„Ich wünschte, ich hätte dein Verständnis.“
Liebevoll legten sich die Hände der Mutter an ihre Wangen. „Wenn ich eins gelernt habe, dann ist es die Erkenntnis, dass man nichts erzwingen kann. Entweder löst sich etwas von selbst oder es soll nicht sein. Alles was ich dir wünsche ist ein glückliches Leben. Einen Mann, der dich auf Händen trägt. Denn es gibt sie tatsächlich, die schlechten Männer. Aber es gibt auch die guten.“
Iverness
Die Schrift auf dem Dokument verschwamm. Müde rieb sich Ian die Augen und massierte seinen Nacken. Obwohl er sich vorgenommen hatte etwas zeitiger ins Bett zu gehen, hatte er es wieder einmal nicht geschafft. Die Verwaltung des riesigen Familienbesitzes war einfach zu zeitraubend und die Tage oftmals zu kurz. Manchmal fühlte er sich regelrecht erschöpft. Vor allem, seit sich sein Vater von den laufenden Geschäften zurückgezogen hatte, um sich politisch noch mehr zu engagieren.
Gähnend schob Ian die Dokumente zusammen und erhob sich, um in die Küche zu gehen. Wie erwartet fand er auf dem Arbeitstisch zwei Scheiben Brot vor, seinen Lieblingskäse Cheshire und Oliven. Drei Kerzen brannten auf dem Fenstersims und spiegelten sich im Glas, hinter dem die Dunkelheit wie ein schwarzer Samtmantel lag.
Lächelnd griff Ian zum Brot und dankte seiner Schwester im Stillen. Isabella kannte seine nächtliche Angewohnheit und sorgte jeden Abend dafür, dass das Küchenpersonal diese kleine Aufmerksamkeit nicht vergaß.
An die Kante gelehnt ließ es sich Ian schmecken, auch wenn die Brotrinde bereits hart geworden war. Dabei fragte er sich wie so oft, ob es das gewesen war mit seinem Leben, weil es abgesehen von seiner Arbeit keinen wesentlichen Inhalt hatte. Natürlich war er dankbar dafür, dass er keine finanziellen Sorgen hatte. Doch seine Tätigkeit erfüllte ihn nicht mit Stolz. Vor allem, wenn er an die vielen Männer dachte, die sich um Andrew de Moray scharten. Oder um diesen Wallace, von dem man immer öfter hörte. Sie taten wenigstens etwas Sinnvolles und verbrüderten sich, um Englands Pläne zu vereiteln.
„Hast du einen Geist gesehen?“
Ian schrak hoch. „Isabella! Was machst du um diese Zeit in der Küche?“
„Ich wollte nachsehen, ob du schon gegessen hast.“ Das weiße lange Nachthemd flatterte um ihre schmalen Fesseln, als sie barfuß zu ihm tapste und sich neben ihn stellte.
Er lachte gutmütig. „Sicher.“
„Dir kann ich wohl nichts vormachen.“ Ihr ansonsten ansteckendes Lachen wirkte aufgesetzt. „Nun ja, in letzter Zeit schlafe ich schlecht“, informierte sie ihn dann.
„Sicher wegen deiner bevorstehenden Hochzeit mit Bruce“, frotzelte er. „Da würde ich auch Albträume bekommen.“
„Wie lange wollt ihr euren Kleinkrieg noch weiterführen, Ian?“ Ihr brünettes Haar glänzte im Kerzenschein.
„So lange es nötig ist. Ich kann den Burschen nicht ausstehen. Zumal Bruce die Roll erneut unterschrieben haben soll.“
„Viele Familien sind wegen der politischen Lage zerstritten. Lass nicht zu, dass das auch mit uns geschieht. Ich liebe Robert - mit allen Konsequenzen - aber über kurz oder lang wird deine Feindseligkeit ihm gegenüber zwischen uns stehen. Willst du das?“
„Natürlich nicht, und das weißt du.“
„Dann miss nicht mit zweierlei Maß. Unser Vater ist ebenfalls kein Unschuldslamm in politischen Dingen oder was König Edward betrifft.“
„Was ich zuletzt gutheiße.“
Ihr Vater war der Earl of Mar. Ein Ritter des Hochadels und einer der sieben Hüter Schottlands. Ein hohes Amt, das einer Regentschaft gleichkam. Aber vor kurzem war bekannt geworden, dass sein Vater mit König Edward gemeinsame Sache gemacht hatte. Nur deshalb war es Edward vermutlich gelungen, Schottland unbemerkt zu unterwandern.
Davon abgesehen spielte der Vater ein doppeltes Spiel. Zwar drängte er Bruce dazu, die Krone einzufordern, hielt sich aber nach wie vor König Edward warm.
