Er lachte. „Warum? Willst du mir einen Antrag machen?“ Das war gemein von ihm und machte mich verlegen.
„Entschuldige Berthe, manchmal bin ich ein Ekel und kann sowas nicht lassen. Ja ich bin mit jemandem zusammen. Sie wird mit mir fertig und das ist keine einfache Übung, sag ich dir. Du musst sie kennen lernen.“ Er zögerte kurz, sprach dann aber mit einem festen Blick in meine Augen weiter. „Sie fängt nächste Woche hier an der Rezeption an. Aber behalte bitte für dich, dass sie meine Partnerin ist.“
„Warum?“
Wieder ein leichtes Zögern. „Vielleicht bekommt sie sonst die Stelle nicht. Ich bin nicht eben Magdas Liebling. Zu wenig Disziplin. Sie heißt Marie.“
Bestimmt entsprach das, was er mir sagte, der Wahrheit, aber ich spürte, dass es mehr Gründe gab und es ärgerte mich. Trotzdem würde ich nichts verraten.
„Berthe?“
„Ich verrate nichts.“ Im gleichen Moment wusste ich, dass er es spürte. Er betrachtete mich nachdenklich und sagte leise: „Sei mir nicht böse. Es geht nicht anders.“
Ich nickte und mein Vertrauen zu ihm war dank dieser Worte wieder hergestellt. Er hatte keine für mich schlechten Absichten, was auch immer hinter allem steckte.
Ich stieg bei ihm ein, um mit ihm einkaufen zu fahren und konnte für einen Moment meine trüben Gedanken vergessen. Ich freute mich über diese unwichtige Sache. Er kümmerte sich wohl mit Absicht so um mich. Das war kein Zufall. Doch wer oder was hatte ihn dazu veranlasst? Ließen mich Madeleine und Luc ausspionieren? Dagegen sprach sein Verhalten und sein Wesen. Ich ahnte etwas, schob es zur Seite und genoss einfach das, was mir der Tag Gutes anbot.
„Hilfst du mir bitte, an alles zu denken? Ich bin manchmal schusselig und vergesse die Hälfte, weil ich nicht auf die Liste sehe. Dann kann ich gleich noch einmal fahren.“
„Ausgerechnet ich soll dir helfen?“
Er schaute sich in alle Richtungen um. „Ja, du. Da ist sonst keiner.“
„Soll das ein Gedächtnistraining werden? Dann sag mir das und komm mir nicht mit solchen Ausreden.“
„Berthe, das ist ein Angriff. Es ist wie ich es sagte und nichts weiter. Ich gebe dir die Liste und du hilfst mir.“
„Befehl?“
„Himmel nein! Wer bin ich denn, dir etwas befehlen zu dürfen. Eine Bitte ist das zum Henker! Unterstell mir nichts. “ Nun war er ärgerlich. Er kniff den Mund zusammen und verschloss sein Gesicht. Bis zur Ankunft beim Laden sprach er nicht mehr. Ich berührte seine Hand. Er reagierte nicht darauf und ich wurde traurig. Aber er hatte mir gezeigt, dass er Temperament besaß. Ich seufzte und sah mir die vorbeihuschende Landschaft an. Als er anhielt, sagte er. „Nicht traurig sein. Ich war zu empfindlich. Es ist dir nicht zu verdenken, dass dir das durch den Kopf ging. Vermutlich macht jeder dauernd solche Dinge mit dir.“
„Ich wollte dich nicht verletzen.“
„Hör zu, Berthe, sieh mich an. Es gibt Dinge, die kann ich dir jetzt nicht sagen. Aber das heißt nicht, dass ich dir etwas vormache. Versuch es. Vertrau mir. Ich will dir nichts Böses. Und jetzt vergessen wir das und wollen Spaß haben. Und bitte sag immer, was du denkst, geradeheraus. Selbst wenn ich ärgerlich werde, selbst wenn ich einen Moment beleidigte Leberwurst bin. Lass dich davon nicht hindern, ganz du zu sein. Ich vertrage das. Ich vertrage scharfen Wind.“
„Bist du da sicher? Du bist feinfühlig und sensibel.“
Er lächelte wieder. „Ja. Zugegeben, das bin ich. Du aber auch. Soll ich dir deswegen nicht sagen, was zu sagen ist?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Siehst du, das meinte ich.“
Wir kauften ein und lachten viel. Er brachte mich mit seinen Späßen zum Lachen. Er setzte sich zum Beispiel einen der Schnitzel auf den Kopf und ließ mich den feudalen Hut begutachten. Er stieg auf eine Abschrankung und jonglierte ihr gekonnt entlang, bis einer kam und meinte: „Was soll denn das?“ Er spielte mit Waren Korbtreffen oder baute mitten im Weg schnell einen Turm aus Pet-Flaschen-Paketen auf. Chip war verrückt und wagte sich alles. So einem war ich noch nie begegnet. Endlich gelangten wir zur Kasse und ich dachte für mich: „Bestimmt sind die im Laden froh, wenn wir wieder draußen sind.“
Als einer meckerte, weil ihm an der Kasse alles viel zu langsam ging, stellte sich Chip mit Schwung auf seine Hände, streckte seine langen Beine in die Höhe und ging auf eben diesen Händen weiter vor, ließ sich von unten her vernehmen: „Vielleicht geht es so schneller.“
Natürlich beschleunigte das nicht wirklich etwas. Aber es erzeugte Erstaunen und der Meckerer vergaß seinen Ärger.
