Neckisch zog sie an seinen Haarspitzen. „Versprochen?“
„Mein Ehrenwort.“ Ian hob die Hand zum Schwur.
Mit einem gutmütigen Blick ließ sie sein Haar los. „Übrigens, dein Lieblingsonkel lässt dir Grüße ausrichten.“
„George? Hast du ihn getroffen?“
„Er hat uns geschrieben. Ich gebe dir den Brief morgen“, jetzt grinste sie, „Charlie.“
Ian lachte. „Den Namen habe ich lange nicht mehr gehört.“
„Ich weiß.“ Kurz blickte Isabella auf den silbernen Fürspan, der sein Tuch an der Schulter zusammenhielt. Sie hatte Ian die Brosche zum letzten Geburtstag geschenkt. „Schön, dass du sie ständig trägst“, lobte sie ihn, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Gute Nacht.“
Als er wieder alleine war, starrte er eine Weile zum Tonnengewölbe hoch. Mit Sinas Gesicht vor sich, die sich erneut in seine Gedanken drängte. Wut packte ihn und er wünschte sich die Fähigkeit, sich das Herz aus der Brust reißen zu können.
Du bist der einzige Mann, den ich liebe .
Lächelnd hatte sie ihm ständig dieses Märchen aufgetischt und er hatte es nur allzu gerne für bare Münze genommen. Obwohl er immer wieder Gerüchte hörte, dass Sina und Bruce eine Affäre hätten. Doch das hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können und nur darüber gelacht. Immerhin wusste Bruce von der Verlobung mit Sina, und zu diesem Zeitpunkt machte er Isabella bereits den Hof. Aber irgendwie schien das Ganze mehr an ihm genagt zu haben als er es sich eingestanden hatte Kurzerhand erzählte er Sina eines Abends von den Gerüchten - das war genau heute vor drei Jahren gewesen.
Wie lächerlich, Liebster, hatte Sina ausgerufen. Du glaubst das doch hoffentlich nicht. Robert ist ein Windhund. Außerdem der Verlobte deiner Schwester und absolut kein Mann, bei dem ich schwach werden könnte. Aber wer weiß, womöglich hat er die Gerüchte selbst in die Welt gesetzt, eingebildet und verlogen wie er ist. Da bist du Gott sei Dank ganz anders. Es ist deine Ehrlichkeit, die mich so maßlos anzieht, und deine Zärtlichkeiten bringen mich zum Beben. Also was soll ich mit einem verlogenen Bübchen, wenn ich einen ganzen Kerl haben kann?
Mit besagtem Bübchen war sie im Bett gelandet. Ian hatte die beiden in flagranti erwischt. Ein Anblick, den er nie vergessen würde. Sina hatte Bruce mit unverhohlener Leidenschaft geküsst und ihren nackten Körper an seinen gepresst. Seitdem hasste er Bruce abgrundtief, Sina nicht weniger, die er seitdem nie wiedergesehen hatte. Die beiden waren für ihn gestorben. Auch, weil sie damit Isabella zutiefst verletzt hatten, die natürlich irgendwann davon erfuhr. Völlig verstört hatte sie ihn nach der Wahrheit gefragt, die er ihr so behutsam wie möglich beibrachte. Wut, Enttäuschung, Tränen - alles hatte er danach erwartet - aber nicht, dass sie Bruce in der nächsten Sekunde verzieh statt sich von ihm zu trennen.
Seitdem duldete Isabella stillschweigend nicht nur jede Liaison, sie entschuldigte sie sogar mit jeder erdenklichen Ausrede. Selbst das Bruce uneheliche Kinder haben sollte, kehrte sie unter den Teppich. Mitsamt der Information, dass er sich angeblich das Stillschweigen der Mütter erkauft habe. Nichts schien zu ihr durchzudringen, als hätte Bruce sie unter eine Glasglocke gestellt. Während er sich vor ihren Augen amüsierte, litt sie Höllenqualen. Obwohl Isabella das nie zugeben würde. Doch er kannte seine Schwester besser als sie glaubte.
Sie war nie selbstbewusst gewesen, aber seit es Bruce gab, traute sie sich fast gar nichts mehr zu. Fand sich durchschnittlich und betonte ständig ihr Glück, dass ausgerechnet ein Mann wie er um ihre Hand angehalten hatte. Ihre Empathie, die Gutherzigkeit und das große Herz, über allem lag ein trauriger Schatten. Beinahe jede Geste, jeder Blick wirkte fast entschuldigend. Es tat weh sie so zu sehen. Zu wissen, wie offen und fröhlich sie sein konnte, wenn Bruce nicht da war. Doch sie war alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen. Trotzdem würde er sie in dieser Hinsicht nie verstehen und sich für keine Liebe auf dieser Welt so aufgeben wie sie es tat, oder still vor sich hin leiden. Bruce merkte davon natürlich nichts - oder er wollte es nicht merken - sondern hurte weiter durch fremde Betten.
