„Du bist hartnäckiger als ich.“ Sein Lächeln blieb den Augen fern, bevor er aufstöhnte, als hätte er die Geschichte schon hundertmal erzählt. „Walter Steward war eines der Schweine, bekannt für seinen Blutdurst an Schotten und die Liebe zu seinem Sohn. Der Zufall wollte es, dass ich den jungen Steward eines Tages traf. Er mokierte sich lautstark über meine Größe und Kleidung. Ich konterte natürlich, bis er meinen Dolch forderte. Der Halunke war nicht allein, aber ich habe es mit allen aufgenommen. Glaub mir, er hätte mich ohne mit der Wimper zu zucken getötet. Das hatte er ohnehin von Anfang an vor. Genau wie ich, nachdem ich wusste, wer vor mir stand.“
„Aber sein Vater hat Mutter vergewaltigt.“
„Nach dem Tod seines Sohnes hat sich der alte Steward umgebracht. Leider kam er mir zuvor, andererseits habe ich ihn da getroffen, wo es richtig schön wehtut. Insofern geht sein Tod auf meine Kappe. ´Berühre nie, was du nicht berühren darfstˋ, das ist mein Leitspruch für diese Mistkerle.“
Jodie wusste nicht was sie sagen sollte. Rache zu nehmen - nach einer Tat wie sie ihrer Mutter geschehen war - Gleiches mit Gleichem zu vergelten oder jemanden zu ermorden, das kam ihr trotz allem falsch vor. Dennoch hatte sie kein Mitleid mit den Stewards.
„Nach einem anderen Vorfall in Lanark habe ich Bekanntschaft mit dem Kerker gemacht, falls das dein Weltbild wieder geraderückt.
„Ich könnte nie schlecht von dir denken“, versicherte sie ihm aus tiefster Überzeugung, „und wünsche dir erst recht keine Inhaftierung.“
„Na ja, allzu lange hielt ich mich nicht dort auf. Dorfbewohner haben mich befreit.“ Seine Stimme verlor sich wie sein Blick. „Eine junge Frau war unter ihnen. Die schönste, die ich je gesehen habe, und die mutigste. Eine Weile versteckte ich mich im Wald. Danach versuchte ich diese Frau zu finden. Einige nannten sie Innes, andere behaupteten, es wäre eine gewisse Marion Braidfute gewesen. Wie auch immer, sie wurde von Engländern getötet.“ Williams Züge waren mit tiefem Schmerz erfüllt. Diese Frau musste ihn sehr beeindruckt haben. Jodie ahnte jedoch auch, dass er sich an ihrem Tod mitschuldig fühlte. Ihre Hilfe hatte die Frau mit dem Leben bezahlt. „Manchmal genügen wenige Sekunden, aber die Erinnerung daran kann ein ganzes Leben überdauern“, murmelte William.
Das Klappern von Töpfen hallte zu ihnen herauf.
„Wir sollten hinuntergehen, William.“
Seine wehmütigen Züge wurden frostig. „Wieder zu verschwinden wäre die bessere Alternative.“
„Du warst nie ein Feigling“, bestärkte sie ihren Bruder, obwohl sie ihn verstand. Andererseits war ihre Aussage nicht ganz uneigennützig. Ihn bis morgen bei sich zu wissen hatte etwas Beruhigendes.
William tätschelte Jodies Hand, bevor er den Platz neben ihr verließ. Nahe der Tür lehnte er sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du willst, dass ich bleibe. Frag mich einfach direkt.“
„Bleib bitte, William“, schoss es aus ihr heraus, „denn morgen muss ich unser Elternhaus verlassen und werde nach Glamis reisen. Genauer gesagt: Zum Glamis Castle.“
Sofort war William bei ihr und zog sie beinahe grob zu sich hoch. „Etwa zu Robert the Bruce? Was zur Hölle willst du bei diesem Verräter?“ Der Druck seiner Finger verstärkte sich.
„Vater will, dass ich ihn ausspioniere.“
Im nächsten Moment stürmte Jodie hinter William die Treppe hinunter, um ihn aufzuhalten. Aber bevor es ihr gelang, schmetterte er die Stubentür auf, wo der Vater am Esstisch saß. Erschrocken erhob er sich von seinem Platz.
„William, was machst du hier?“ Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Unsicherheit und Freude.