Einem anderen, der mit verdrießlichem Gesicht da stand, schnitt er eine Grimasse. Dabei hätte er allerdings beinahe etwas kassiert, denn der fand das nicht lustig. Auf jeden Fall hatte ich schon lange nicht mehr so viel gelacht. So ein verrückter frecher Kerl! Ich hoffte, dass er noch lange blieb. Er tat mir gut. Aber ob dies bei seiner Art klappte? Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und er kommentierte: „Ich weiß, dass ich ein Kindskopf bin.“ Er lachte. Und ich konnte nicht anders, strich ihm schnell liebevoll übers Gesicht.
Der Abend kam und er war nicht da, denn er hatte seinen Feierabend. Der Abend erschien mir trostlos. Ich mochte ihn nicht. Beim Essen hatten manche sogar Besuch. Linda und Hugo hatten ihren seltsamen Verwandten bei sich. Der war ab und zu hier. Es kam mir oft vor, als steckten die drei speziell die Köpfe zusammen. Aber das sah bestimmt nur so aus. Der Verwandte kam mir seltsam vor, weil er kaum jemanden in die Augen sah, ansonsten war nichts Auffälliges an ihm. Aber die beiden waren ja auch nicht anders. Die beiden waren echt sehr eingebildet. Sie gehörte zu den Reichen, aber zu denen, die Besuch bekamen und waren deswegen bestimmt nicht gefährdet. Mir schien, es gab einen Zusammenhang zwischen den Reichen, die niemanden hatten und den Todesfällen. Aber vielleicht war das nur Einbildung. Nur ein Gefühl, das nicht stimmte. Manchmal stellte man sich etwas vor, das nicht den Tatsachen entsprach, aus den Gefühlen heraus. Ich selbst passte nicht in das Muster derer, die starben. Steckte Magda dahinter? Ach nein. Sie war zwar unangenehm, aber wirklich vorstellen konnte ich mir das nicht. Allerdings ließ mich das Geschehen an diesem Abend doch misstrauisch werden.
Ich mochte nicht lesen, auch wenn ich sonst viel und gerne las. Radio und TV brachten nichts, was mich interessierte. Als ich schon im Bett lag, kam Magda mit Pillen. Keine Krankenschwester, keine der Pflegerinnen, nein, Magda persönlich. Ich wusste nicht wirklich wie sie war. Sie ließ nicht hinter ihre Fassade blicken. Meistens hatte sie ein verschlossenes strenges Gesicht. Ob sie zu Freundschaft oder Wärme fähig war, wusste ich nicht. Sie wahrte Distanz. Ich traute ihr nicht so ganz. Das konnte falsch sein. Vielleicht kam das nur aus dem nicht Verstehen heraus. Vielleicht hatte sie Erfahrungen gemacht, die sie so werden ließen.
„Berthe, Sie hatten die letzten Tage viel Aufregung. Ich mache mir Sorgen.“
„Es geht mir gut“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Ich gebe Ihnen heute Abend etwas. Sie werden ruhig schlafen können und erholt aufwachen.“
„Nein, ich brauche nichts.“
„Ich möchte aber, dass Sie diese Pillen zu sich nehmen. Es wird Ihnen gut tun.“
Was sollte das denn? „Nein, ich schlafe immer gut. Ich will nichts einnehmen, ich habe noch nie etwas zum Schlafen genommen.“
„Sie sind stur.“
„Was wollen Sie gegen meine Sturheit tun?“ Ich reckte das Kinn vor und war gespannt, was sie unternehmen wollte.
„Ich appelliere an Ihre Vernunft. Ich bin für Ihr Wohlergehen verantwortlich und weiß, dass Sie nach all den Aufregungen Erholung benötigen.“
„Es geht mir gut“, wiederholte ich. Und ich fand, dass ich dafür selbst verantwortlich war und niemand sonst.
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