Die Kehrseite des Ganzen war indes die Tatsache, dass sein Vater stets gut für sie gesorgt hatte und ein warmherziger Mensch war. Es fiel ihm daher schwer, ihm dasselbe Unverständnis entgegenzubringen wie Bruce. Außerdem hatte die Aversion gegen seinen zukünftigen Schwager einen weitaus triftigeren Grund.
„Unser Bruder Gartnait bemüht sich übrigens um Christina“, ließ Isabella ihn wissen und kratzte sich auf der Nase. „Sie hat es mir gestern erzählt.“
„Vater wird sich freuen, dass unser Bruder keine Zeit verliert.“ Seit kurzem forcierte der Vater die Verbindung zwischen Gartnait und Bruces Schwester Christina. Das zeigte umso mehr, wie sehr er insgeheim darauf hoffte, dass Bruce tatsächlich eines Tages schottischer König werden würde. Gartnait unterstützte die Pläne des Vaters. „Wie steht Christina dazu?“
„Nun ja, du kennst sie. Ihr gefallen Männer wie Andrew de Moray. Verwegen und mutig. Allerdings scheint Gartnait die richtige Taktik gefunden zu haben, um ihr Herz zu erobern. Sie hat regelrecht von ihm geschwärmt.“ Isabella war gut mit Christina befreundet und drückte Ians Hand, bevor sie sie zurückzog und mit den Bändchen am Ausschnitt spielte. „Ist es nicht wunderbar, wenn man aus Liebe heiraten darf? So wie ich“, meinte sie mit verklärtem Blick.
Isabella war schon immer hoffnungslos romantisch gewesen. Streit und Zwist waren ihr hingegen ein Gräuel. Ian kannte niemanden, der so war wie sie. Egal wie seine Schwester behandelt wurde, sie glaubte unbeirrt an das Gute in jedem Menschen. „Ich gönne dir dein Glück, aber muss es ausgerechnet Bruce sein?“
„Sina?“, stellte sie eine Gegenfrage und brachte ihn damit aus dem Konzept. „Es ist Jahre her, Ian. Du solltest die alten Geschichten endlich vergessen. So lange du das nicht tust, wird keine Frau je eine Chance bei dir haben.“ Ihr kokettes Lächeln erreichte ihn nicht. „Dabei himmeln sie dich reihenweise an und ich habe jede Menge damit zu tun, ihre neugierigen Fragen zu beantworten. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Liebesbriefen, die ich horten muss. Aber dank dir kann ich mich wenigstens vor Einladungen kaum retten.“
„Na siehst du, dann genieße das und erspare mir die ständigen Verkupplungsversuche.“
„Ach Ian, so kann es nicht weitergehen. Willst du ewig alleine bleiben? Und was ist mit Kindern? Du hast dir immer eine Familie gewünscht.“
„Vorerst habe ich von Frauen die Nase gestrichen voll. Sollte sich das ändern, wirst du es als Erste erfahren.“
Sie rollte mit den Augen. „Wann soll das sein? In zwanzig Jahren? Einen alten Tattergreis will keine mehr haben, glaub mir.“ Der Schalk blitzte aus ihren Augen. „Dabei könnte ich dir auf Anhieb einige Damen nennen, die dich mit Kusshand nehmen würden.“
„Welche denn? Reingunde?“
Isabella lachte herzlich auf. „Roberts Köchin würde dich tatsächlich sofort heiraten. Aber keine Sorge, an sie habe ich nicht gedacht.“ Ihre Heiterkeit verschwand so schnell wie sie gekommen war. „Bitte denk wenigstens darüber nach. Du musst endlich damit aufhören, dich einzuigeln. Ich mache mir Sorgen.“
„Das musst du nicht.“
„Doch, das muss ich. Umgekehrt würde es dir nicht anders gehen.“
Ian stopfte sich eine Olive in den Mund. Das Gespräch lief wieder in eine Richtung, die ihn störte. Weil er sich zum einen genierte, dass er der Sache mit Sina immer noch eine so große Bedeutung beimaß, und zum anderen ärgerte er sich über Isabella. Darüber, dass sie scheinbar vergessen hatte, was Bruce für ein Schwein sein konnte. „Hat dein Verlobter wenigstens einen Hochzeitstermin festgelegt?“
„Noch nicht, aber er hat uns nach Glamis eingeladen.“ Ians Laune sank noch tiefer. Zaghaft legte Isabella ihre Hand auf seinen Arm. „Bitte, vertragt euch.“
„Dir zuliebe werde ich mich zusammenreißen“, gab sich Ian geschlagen, „und Bruce weder erwürgen noch erdolchen oder zerstückeln. Nur schade, dass er nicht wie angekündigt zu uns kommt. Deswegen werde ich das ausgehobene Loch wieder zuschütten, hole den Strick vom Baum und befestige die losen Bretter auf der Zugbrücke. Zufrieden?“
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