Aber ob der schottische König tot oder lebendig war, er hatte ihn bereits besiegt. Genauso wie die Einwohner von Berwick-upon-Tweed.
„Mit deinem Handeln hast du die Schotten endgültig gegen England aufgehetzt“, regte sich sein Bruder auf, der sich gegen den Krönungsstuhl lehnte. Die Sitzfläche und die Hinterwand waren vertäfelt. Das Dunkelholz glänzte. Nur am Fußteil unter dem Sitz war es etwas heller oder abgeblättert. Vier Löwenfiguren postierten sich rund um den Thron. Zwei vorne, zwei hinter dem Stuhl, mit starrem Blick in alle Himmelsrichtungen.
„Als hätte ich das nötig gehabt.“ Edward blieb vor dem Grabmal ´Edward des Bekennersˋ stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Balliol sitzt im Tower und jedem, der sich mir in den Weg stellt, wird dasselbe blühen. Ich dulde keinen Vasall, der mir in den Rücken fällt.“
„Du hast Balliol wie einen Bittsteller behandelt, nicht wie einen Vasall. Und ich will gar nicht daran denken, wie hart du in Berwick vorgegangen bist. War das Gemetzel wirklich nötig?“ Edmund wollte sich in Bewegung setzen, aber er stieß mit dem Fuß gegen einen der Löwen, verzog schmerzhaft das Gesicht und hob den Fuß an. Wie gelenkig sein Bruder plötzlich war.
„Harte Widerstände erfordern noch härtere Gegenmaßnahmen“, belehrte Edward ihn voller Schadenfreude, weil sein Bruder umgehend die Quittung für seine Belehrungen erhalten hatte. Edmund wurde sichtlich alt, was ihn gleichzeitig weich machte. Andererseits war er angesichts der letzten Ereignisse mutig genug ihm die Stirn zu bieten. Aber man eroberte kein Land mit guten Worten. „Der Sieg gibt mir recht“, hielt Edward an seiner Meinung fest. „Balliol, der Klerus und die Adeligen haben sich ergeben und nun befindet sich Schottland unter meiner Befehlsgewalt.“ Der Widerstand dieses derben Volkes hatte an Intensität gewonnen. Deswegen hatte er umgehend handeln müssen.
„Soweit ich weiß, schließen sich immer mehr Aufständische zusammen.“ Noch immer rieb sich Edmund den Fuß. Sein Haar war zerzaust, weil er sich unaufhörlich an den Kopf griff, seitdem Balliol eingekerkert war. „Ein gewisser Andrew de Moray und dessen Vater sind in aller Munde. Von diesem William Wallace hört man auch vermehrt. Moray und Wallace haben übrigens weder das erste noch das zweite Treugelöbnis unterzeichnet.“
„Dann sieh zu, dass man sie gefangen nimmt!“ Edward schlug sich mit der Faust gegen den Spangenharnisch, der seinen Oberkörper schützte. Das metallische Geräusch ließ Edmund zusammenzucken. Ängstlich schaute er zum Grabmal, als würde er befürchten, dass der Tote zum Leben erwachte.
„Ich mache bereits, was ich kann“, räumte Edmund ein. „Moray und sein Vater sollen sich in der Nähe von Dunbar aufhalten.“
„Und dieser Wallace?“
„Bisher gibt es keine Spur von ihm.“
„Dann wird er nicht so wichtig sein wie du behauptest. Ich habe jedenfalls noch nichts von ihm gehört und das wird vermutlich so bleiben.“
„Wenn du dich da nicht irrst. Wallace soll ein außerordentlicher Kämpfer sein. Noch dazu erzählt man sich, dass er größer ist als du.“
„Dann müsste er ein Riese sein. Meine Güte, Edmund, das klingt eher nach einem Märchen als nach der Wirklichkeit.“ Edward lachte. „Die Schotten und ihre Mythen. Vielleicht erfinden sie Männer wie diesen Wallace, um uns einzuschüchtern. Verzweifelt genug sind sie ja.“
„Robert Bruce kennt ihn angeblich.“
„Woher weißt du das?“
„Er hat es mir erzählt, als wir Tee getrunken haben.“
„Ihr habt Tee getrunken?“, hallte es durch die Kapelle. „Wann?“
„Nach seiner Rückkehr aus Irland“, kam es verwundert zurück. „Du hast ihn doch selbst getroffen, als er die Roll unterschrieben hat.“
