Leicht verwirrt beschnüffelte er das Sweatshirt, die Bettdecke und anschließend auch noch die Matratze.
»Komisch, wieso riecht es hier nicht nach Stroh? Und wir sind auch nicht im Haus am Fluss. Wo bin ich? Und wie bin ich hier her gekommen? Ragnor, mir gefällt das nicht!«, bemerkte er verunsichert und mit Panik in den Augen.
Nun wurde es Zeit, ihm die Wahrheit zu sagen.
»Hör zu, dies ist nicht das Haus am Fluss, auch nicht Walhalla, denn das gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Die Götter haben uns belogen. Dies ist ein Hotel, so etwas wie eine Herberge, nur ohne diese lästigen Läuse und Flöhe. Stroh gibt es nicht mehr in der Matratze, sondern Kunststoff. Egal, damit kannst du eh nichts anfangen. Ich bin auch nicht tot, sondern wieder untot. Und wie du hier her gekommen bist, das würde ich auch gern wissen.«
Mein Freund kratzte sich ausgiebig sein rotblondes Haar. »So weit ich mich erinnere, warst du tot und alle traurig. Wir verbuddelten dich unter einem großen Haufen schwerer Steine. Ich wollte dich ausgraben, aber Mala sagte, dass du da drinnen bleiben musst. Jule war traurig, Mara war traurig und der Große, ach ja! Gungnir – der war auch traurig. Aber uns wurde gesagt, dass du in Walhalla wärst und da wollte ich auch hin. Ging aber nicht, ich wollte ja nicht tot sein!«, berichtete mein Freund. Und ich war wirklich gerührt.
»Erzähl mal, was passiert ist. Lebtet ihr auf Høy Øya?«
Cedric guckte in die Luft, als ständen dort die Antworten auf meine Fragen geschrieben. »Ja, aber nicht lange. Die komischen Metallmänner kamen und wollten uns holen, doch Thorfried und die anderen konnte sie abwehren. Aber wir wollten die Dorfbewohner nicht in Gefahr bringen, deshalb flohen wir. Wieso lebst, äh untotest du wieder?«
Kurz nachdem Cedric gesprochen hatte, griff ich zum Telefon und orderte beim Zimmerservice, der zum Glück rund um die Uhr zur Verfügung stand, einmal die Getränkekarte rauf und runter. Da ich noch einen Bericht schreiben musste, würde ich mir meinen Drink erst einmal bei Seite stellen. Cedric hatte sehr viele Fragen an mich und ich auch an ihn. Wie konnte ich nur so dumm sein, anzunehmen dass Mala und die Kinder unbehelligt auf der Insel weiterleben konnten? Wach auf Ragnor, du alter Träumer! Aber den weiteren Verlauf hatte Cornelius mir nicht erzählen können, weil er noch vor Anwesenheit der Michaeler wieder von Høy Øya abgereist war. Deprimierend war es schon, dass Mala und die Kinder belästigt und vertrieben wurden, um nicht des Hochverrats angeklagt zu werden. Und mich hatten sie unter einem Steinhaufen verscharrt zurückgelassen. Dabei habe ich in unserer Hauptstadt-Villa eine schöne Familiengruft einrichten lassen. Aber das alles war leider durch meine schlecht überdachte Tat hinfällig geworden. Jetzt alles nacheinander. Wurde Zeit, dass ich Cedrics Fragen beantwortete.
»Ja, wie gesagt, es ist eine seltsame Geschichte. Zuletzt war ich in der Hauptstadt und hatte den Lord gelyncht, und aus Dank hatte mich wiederum der Pöbel gelyncht. An das Nächste, woran ich mich erinnern kann ist, dass ich in einem Raum erwachte, der sich völlig von allem unterschied, was ich davor kannte. Später stellte sich heraus, ich war über sechshundert Jahre tot gewesen. Doch sie holten mich wieder zurück. Nun arbeite ich für eine geheime Organisation, die sich Salomons Ring nennt und wir bekämpfen Dämonen, Monster und alles, was aus der Dämonendimension kommt. Ob du es glaubst oder nicht, aber weißt du wer hinter all dem steckt?«
Da ich nicht davon ausgehen konnte, dass Cedric auch nur einen blassen Schimmer hatte, verriet ich es ihm.
»Es ist Cornelius, er hatte sich damals, als im Reich der Teufel losbrach, mit seiner Tochter Diana in Sicherheit gebracht. Und jetzt hat er diese überaus humanitäre Stiftung gegründet. Er wird übrigens schon bald hier sein.«
Ein Klopfen an der Tür ertönte und ich wuchtete mich vom Bett hoch und öffnete. Der Servierer wurde abgewimmelt, indem ich ihm ein angemessenes Trinkgeld gab und den Blick ins Zimmer versperrte. So rollte ich den Wagen, der über und über mit Flaschen bedeckte war ans Bett. Schnell brachte ich meinen Kumpel Jim Beam in Sicherheit. Auch Brutus schien hungrig, so schnitt ich das Steak, das ich für ihn geordert hatte, in für Chihuahuas geeignete Stücke und stellte den Teller auf ein Handtuch, damit der kleine Hund nicht alles voll kleckerte. Als das erledigt war, fuhr ich fort.
