»Und hier bin ich«, es klang fast so, als verstünde er nun einiges mehr. Doch er sah Cohen verwirrt an und fragte neugierig: »Aber, wenn ich ein Verräter der Krone bin und gerade so dem Tod entkommen war, indem der König mich verbannte, statt hinrichtete, warum bin ich dann so dumm, zurückzukommen?«
Das bist du nicht. Wieder trat in Cohens Gesicht großes Bedauern. Dieser Luzianer war – trotz des Verlusts seiner Erinnerungen – ein überaus kluger Mann. Eine Schande, dass er so unehrenhaft sterben musste.
»Du hättest es verdient, in einem Kampf zu sterben«, platze Cohen heraus, eine Entschuldigung klang in seiner Stimme mit.
Der Luzianer blickte ihn überrascht an.
Cohen stand auf und kehrte ihm den Rücken zu, um sich zu fangen. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass dieser Luzianer ein Feind seiner Familie war und – wenn er seine Erinnerungen noch hätte – nichts mehr wollen würde, als Cohens Tod. Trotzdem war Cohen jemand, der einen anderen Mann auch dann respektieren konnte, wenn dieser sein Feind war. Darum ging es doch im Krieg. Dass wir nicht vergaßen, dass auch unsere Feinde lebende, fühlende Wesen waren. Der Luzianer hatte für seinen König gekämpft und getötet, ebenso wie Cohen es für seinen tat. Sie waren in diesem Sinne gleich, nur standen sie auf verschiedenen Seiten.
»Nimm das Messer.« Der Gefangene deutete Cohens Grübeln falsch, weil Cohen vor den Folterwerkzeugen stand. »Das kleine, rostige. Das tut am meisten weh.«
Cohen drehte sich zu ihm um und blickte voller Unverständnis auf ihn hinab. »Warum solltest du mir sagen, wie ich dir am besten Schmerz zufügen kann?«
»Deshalb bist du doch hier.« Die grünen Augen blitzten herausfordernd zu Cohen auf, es lag eine animalische Anziehungskraft in ihnen, die weit über das Natürliche hinausging. »Um mich zu foltern. Um dich zu rächen.«
Cohen starrte ihn mit offenen Lippen und einer tiefen Falte zwischen den braunen Augenbrauen an. Er konnte nichts dazu sagen.
»Wenn ich der bin, der deinen Großvater getötet hat, habe ich es wohl verdient, von dir gefoltert zu werden, hm?«
Es war nicht auszumachen, ob der Gefangene seine Worte ehrlich meinte oder ob Wut in seiner Stimme gelegen hatte.
Cohen blinzelte auf ihn hinab.
»Ihr verschweigt etwas, Prinz!« Der Gefangene zog verächtlich die Lippen hoch. »Und haltet mich nicht für dumm. Wenn der König, den ich tötete, Euer Großvater war, und der König, der derzeit die Krone trägt, Euer Vater ist, seid Ihr der Erbe.«
»Nein«, Cohen schüttelte entschieden den Kopf, »ich bin kein Prinz, ich bin nur ein Bastard.«
»Auch ein Bastard ist ein Sohn. Oder etwa nicht?«
»Ich bin kein Prinz.«
»Umso besser. Folter ist nicht gerade ein geeigneter Zeitvertreib für einen Prinzen, oder?«
Die Provokation in der Stimme des Luzianers ließ Cohen deutlich erkennen, welcher Mann hinter den Augen steckte, die trotz des Erinnerungsverlusts zu dem Krieger gehörten, über den so einige Gerüchte im Umlauf waren.
»Foltere mich!« Die Herausforderung klang fast nach einer Verführung. »Du wirst sehen, Bastard des Königs, dass es dir keine Genugtuung bringt.«
Cohen ging hinüber zu der Wasserschale und nahm sie mit zum Hocker, auf den er sich setzte. Ebenso herausfordernd fragte er den Luzianer: »Und wenn ich es nicht tue?«
»Du enttäuschst mich.«
»Du wirst nicht hier an deinen Verletzungen sterben«, Cohen sah den Mut aus den Augen des anderen Mannes schwinden. »Du wirst vor den Augen des Königs und seinen Verbündeten sterben, unter den Jubelrufen deiner Gegner.«
Der Luzianer mahlte mit den Kiefern, doch dann erwiderte er ruhig: »Ich höre deine Worte, doch ich sehe keine Leidenschaft in deinem Gesicht.«
»G`cuikr je nom Fiou, Tseogfouou, g`cuikr je miu.«
Sprich zu dem Tier, Flüsterer, sprich zu mir.
