Er hatte nicht gezögert, sie zu heiraten und Raaks Kinder als seine aufzuziehen, damit sie nicht in Gefahr gerieten. Insofern waren sie tatsächliche seine Familie, wenn auch nicht so, wie es der äußere Schein Glauben machte.
Aber was sie nun von ihm verlangte, hätte er sich nie träumen lassen.
Cohen ließ den Kopf hängen.
»Ich weiß, du hast andere Sorgen als mich.« Sigha setzte sich neben ihn und streichelte ihm mit ihren schlanken Fingern den Nacken. »Aber vergiss nicht, dass du immer die Wahl hast, einen anderen Weg einzuschlagen.«
»Ich halte dich nicht auf, wenn du zu den Rebellen gehen willst«, flüsterte Cohen. »Aber um deine Kinder zu schützen, muss ich dir sagen, dass es euer Tod sein wird.«
»Ich werde nicht gehen, Dummkopf! Aber warum bist du deinem Vater weiterhin so treu? Er ist nicht einmal mehr in der Lage, seine eigenen Söhne vor seinen Hintermännern zu bewahren, und du wirst ihr nächstes Ziel sein. Du solltest etwas unternehmen!«
»Und was?«, zischte er sie an. Es tat ihm sofort leid, als sie ihn schockiert ansah.
Er blinzelte und schüttelte traurig den Kopf. »Verzeih. Es ist nicht deine Schuld.«
Aber sie war ihm nicht böse, sie wusste, dass er nicht hitzköpfig war. Nur der Umstand, dass er eine schlimme Zeit durchlebte, sorgte dafür, dass er unausstehlich wurde. Cohen schämte sich, weil sie es abbekam.
»Das mit Sevkin tut mir leid«, hauchte sie ihm zu. Sigha hatte sich nach der Hinrichtung um Cohen gekümmert, der Wochenlang nicht aus dem Bett aufgestanden war.
»Es ist nicht mehr zu ändern.« Cohen starrte grimmig vor sich hin. Eines Tages, schwor er sich, würde er seinen Bruder rächen.
Sigha nahm seine Hand in ihre und blickte ihm mitfühlend in die Augen. »Cohen, vergiss bitte eines nicht: Sevkin hat genau gewusst, was er tat und wie gefährlich es für ihn war. Du darfst nicht darüber hinwegsehen, dass er damit vor allem dein Herz brach. Du darfst auch wütend auf die Toten sein.«
Cohen wollte protestieren, aber das Mitgefühl seiner wunderschönen Frau trieb ihm nur Tränen des Kummers in die Augen.
Sigha hob ihren Arm und kämmte mit den Fingern durchs Cohen kurzes, braunes Haar. »Schenk mir noch ein Kind, Cohen.«
Ruckartig entzog sich Cohen der Berührung seiner Frau und stand auf. »Wie kommst du nur auf eine solche Idee, Sigha?«
Als er sich zu ihr umwandte, blickte sie nur umso entschlossener zu ihm auf.
»Ich war bei den Hexen«, erklärte sie.
Und da wurde ihm alles schlagartig bewusst.
Er stöhnte und wandte sich das Gesicht reibend von ihr ab. »Du solltest doch nicht mehr zu diesen Weibern gehen!«
Der Hexenzirkel hauste im Wald nahe bei der Burg, viele Bauersfrauen gingen zu ihnen und brachten ihnen Vorräte als Opfergaben mit, um etwas über ihre Zukunft zu erfahren. Und jede Frau, die dabei erwischt wurde, wurde zum Tode verurteilt. Denn Hexerei war verboten.
»Sigha, das ist gefährlich!« Cohen sah seine Frau wieder an. »Wenn die Wachen dich dabei erwischen …«
»Zeige ich ihnen meinen blanken Hintern«, scherzte sie und grinste frech.
Cohen schüttelte verdrossen den Kopf. »Ich kann dich nicht vor allem schützen.«
»Das sollst du ja auch nicht. Du sollst mir nur deinen Samen schenken.«
Cohen runzelte missgelaunt die Stirn und blickte zu Boden. Hatte sie nicht genug damit zu tun, zwei Mäuler zu stopfen, musste noch ein dritter Magen hungern?
»Sie sagten es mir«, flüsterte Sigha, ihr Mut sank allmählich, »die Hexen. Sie sagten, es wäre von größter Wichtigkeit, dass ich dein Kind gebäre. Für dich, ebenso wie für mich. Und die Götter werden mich dafür mit großem Respekt und Ansehen belohnen.«
Cohen schnaubte. »Ich dachte, daraus machst du dir nichts.«
»Was glaubst du, wer zuerst stirbt, sollte der Krieg uns hier einholen?« Sigha blickte ihn wissend an. »Die Bauern und die Armen. Die Menschen des Adels leben am längsten.«
Betroffen, aber außerstande um etwas zu sagen, starrte Cohen auf sie hinab. Sie hatte recht und er fühlte sich schuldig, weil er ihr nie mehr bieten konnte als dieses alte, morsche Haus.
