Mittelbayerische Zeitung - Die großen Schlagzeilen Ostbayerns
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Inhaltsverzeichnis
Mit falschem Pass in die Freiheit
Schüsse auf die Pfarrversammlung
Das ewige Rätsel von Utzenhofen
Die Oberpfalz ist ein heißes Pflaster
Rammelmayr – Eine Geiselnahme live im TV
Der große Traum vom Gipfelglück
Die weinende Madonna im Reihenhaus
Ein Präsident stürzt über Käsehäppchen
101 Tage in der Hand der Taliban
Der Samuraimord und seine Folgen
Der Sommerloch-König aus Teublitz
Tierseuchen-Alarm in der Oberpfalz
Einen Doppelmord für die Mama
Feuerwehrfrauen der ersten Stunde
Im Sommer geht es tierisch zu
Männer lagen blutend auf dem Parkplatz
Paul Adairs Einsatz in der Oberpfalz
Der Mann, der zweimal starb
Ein Stadtrat bringt seine Söhne um
Hollywood-Märchen ohne Happy End
Der erste Stern für Regensburg
Der Krimi um den Hochschul-Zuschlag
Mörder erbeutete einen Pfennig
Profiler fanden Mareikes Mörder
Die schwangere Ehefrau erdrosselt
Der Traum, der nach 20 Sekunden platzt
Der ungeklärte Mord an Pit Koller
Das Römererbe in der Einkaufstüte
Der Zweifel bleibt länger als lebenslang
Energiekonzerne kippten die WAA
Im fürstlichen Jagdauto kam der Tod
Schrecklicher Fund im Brunnenschacht
Der Anschlag und das Erbe des Josef S.
Die rauschenden Feste des Fürsten
Das Kruzifix-Urteil trifft einen Nerv
Der Mord an Ministrant Tobias
Den Eisernen Vorhang durchgezwickt
Bayerns erster grüner Bürgermeister
Mario Basler feiert in Regensburg
Eine Schülerin kämpft gegen Strauß
Falsche Anklage nach Entführung
Der Mann, dem die Frauen vertrauten
In der Feuerhölle von Kaprun
14 Tage isoliert im Seuchenlazarett
Die Mordnacht von Laaber
Chopper, der Spuk aus dem Spucknapf
Impressum
Mit falschem Pass in die Freiheit
Große Schlagzeilen Ostbayerns: 1969 bezahlt Erich Sarnes 40 000 Mark, dass sein Sohn aus der DDR nach Regensburg fliehen kann. Das Abenteuer glückt.
Blick zurück: Vor fast 45 Jahren ist Bernd Sarnes eine abenteuerliche Flucht aus der DDR gelungen. Foto: Lex
Von Dagmar Unrecht, MZ
Regensburg. Die Blumen sind liebevoll gepflegt, der Rasen geschnitten. Aus dem Teich ist leises Plätschern zu hören. Bernd Sarnes steht entspannt in seinem Garten in Waldetzenberg: kariertes Hemd, dunkler Pullunder, beige Hose. Nichts deutet darauf hin, dass der 69-Jährige vor fast 45 Jahren eine abenteuerliche Flucht gewagt hat: Er ist mit einem falschen türkischen Pass über die damalige CSSR aus der DDR nach Regensburg geflohen. 40 000 Mark hat sein Vater 1969 für die Fluchthilfe bezahlt. „Ich habe den Schritt nie bereut“, sagt Bernd Sarnes heute. Dabei war sein Start im Westen alles andere als einfach.
Genau einen Tag nach Kriegsende, am 9. Mai 1945 wird Bernd Sarnes in Zossen in Brandenburg geboren, etwa 40 Kilometer südlich von Berlin. Sein Vater Erich, ein gebürtiger Oberschlesier, betreibt dort ein Fuhrgeschäft, die Mutter hat einen kleinen Porzellan-Laden, in dem der Sohn mit seinen beiden Schwestern aufwächst. 1950 verlässt der Vater Hals über Kopf die Familie. „Er konnte sich mit der Politik im Osten nicht anfreunden und hat kein Blatt vor den Mund genommen“, erzählt Sarnes. Der Vater wird von einem Freund gewarnt, dass er verhaftet werden soll, und flieht - erst nach Westberlin, dann verschlägt es ihn nach Regensburg. Die Familie soll ihm später folgen, doch dazu kommt es nicht. „Meine Eltern haben sich durch die Trennung auseinandergelebt“, sagt Sarnes. Er trifft den Vater nur zwei- oder dreimal im Jahr in Berlin. „Er wollte immer, dass ich nach der Schule zu ihm ziehe“, erzählt Sarnes. Sein Vater hat in Regensburg inzwischen erfolgreich einen mobilen Autokranbetrieb aufgebaut. Doch der Mauerbau am 13. August 1961 reißt die Familie endgültig auseinander. Die Ehe der Eltern wird schließlich auf Wunsch des Vaters geschieden.