Cohen richtete sich wieder etwas auf, das Flüstern ignorierend.
Der Gefangene lächelte schief, es wirkte verschmitzt. »Du hast keine Freude daran, mich sterben zu sehen, Bastard. Und weißt du auch, woher ich das weiß?«
Cohen stellte die Schale auf dem Boden ab und benetzte den Lappen neu.
Als er nicht antwortete, sprach der Luzianer einfach weiter: »Weil du, wenn du Freude daran hättest, schon längst damit begonnen hättest, mich zu Tode zu quälen.«
Warum hast du ihn nicht einfach gefoltert, Cohen? Das musste er sich wirklich fragen. Aber was brachte es schon, einen Mann zu foltern, der tatsächlich nichts wusste. Es war pure Zeitverschwendung. Und würde ihm nur unnötig Alpträume bescheren.
Cohen sprach nicht weiter mit ihm, er wollte sich nicht provozieren lassen, obwohl es so verlockend war, sich mit dem Feind zu streiten und ihn für alles büßen zu lassen, was Cohen in den letzten Wochen wiederfahren war. Aber auch das machte letztlich wenig Sinn, denn die Folterung dieses Mannes würde Cohen Sevkin auch nicht wieder zurückbringen.
Nichts und niemand vermochte das.
»Ikr gceouo noilol Wousegf.«
Ich spüre deinen Verlust.
»Wann?«
Cohen runzelte die Stirn, er ließ sich viel Zeit damit, den Lappen auszuwringen, damit er dem intensiven Blick dieser grünen Augen nicht begegnen musste. »Wann was?«
»Die Hinrichtung. Wann ist sie?«
Wenn Cohen seinem Vater sagte, dass der Luzianer wirklich nichts wusste, dann war die Hinrichtung: »Morgen. Gegen Mittag.«
Der Luzianer drehte den Kopf, sodass er zur Decke blicken konnte. Es war nicht zu erraten, was ihm nun durch den Kopf ging.
Cohen sah ihn an und sagte: »Du wirst nicht der einzige sein.« Er wusste nicht, ob es das besser machte – vermutlich nicht – aber er wusste auch nicht, was er sonst sagen sollte.
Er hätte gar nicht anfangen dürfen, mit dem Gefangenen zu reden. Das war ein Anfängerfehler gewesen, den er seit Jahren nicht mehr begannen hatte. Vielleicht war er nach Sevkins Hinrichtung tatsächlich noch immer nicht ganz bei sich.
»Hm.« Mehr ließ der Gefangene nicht mehr von sich hören, und Cohen beschloss, ihn nicht aus seinen Gedanken zu holen.
Vorsichtig beugte er sich etwas über den anderen Mann und begann, ihm das Gesicht sorgfältiger zu waschen. Der Luzianer schloss nach Kurzem die Augen und schien zu erschöpft zu sein, um die gut gemeinte Geste seines Peinigers abzuwehren oder zu missbilligen.
Plötzlich drehte der Gefangene den Kopf und öffnete fragend die Augen. »Warum tust du das?«
Cohen zuckte mit den Achseln und faltete den Lappen zusammen, seine Haltung zeigte deutlich sein Unbehagen.
»Ich bin ein todgeweihter Mann«, sagte der Luzianer, und nun war ihm anzuhören, wie sehr ihn das in Trauer versetzte.
»Meine Mutter sprach einst zu mir, als ich noch ein Kind war«, begann Cohen und fuhr dem anderen gleich noch einmal mit dem Lappen über die Stirn, »dass ich, wenn ich einem anderen Wesen etwas Wohlwollendes tun kann – sei es noch so belanglos –, es auch tun soll.« Und er hatte im Krieg genug Schlechtes getan, er wollte nur einmal etwas Gutes für jemanden tun, der sterben musste. »Weil die Götter alles sehen. Und die wohl größte Sünde in den Augen der Götter ist es, einem anderen Lebewesen, ob Freund oder Feind, in der Not keine Hilfe zu leisten, oder in finsterer Zeit keinen Trost zu spenden.«
Der Gefangene betrachtete Cohen, während dieser sprach, neugierig. »Und wenn derjenige das gar nicht möchte?«
Cohen schüttelte den Kopf, er ließ ab von dem Gefangenen. »Der Versuch zählt.«
»Aha.« Der Luzianer musterte Cohens Gesicht herablassend. »Und du tust es, weil du es willst, oder weil es deine Götter von dir verlangen?«
»Udken sprach einst zu seinen Widersachern: Nur, weil wir Feinde sind, müssen wir nicht unmenschlich zueinander sein. «
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