Ian widmete sich den Resten, blies dann zwei Kerzen aus und nahm die dritte mit ins Schlafzimmer, das im Westflügel lag. Nachdem er die Kerze auf den Nachttisch gestellt hatte, legte er sich auf das Bett und verschränkte die Hände im Hinterkopf. Dabei dachte er an seine glückliche Kindheit, die jedoch vom viel zu frühen Tod der Mutter überschattet wurde. Aber dank Louise de Valé, die sein Vater als Erzieherin eingestellt hatte, konnten die Wunden heilen, denn sie war wie eine Mutter für seine Geschwister und ihn gewesen. Fürsorglich und warmherzig, mit viel Sinn für Humor. Oft hatte sie sich allerhand Streiche mit ihnen ausgedacht und nannte sie ´Mes cinq enfantsˋ. Jedes aufgeschürfte Knie wurde von ihr persönlich verarztet, jede Träne fortgeküsst und jedes ihrer fünf Kinder war zutiefst erschüttert gewesen, als sie vor einem Jahr gestorben war. Seitdem schien das Haus leerer als je zuvor. Louise fehlte ihm schrecklich. Deswegen besuchte er nicht nur das Grab der Mutter, sondern auch Louises fast jeden Tag. Im Park, unter der schiefgewachsenen Kiefer, die sie so sehr geliebt hatte. Dass sie ihre letzte Ruhestätte auf dem Familienbesitz fand, war von seinem Vater veranlasst worden. Louise hatte keine Verwandten und doch eine Familie gehabt. Selbst sein Vater hatte ihren Tod beweint.
Nicht der Tod ist das Ende , erinnerte sich Ian an Louises Worte zurück, die sie nach dem Debakel mit Sina zu ihm gesagt hatte, sondern jedes Leben, das nicht gelebt wird. Deshalb solltest du alles Schlechte abwerfen, und dann fülle dein Leben erneut - auf verschwenderische Weise. Mit allem, was du hast. Mit allem was du bist und mit allem, was du geben kannst.
Es war anzunehmen, dass Louise damit keine Beteiligung an den schottischen Aufständen gemeint hatte, dennoch würde sie seine Pläne unterstützen, dessen war sich Ian sicher. Weil es sein Weg war. Ja, verdammt, er wollte leben. Sich spüren und etwas Sinnvolles tun. Nicht jeden Tag mit Papieren verplempern. Wozu hatte er fähige Männer wie Lionel?
Je näher der Abschied von Elderslie rückte, desto mehr bekam es Jodie mit der Angst zu tun. Wie ein Vogel, der zwar immer fliegen wollte, aber überfordert war, sobald man ihn aus dem sicheren Nest warf. Zwar versuchte sie gefasst aufzutreten, doch das zerrte an ihrer Kraft.
Ebenso wie das Schicksal ihrer Mutter. Jetzt, da sie darüber Bescheid wusste, wäre sie gern für sie dagewesen und wollte sie nicht alleine lassen. Gleichzeitig fühlte Jodie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie endgültig mit dem Vater aneinandergeraten würde.
„Hast du alles für morgen, Kind?“ Die Mutter blickte auf die Truhe.
Jodie nickte. Gerade hatten sie die wenigen Habseligkeiten gepackt. Um nicht aufzufallen, musste sie sich auf das Nötigste beschränken. Mary hatte in der gebotenen Eile abgetragene Kleider auf dem Markt besorgt. Muriel lieh ihr zusätzlich das einzige, das sie besaß. Nun lief die Magd in Jodies grünem Lieblingskleid herum und sie würde ab morgen das zerschlissene braune tragen. Der bloße Gedanke daran löste einen regelrechten Juckreiz aus.
„Die Papiere auch?“, erkundigte sich die Mutter zum dritten Mal.
„Ich habe sie unter den Kleidern verstaut.“
„Stimmt, das sagtest du ja bereits. Tja dann, Muriel Healy aus Perth.“ Ihr Lächeln war traurig. Jodie wurde noch schwerer ums Herz. „Während der Reise solltest du den Namen verinnerlichen“, gab die Mutter ihr mit zitternden Lippen einen Rat, bevor sie ihr das Kreuzzeichen auf die Stirn machte. „Wir sehen uns beim Abendessen.“ Ihre Mutter fuhr sich mit den Händen über das Kleid. „Unser letztes gemeinsames Abendessen“, wisperte sie, bevor sie hinauseilte.
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