Im Jahre 780 wurden unten in Ohrum Am Vaddernloch die Sachsen in Massen getauft, wobei ich nicht sicher bin, ob sie alle ganz freiwillig zur Taufe gekommen sind.
Die Bewohner von Lechede waren schlau genug, sich nicht allzu lange zu widersetzen, weshalb sie einigermaßen ungeschoren durch diese Zeit kamen.
Nach der Christianisierung wurde das ganze Land neu eingeteilt.
Jetzt gab es keine Stämme, keine Stammesfürsten und keine Gaue mehr. Statt dessen teilten Bischöfe das Land unter sich auf und nannten ihren Teil "Bistum".
Lechede gehörte zum neuen Bistum Halberstadt.
Die Straße, die von der Weser her durch die Oker führt, wurde ausgebaut bis Halberstadt.
Das war für die Lecheder kein Nachteil, eher im Gegenteil.
Das Dorf wuchs weiter und wurde gegen Übergriffe befestigt.
Der Bischof von Halberstadt ließ eine Kirche bauen und weihte sie dem Heiligen Stephanus. Gleich zwei Pfarrer setzte er zur Verwaltung der Gemeinde ein.
Das Land auf der anderen Okerseite erhielt der Bischof von Hildesheim. Auch nach dort wurde die Straße ausgebaut, allerdings gab es kein Dorf oder eine Ansiedlung an der Furt, weil es einfach zu morastig war, als dass man dort hätte siedeln können.
Der Bischof von Halberstadt konnte sich freuen.
Durch die gute Lage seines Dorfes Lechede und die dort gemachten Gewinne füllten sich seine Truhen.
Der Bischof von Hildesheim hatte dagegen keinen Grund zur Freude.
Die Reisenden zogen zwar durch die Okerfurt und durch sein Land, aber auf seiner Seite wurde kein Geld erwirtschaftet, das ihm zugute gekommen wäre.
Dieser Zustand missfiel ihm sehr, zumal er zuschauen musste, wie sich auf der Halberstädter Seite das Dorf langsam zu einer kleinen Festung entwickelte.
Eine Weile grämte er sich, dann ließ er eines Tages seinen treuen Gefolgsmann, den listigen Gulfher, zu sich kommen, legte ihm den Arm um die Schulter und sprach:
"Gulfher, du bist mein bester Mann, du bist schlau und du kannst mit Waffen umgehen.
Schau mal, dort an der Oker auf Halberstädtischer Seite entsteht langsam, aber sicher eine Festung, die mir nicht geheuer ist.
Ich fühle mich durch den Halberstädter bedroht, denn ich habe das Gefühl, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis mein frater in spirito die Oker überschreitet, um sich in meinem Gebiet breit zu machen.
Das möchte ich gern verhindern und du musst mir dabei helfen, mein Sohn.
Du bist doch kriegserfahren und weißt, wie ich meinen Amtsbruder reizen muss, damit ich einen Grund für ein kleines Scharmützel habe und ihm in dem Zuge seine Festung wegnehmen kann.
Mach dich ran, mein Bester, und entwickele einen Plan, wie wir dieses Kaff Lechede in unsere Gewalt bekommen!"
"Hm, nun ja", murmelte Gulfher, "sicherlich könnten wir versuchen, dieses Dorf anzugreifen und einzunehmen, mein Bischof.
Allerdings ist es gut befestigt und der Halberstädter hat weitere gut bemannte Burgen auf dem Weg zu seiner Residenz anlegen lassen, um den Handelsweg zu beschützen. In kürzester Zeit kann er von der nächstgelegenen Asseburg starke Kräfte heranschaffen und uns unter Umständen eine empfindliche Niederlage beibringen.“
"Das war aber eigentlich nicht das, was ich von dir hören wollte, Gulfher.
Wenn ich Klagen hören möchte, gehe ich zu meiner Mutter, denn die versteht sich ausgezeichnet darauf. Wenn ich dich rufe, möchte ich brauchbare Vorschläge hören.“
"Selbstverständlich, mein Bischof. Und einen solchen will ich Euch machen!
Ihr wollt das Dorf Lechede haben, weil es durch seine Lage gute Einkünfte einbringt. Das Dorf jedoch ist gut beschützt und nicht leicht zu haben. Wenn es euch also um die Einkünfte geht, dann schafft Euch doch ein eigenes Lechede auf Eurer Seite."
"Was redest du da, ich bitte dich! Auf meiner Seite gibt es nichts, das ausbaufähig wäre.