»Ja, da ich für Cornelius arbeite, der übrigens jetzt Sal heißt, wurde ich hier mit Barbiel, Dracon und Silent Blobb nach Paris beordert. Du kannst Brutus vorsichtig streicheln, aber lasse ihn erst einmal fressen. Wir befinden uns in Frankreich. Du kennst doch sicherlich die Provence, Bretagne, die Normandie und Gallien. Jedenfalls das Gebiet, worum sich auch immer die Engländer stritten. Das alles gehört jetzt zur Republik Frankreich, nachdem sie keinen König und Kaiser mehr haben. Und das Gebäude, in dem du vorhin warst, das ist der Louvre. Und hier ist das Hotel Le Meurice, Paris. Ja, hier ist alles sehr sauber.«
Cedric sah mich an, wurde käseweiß und seine Unterlippe begann zu beben. Darauf brach er in Tränen aus.
»Oh Paris, hm. Du sagtest du hast meinen Vater ermordet? Wie konntest du das tun? Er war doch mein Vater!«
Als hätte ich es nicht schon geahnt, bewirkte meine etwas flapsige Aussage zu seinem Vater das, was ich befürchtet hatte. Cedric jaulte. Selbst Brutus ließ sich nicht davon abbringen, in das Geheul mit einzustimmen. Obwohl er Lord Seraphim überhaupt nicht kannte, dieser dumme Köter! Gut, dass meine Zimmernachbarn nicht da waren, sonst hätten sie vermutet, ich würde in meiner Freizeit Hunde vergewaltigen. Da ich nicht gut im Trösten bin, tätschelte ich Cedrics Schulter und sagte: »Na, na... «
… Was ist? Ich bin nun mal nicht gut im Trösten. Meine Kinder haben nie geweint. Die Zwillinge brachten eher andere zum Weinen, Jule war eine geborene Frohnatur und Mara hatte das säuerliche Wesen ihrer Mutter geerbt. Im Grunde bereue ich den begangenen Mord an Seraphim nicht. Ich dachte, damit tue ich etwas Gutes. Das einzige Übel, das daraus erwuchs war, dass meine gesamte Familie unter den Folgen meiner Tat leiden musste. Und nun heulte Cedric wie ein Schlosshund, wobei ich befürchtete, dass er sich gänzlich in blutige Tränen auflösen würde. Schnell reichte ich ihm mein Taschentuch.
»Ja, was soll ich sagen? Ach, lass es einfach raus. Dennoch solltest du nicht vergessen, dass er dich in den Kerker werfen ließ und anschließend noch ein paar Mal versuchte, dich umbringen zu lassen.« So tätschelte ich ihm abermals die Schulter.
Als er meine Worte verinnerlichte, stoppte er sofort die Aktion und überlegte, was mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam.
»Oh, ja! Das stimmt. Er war ein ganz böser Mann und hat vielen weh getan! Wenn ich es mir so überlege, dann ist es gar nicht so schlimm.«
Zur Versöhnung reichte ich ihm eine Flasche Hochprozentiges. Im Gegensatz zu menschlichen Speisen, zeigte der Alkohol eine beruhigende Wirkung auf den Kleinen. Okay, jetzt werden wieder ein paar Moralapostel entsetzt auf brüllen, dass man Kindern keinen Alkohol geben darf. Aber im ernst. Cedric war über 600, damit eindeutig kein Kind mehr!
Nachdenklich schüttelte ich den Kopf, als er sich die hochgeistige Flüssigkeit wie Wasser in die Kehle goss.
»Kannst du dich noch an das letzte Datum erinnern? Und eine ganz wichtige Frage. Wohin sind Mala und die Kinder gefahren?«
Wenn ich wenigstens wüsste, wo ich die Gräber meiner Frau und der Mädchen finden konnte, wäre es für mich ein schwacher Trost sie umbetten zu lassen.
»Du warst noch nicht lange tot, höchstens ein paar Tage. Ich kann mich genau an eine Insel erinnern. Ja, wir wollten nach England fahren. Doch Rahan weinte und wollte nicht dort hin, weil es dort so hässliche Frauen gab. Gungnir sagte, die Engländer wären ohnehin alle schwul und dort gäbe es nichts mehr zu holen, weil die Wikinger schon alles abgeräumt hätten. Dann fuhren wir weiter, auf eine andere Insel. Da gab es nette Leute mit roten Haaren. Sie tanzten immer so im Kreis, zu Flöten- und Harfen-Musik. Dazu kam noch die wirklich lustige Sprache. Es war wie im Himmel, echt schön dort. Irrenland, oder so. Gungnir sagte, dass wir über Eisland und Grünland nach Vinland fahren wollten, da gäbe es einen Landstrich, der Manahatta hieß. Dort haben alle Menschen rote Haut und schwarze Haare. Sie seien friedlich und nur böse, wenn man ihnen Milch zu trinken gibt. Deshalb ließen wir auch die Kühe zuhause«, berichtete Cedric aufgeregt und nahm noch einen Schluck.
Читать дальше