Als die Mutter 1967 stirbt, verliert ihr Sohn seinen Fixpunkt. In ihm reift der Wunsch, die DDR zu verlassen. „Hätte meine Mutter noch gelebt, wäre ich nie gegangen.“ Doch als „schwarzes Schaf“ fühlt er sich schon länger. Weil sein Vater in den Westen gegangen ist, wird auch er von den Behörden kritisch beäugt: „An ein Studium war nicht zu denken.“ Stattdessen wird er Automechaniker. Mit dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings 1968 rückt eine Ausreise nach Westdeutschland aber in noch weitere Ferne. Dennoch versucht es Bernd Sarnes zunächst auf dem legalen Weg und stellt zwei Ausreiseanträge. Beide werden abgelehnt.
Bernd Sarnes hat die Stasi gut beschäftigt: Stapelweise wurden Akten über ihn angelegt. Foto: Lex
Da tut sich eine andere Möglichkeit auf: In Regensburg bietet ein Bekannter der Familie Hilfe an: Er kenne jemanden, der Bernd herüberholen könne. Der Plan sieht vor, dass Bernd zum Jahreswechsel 1969/70 mit einer Touristengruppe aus der DDR in die CSSR einreisen soll, um von dort nach Bayern zu kommen. „Da habe ich eine Fahrt nach Karlsbad gebucht“, erzählt Bernd Sarnes. Doch einen Tag vor der Abreise wird die Reise abgesagt. Stattdessen bekommt er einen Platz für eine Fahrt ins böhmische Prachov. Noch am selben Tag, es ist der 28. Dezember 1968, schickt er seinem Vater ein Telegramm, getarnt als Gruß zum Jahreswechsel, und nennt sein neues Ziel. Er hofft, dass sein Fluchthelfer rechtzeitig davon erfährt. Am 29. Dezember kurz vor Mitternacht steigt Bernd Sarnes mit einem kleinen Koffer in Ostberlin in den Reisebus. Damals ahnt er nicht, dass er seine Heimat zwanzig Jahre lang nicht mehr betreten wird. Nur eine seiner beiden Schwester weiß, was er vorhat.
Zimmer nach vorn
Am 30. Dezember erreicht die Reisegruppe ihr Ziel. Im Hotel ist Bernd Sarnes mit zwei anderen Männern in einem Dreibettzimmer untergebracht. Es ist schon nach 22 Uhr, als plötzlich Scheinwerferlicht ins Zimmer fällt. „Zum Glück ging das Zimmer nach vorne raus, sonst hätte ich das Auto mit Münchner Kennzeichen gar nicht bemerkt“, erinnert er sich. Er geht in den Eingangsbereich des Hotels und sieht dort einen Mann, den er kennt: „Herrn Schmidkunz, meinen Fluchthelfer.“ Schon ein paar Monate zuvor hatten sie sich in Ostberlin getroffen. Ein kurzer Blickkontakt genügt. Sarnes holt seinen Mantel aus dem Zimmer, alles andere lässt er zurück. Er überzeugt den Nachtportier davon, dass er noch ausgehen möchte, und bekommt sogar den Hotelschlüssel ausgehändigt. „Den habe ich bis heute“, sagt Sarnes schmunzelnd.
Draußen steigt er in den Fluchtwagen, gut 360 Kilometer sind es bis zur Grenze. „Im Laufe der Fahrt bin ich immer ruhiger geworden“, erzählt er. Um vier Uhr früh erreichen sie Waidhaus. „Eigentlich wollten wir nach Furth im Wald, hatten uns aber verfahren.“ Sarnes versteckt seinen DDR-Ausweis im Sitzpolster, wickelt sich einen Schal um Hals und Kopf und versinkt tief im Beifahrersitz. Sein Begleiter gibt ihn als türkischen Staatsbürger mit dem Namen Esme Süleyman aus. So steht es in dem falschen Pass und später auch in den Stasi-Unterlagen. „Schmidkunz hat behauptet, ich hätte die asiatische Grippe und müsse sofort das Land verlassen“, erzählt Sarnes. Niemand solle ihm zu nahe kommen, habe sein Fluchthelfer die Grenzer gewarnt. „Die haben mich nicht mal angeschaut.“ Dann passieren sie das Schild „Bundesrepublik Deutschland“. „Das Bild habe ich noch immer vor Augen“, sagt Sarnes. Die bayerischen Grenzbeamten streifen die Pässe nur mit einem Blick, und öffnen den Schlagbaum. Geschafft!
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