So ein Halunke! Versteckte sich hinter seiner dringenden Abreise und trank dann in aller Seelenruhe mit seinem Bruder einen Tee. „Das klingt nach einem netten Stelldichein. Seit wann seid ihr euch so nahe?“
„Ich mag den Burschen.“
„Du magst ihn?“, erboste sich Edward. „Seine Unterschrift ist die Tinte nicht wert. Bruce ist und bleibt ein Schotte und damit Teil dieses engstirnigen Volkes.“
„Trotzdem wird er den Teufel tun und es sich mit dir verscherzen. Erst recht jetzt, da Schottland keinen König mehr hat.“
„Stimmt. Robert mag es gern bequem. Deswegen wartet er lieber darauf, dass ich ihn wie ein Kleinkind auf den Thron setze als dass er um ihn kämpft.“
„Immerhin verhindert seine Einstellung unnötiges Blutvergießen.“
„Das musste jetzt kommen. Insofern wundert es mich nicht, dass du dich mit Bruce so prächtig verstehst“, machte sich Edward lustig. „Trotzdem, Bruce ist unberechenbar. Wer sagt mir, dass er nach seiner Thronbesteigung nicht doch gegen England vorgeht?“
„Dein Kleinkind ? Wovor hast du Angst?“
„Stimmt“, murmelte Edward, „wovor habe ich Angst? Bruce ist keine Gefahr, genauso wenig wie dieser ominöse Wallace. Aber um darauf zurückzukommen, was hat dir Bruce über ihn erzählt?“
„Nicht viel. Anscheinend sind sie sich in Salisbury zum ersten Mal begegnet. Ihr Kennenlernen soll in einer handfesten Auseinandersetzung geendet haben. Seitdem sind sie erbitterte Feinde. Aber anderen Quellen zufolge soll Wallace bereits viele von unseren Landsleuten auf dem Gewissen haben. Er verabscheut nicht nur Bruce, sondern auch uns Engländer.“
„Du siehst mich etwas überrascht“, spottete Edward, „im Allgemeinen werden wir von den Schotten verehrt.“
„Wallace eilt sein Ruf weit voraus. Männer wie ihn darf man nie unterschätzen.“
„Willst du mich verunsichern?“ Edward stöhnte unwillig auf. „Oder dazu überreden, dass ich mich aus Schottland zurückziehe, ehe meine Truppen gegen diesen Wallace als Verlierer vom Feld gehen?
„Weder das eine noch das andere. Davon abgesehen hast du dir von mir noch nie etwas sagen lassen.“ Edmund hustete. Seit Tagen kränkelte er vor sich hin. In der Kapelle war es kälter als draußen, denn die Märzsonne hob die Temperaturen an. Eine gute Zeit, um sich mit Krieg abzulenken. Edward mochte weder den Frühling noch den Sommer. Allesamt Monate für Weiber, die sich kaum vor Entzücken halten konnten, wenn sie eine Rose erblickten. Der raue Herbst und der harte Winter, das waren Jahreszeiten für echte Männer.
„Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest.“ Edmunds Schultern sanken herab und er war wieder ganz der alte Duckmäuser.
„Kommt jetzt endlich das, was du mir mit ermüdender Einleitung die ganze Zeit über sagen wolltest?“
„Nun ja, ich weiß, dass es dir nicht gefallen wird. Deswegen habe ich gezögert. Aber du wirst es so oder so erfahren.“
Edwards Sinne schärften sich. „Raus mit der Sprache.“
„Wallace macht sich lustig über dich“, kam Edmund sofort zur Sache, womit er Edwards ganze Aufmerksamkeit hatte.
„Inwiefern?“
Sein Bruder achtete darauf, nicht erneut gegen den Löwen zu prallen und sorgte für einigen Abstand zum Thron. Oder galt der Abstand ihm? „Wallace schlachtet den Tod deiner Frau aus.“
„Was soll das heißen?“ Edward kniff die Augen zusammen und wartete auf Edmunds Antwort. Doch seinem Bruder schien es die Sprache verschlagen zu haben im Wissen, dass niemand das Andenken seiner verstorbenen Frau in den Schmutz ziehen durfte. „Sag schon!“, brüllte Edward durch das Gotteshaus, weil er die Geduld verlor.
„Wallace hat irgendwie erfahren, woran Eleonore tatsächlich starb. Damals, als sie dich ins Heilige Land begleitete und du von einem vergifteten Dolch verletzt wurdest, da hat sie das Gift mit dem Mund herausge…“
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