„Du willst Jodie allen Ernstes zu Bruce schicken? Bist du völlig übergeschnappt?“
Die Freude verschwand. „Deine Schwester wird es überleben.“
„Die Kleine kennt sich nicht einmal mehr in unserem Dorf aus. Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es da draußen ist? Vor allem jetzt, da sich beide Seiten formieren?“
„Ein Knappe wird sie begleiten.“
„Ist er bewaffnet? Versteht er es zu kämpfen?“
„Je unauffälliger sie reist, desto besser.“
„Wenn ich du wäre, würde ich mir beim Gehen noch mehr Zeit lassen, Muriel“, schallte Marys Stimme vom Gang herein. William schnaufte unwillig aus. „Bis das Essen an den Tisch kommt, sind die Herrschaften verhungert.“ Marys Mund klappte beim Eintreten zu. Mit einem Topf ging sie an ihnen vorbei. Muriel tapste hinterher. „Fischsuppe“, wurden sie von Mary informiert, deren fleischige Wangen tiefrot und von blauen Äderchen durchzogen waren. Vorsichtig stellte die Köchin den Topf auf den Tisch und wartete, bis Muriel die Karaffe Wasser abgestellt hatte. Dann zog sie die Magd am Ärmel mit sich hinaus.
„Man erzählt sich, dass du einen Mitstreiter im Kampf gegen England hast“, schlug der Vater einen versöhnlichen Ton an. Niemand hatte sich von der Stelle gerührt. „Ich hörte nur Gutes von diesem Normannen. Wie heißt er gleich?“
„Andrew de Moray“, kam es patzig zurück. „Auch einer, der sich weigert Edward die Treue zu schwören.“
Jodie schwante Böses.
„Du hast mich einen Landesverräter genannt“, hielt der Vater ihm prompt vor.
„Weil ich dich weder damals noch jetzt verstehe! Wie konntest du unterzeichnen?“
„Im Gegensatz zu dir habe ich Familie.“
„Man kann eine Familie und eine Überzeugung haben. Hätte ich meine verleugnen sollen? Was wäre ich für ein Diener Schottlands?“
„Um seinem Land zu dienen, muss man nicht andere unnötig in Gefahr bringen.“
„Du bist so zynisch, Vater“, redete sich William weiter in Rage, „was ist mit Jodie? Bringst du sie etwa nicht in Gefahr? Dreh und wende ruhig weiter jeden Stein, aber die Wahrheit findest du nicht, indem du die Schuld immer bei anderen suchst. Sie liegt offen vor dir, du musst nur aufmerksam hinsehen. Aber du hast schon immer den bequemeren Weg gewählt. Das beste Beispiel dafür ist die Ragman Roll.“
Die Faust des Vaters schlug auf dem Tisch auf. Das Geschirr klirrte grell. „Verdammt, William, ich kann jeden Tag in die Kirche gehen und in Wahrheit an einen anderen Gott glauben. Die innere Haltung hat nichts mit einer Unterschrift zu tun.“
„Doch, denn damit bezieht man eindeutig Stellung. Sogar dein Treuegelöbnis an England würde mir eine Spur Respekt abverlangen, stündest du wenigstens dahinter. Aber das tust du nicht. Umso feiger finde ich dein Tun. Entweder glaube ich an mein Land und handle danach oder ich sympathisiere mit dem Feind. Jeder Mensch hat eine eigene Meinung. Wo ist die deine, Vater? Du verleugnest beide Seiten, so wie du auch jene Nacht verleugnest. Mutter kreidest du an, was sie getan hat. Statt dir selbst anzukreiden, was du nicht getan hast.“ Als der Vater alarmiert zu Jodie blickte und etwas sagen wollte, machte William eine herrische Handbewegung. „Jodie weiß über alles Bescheid und wenn du mich fragst, war das längst überfällig. Nur Mutter tappt völlig im Dunkeln, obwohl es sie als Erste etwas anginge. Und jetzt sag mir, was hätte sie sonst tun sollen? Sich betrinken, so wie du? Mein Gott, Vater, sie ist ein Opfer und keine Täterin.“
„Das geht nur deine Mutter und mich etwas an“, maßregelte der Vater ihn mit zittriger Stimme. „Umso weniger hattest du das Recht mit Jodie darüber zu sprechen.“
„Wieso? Wird dir langsam klar was du uns allen jahrelang zugemutet hast mit deiner verdammten Selbstgerechtigkeit? Nicht anders agierst du, wenn es um Schottland geht.“
„Ich versuche auf meine Art für die Unabhängigkeit zu kämpfen.“
„Indem du Jodie zu Bruce sendest? Wieso reist du nicht selbst nach Glamis und regelst zum ersten Mal in deinem Leben etwas wie ein Mann?“
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