Lechede liegt auf einem natürlichen Hügel und ist trocken. Auf meiner Seite dagegen ist nur Morast, in dem die Pferde mitsamt den Wagen versinken. Lediglich der Weg nach Hildesheim ist benutzbar, weil er aufgeschüttet wurde und auf diese Weise einigermaßen trocken befahrbar ist.“
"Genau das meine ich, mein Bischof.
Wenn man einen Damm für einen Weg aufschütten kann, dann kann man auch einen Damm für ein Dorf aufschütten.
Ihr habt zwar keine Mergelkuhlen wie Euer Amtsbruder, aber ich weiß, dass es in der Nähe der Furt auf Eurer Seite eine Tonkuhle gibt, die auch schon für die Aufschüttung des Weges genutzt wurde.
Sie ist ergiebig und geeignet, mit dem Material ganz in der Nähe der Furt und direkt am Handelsweg einen Damm aufzuschütten und darauf einen befestigten Platz zu errichten.
Dann seid Ihr unabhängig und müsst nicht befürchten, den Halberstädter ständig im Nacken zu haben, weil er Euch sein Dorf wieder abjagen will.
Und bedenkt, mein Bischof, es ist nicht schwierig, das Dorf als Einnahmequelle auszuschalten, wenn man ein wenig stromabwärts den Fluss staut und auf diese Weise die Furt unpassierbar machen würde. Dann hättet Ihr nichts von Eurem Dorf, denn die Reisenden würden einen anderen Weg über den Fluss suchen. Ihr hättet dann nur Ausgaben, aber keine Einnahmen gehabt.“
"Hm, du bist schlau, Gulfher, und ich fürchte, du hast Recht.
Wie also stellst du dir vor, ein eigenes Lechede zu bauen? Und wer soll dort wohnen und dafür sorgen, dass die Reisenden ihr Scherflein abliefern?"
"Nun", sprach der listige Mann, "ich habe mir überlegt, dass wir zunächst mit den Bauern aus den umliegenden Dörfern Ton aus der Kuhle bei Fümmelse herbeischaffen lassen und ihn an der Stelle aufschütten, an der sich diese kleine Sandinsel an der Oker aus dem Sumpf erhebt.
Die ist zwar nicht so dicht an der Furt gelegen, wie das beim Dorf Lechede der Fall ist, aber diesen Nachteil können wir ausgleichen, indem wir den Bauplatz gleich so groß anlegen, dass Platz ist für eine ordentliche Besatzung und gleichzeitig für Durchreisende, die wegen der Wetterunbilden oder aus Angst vor Räubern oder einfach nur zum Ausruhen Zuflucht suchen wollen.
Das können sie nämlich in Lechede nicht.
Dort ist kein Platz, um ganze Handelskarawanen unterzubringen und zu bewirten. Dort hat man zwar den großen Stapelplatz, wo auch Speisen und Getränke ausgeschenkt werden, aber danach müssen die Reisenden weiterziehen, bis sie in der Asseburg unterkommen können.
Wenn wir auf dem Damm Unterkünfte schaffen, werden die Reisenden auf dem Weg von Hildesheim nach Halberstadt dort einkehren und Rast machen.
Dann habt Ihr die Einkünfte und Euer Bruder im Geiste wird sich grämen.
Das allerdings sollten wir bedenken, denn er wird nicht tatenlos zusehen, wie Ihr ihm das Wasser abgrabt.
Ich schlage daher vor, die Anlage von Anfang an mit Gräben und Mauern zu umgeben und so vor Übergriffen zu schützen.
Der Aushub aus den Gräben kann gleich zum Aufschütten des Dammes verwendet werden und die Steine für die Mauern könnt Ihr von der Weser kommen lassen.“
Und so geschah es.
Gulfher bekam den Auftrag, den Bau der Anlage zu überwachen und voranzubringen.
Während er den Sandhügel links des Handelsweges mit Ton aufschütten ließ, saßen in Lechede die Dörfler auf ihrer höchsten Erhebung, einem kleinen Hügel, den sie "Schildwiese" nannten nach seiner Ähnlichkeit mit ihren buckeligen Schilden und schauten interessiert dem Treiben jenseits der Oker zu.
"Wat schall dat weern??" fragte man sich.
"Dem Gulfher sin Gebuddele?? Na, dat ward doch nix, wirs seen", antwortete man und ging wieder an die Arbeit.
Aber Gulfhers Gebuddele gedieh und wuchs und breitete sich immer weiter aus, wurde zunächst zu einer von Wassergräben umgebenen Burg, dann zu einer Festung und bekam schließlich sogar eine Stadt hinzu, wie ihr sie heute kennt. Aber seinen Namen, den hatte der Ort weg:
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