Sigha erhob sich und leckte sich nervös die Lippen. Sie trat auf ihn zu, ihre Röcke wippten um ihre schmalen Knöchel, sie schwebte geradezu. Anmutig. Stolz.
»Du hast viel Wein getrunken«, sagte sie und legte ihm beide Hände in den Nacken um ihn zu sich heran zu ziehen. »Ich weiß, es wird für uns beide seltsam sein, bei einem so engen Freund zu liegen, aber ich glaube fest daran, dass nur Gutes dabei hervorgehen wird. Schenk mir ein Kind!«
Cohen hob die Arme und rieb sich das Gesicht. Er wollte nicht, dass sie seine Tränen in den Augen sah. Er wusste ja nicht einmal, ob er körperlich im Stande war, ihr das zu geben, wonach es ihr in dieser Nacht verlangte.
»Wünschst du dir keinen Sohn?« Sie lächelte, als er die Hände fallen ließ. »Du könntest tatsächlich einen Nachkommen zeugen.«
Cohen wünschte sich – wie jeder Mann in seinem Alter – sogar sehr einen Sohn. Oder eine Tochter. Völlig egal. Am besten beides. Er hätte vor einigen Jahren viel dafür gegeben, hatte den Gedanken aber wieder verworfen. Zwar war seine Ehe mit Sigha nur zum Schein, dennoch hatte er nicht gewollt, dass sie damit leben musste, dass ihr Mann Kinder mit einer anderen Frau bekam. Sie wäre dem fiesen Gespött der Nachbarn ausgeliefert gewesen.
Jetzt bot sie es ihm an, aber zu einem völlig ungünstigen Zeitpunkt. Er schüttelte den Kopf, er war nicht sicher, ob er wirklich konnte …
»Bitte. Tu mir diesen Gefallen«, bat sie und schmiegte sich mit ihren weichen Rundungen an seinen harten Körper. Es war ungerecht, weil sie wusste, dass er ihr unmöglich eine Bitte abschlagen konnte.
»Versuchen wir es. Nur dieses eine Mal«, bat sie ihn inständig. »Legen wir das Schicksal in die Hand der Götter, für die du kämpfst. Mögen sie entscheiden, ob du es wert bist, ein Kind zu erhalten.«
Und Cohen ließ sich zum Bett zerren …
Das Gasthaus Zum Raben war es an diesem Abend besonders gut besucht. Die Soldaten, die zusammen mit Lord Schavellen zu Besuch auf der Schwarzfelsburg waren, hatten sich zu einem Großteil in der Stammeskneipe des legendären Reitertrupps versammelt, ganz zum Verdruss der Reiter, die hier eigentlich ungestört unter ihresgleichen bleiben wollten.
Arrav trank den letzten Schluck seines wässrigen Weines aus und winkte einem der Mädchen, damit sie ihm nachschenkte. Er und seine Kameraden saßen an ihrem Stammtisch in einer hinteren Ecke, die Bar vor den Augen und die Vordertür zu Arravs Rechten. Während er mit großem Neid in den üppigen Ausschnitt der jungen Damen blickte, die sich über den Tisch beugte und seinen Becher mit dunkelrotem Wein füllte, betrachtete Solran, der dicht neben ihm saß, mit Argwohn die Soldaten an den anderen Tischen.
Sie lachten, sie grölten, sie grabschten nach den Mädchen – die auf die elegante Schönheit der Menschen aus den Ebenen hereinfielen. Ob schöner oder hässlicher Mann, Arrav und Solran wussten, dass es keinen Unterschied machte, wenn sich ein betrunkener Halunke über ein Mädchen hermachte, konnte es für die Dame unschön enden, egal, wie gutaussehend der Soldat auch sein mochte. Und mit Soldaten war ohnehin nie zu spaßen, nach dem Krieg waren sie alle ziemlich abgestumpft, viele ließen sich ungern erst willig machen und dann zurückweisen. Aber die dummen, kleinen Mädchen wussten das noch nicht, der Krieg war hier noch so weit entfernt, dass sie davon keine Ahnung hatten. Frohen Mutes schäkerten sie mit den Männern, ließen ihre Brüste aus den einfachen Kleidern herausfallen, um das Geschäft anzukurbeln.
Zum Ende der Nacht hin würden sie es alle bereuen.
Das blonde Mädchen, das Arrav einschenkte, lächelte ihm freundlich zu und zog dann wieder von Dannen, um sich lohnenswerteren Tischen zuzuwenden. Arrav schüttelte schlecht gelaunt den Kopf. Normalerweise standen sie bei ihm Schlange, wenn er ihnen die Ehre erwies, hier einzutrudeln. Unter den Adeligen mochten er und seine Kameraden nur Abschaum sein, aber das einfache Volk wusste, was sie leisteten. Hier waren sie Helden, und ein Held schlief in der Heimat nie allein.
Читать дальше