“Hm.”
“Na, ich meine, wenn ich gesagt hätte, ich latsche mit einem Professor durch Berlin, der mit ner Zeitmaschine aus dem Jahr 1930 hierher gegurkt ist –ich weiß nicht, ob einem das jeder abnimmt.”
“Ja, ja, wir hatten das Thema schon. Sie wollten mir Errungenschaften Ihrer Zeit vorführen.”
“O ja. Ich hätt’s fast vergessen.”
Christian präsentierte seinem Gast die Erfindung Fernsehen.
“Optisches Radio also?” fragte der Professor etwas skeptisch, “ich entsinne mich, dass wir dabei sind, so was Ähnliches zu entwickeln.”
Der Gastgeber betätigte die Fernbedienung und bemerkte zu seinem Bedauern, dass die meisten Kanäle ausgefallen waren; der Professor hatte mit seiner Maschine ganze Arbeit geleistet. Nur die Berliner Lokalsender funktionierten.
Wittmann gab sich amüsiert.
“Toll! Wenn alles in Ihrer Zeit so zuverlässig arbeitet, dann hat sich wirklich nichts verändert!”
“Hören Sie mal, das ist ja nun wirklich nur Ihre Schuld. Sie kommen aus den Dreißigern, stiften hier Chaos und mokieren sich am Ende darüber, dass nichts klappt. Das ist nicht fair.”
“Och Gottchen. Nehmen Sie es nicht persönlich, ich habe nur immer einen Mords Spaß, wenn Menschen ganz stolz etwas vorführen, das dann eben nicht funktioniert. Machen Sie sich nichts draus, das ist meine böswillige Ader.”
Die Sprecherin kündigte eine Ansprache des Regierenden Bürgermeisters an. Auf dem Bildschirm erschien ein dunkelblonder Mann mittleren Alters mit einem etwas dümmlichen, aber offensichtlich wohlmeinenden Lächeln.
“Die Schlaftablette,” bemerkte Christian. “Wollen Sie das sehen?”
“Ja bitte, warum denn nicht?”
Eberhard Diepgen begann seine Ansprache.
“ Liebe Berlinerinnen und Berliner!
Vergangene Nacht hat eine Reihe seltsamer Ereignisse unsere Stadt erschüttert.
Alle Telefonleitungen aus der Stadt heraus wurden mit einem Schlag stillgelegt, die Computersysteme sind ausgefallen, und uns alle erreichte keine Post, und von vielen weiteren Skurrilitäten werden Sie sicher schon in der Zeitung gelesen haben. Wir haben noch keine Erklärung für diese Phänomene , wir wissen nur, dass die Stadt derzeit in mehrfacher Hinsicht vom Umland abgeschlossen ist. Die Bewohner des Westteils von Berlin haben sicherlich die Umstände noch in Erinnerung, unter denen sie in den achtundzwanzig Jahren vom Mauerbau bis zur Wende gezwungen waren zu leben. Auch damals waren wir vom natürlichen Hinterland abgeschnitten durch das Unrecht, das der Sozialismus der ganzen Stadt und ganz Deutschland angetan hat.
Auch damals hat nicht nur die freiheitliche Welt in uneingeschränkter Solidarität diesen Teil der Stadt unterstützt, sondern auch der Überlebenswille der Berlinerinnen und Berliner hat schließlich den Sieg über Despotie, Stacheldraht und Schießbefehl davongetragen; die neben Jerusalem einzige geteilte Stadt der Welt, hat es geschafft, diese Amputation wieder rückgängig zu machen.
Liebe Berlinerinnen und Berliner, diesmal ist es nur ein Ausfall der Technik, der uns von unseren Familien und Freunden in Brandenburg, aber auch dem Rest der Welt trennt.
Es sind keine Mauern mit Stacheldraht und Schießbefehl, die wir zu überwinden haben, sondern lediglich ein technischer Defekt. Jede technische Störung hat eine Ursache, und diese Ursache zu finden heißt, die Störung zu beheben, und gut gesucht ist halb gefunden.
Wir haben hervorragende Spezialisten in unserer Stadt, die sich mit diesen Phänomenen befassen und sehr bald zu einer Lösung dieses Problems vorstoßen werden.
Bis dahin sind wir leider gezwungen, uns mit diesem Unfall zu arrangieren, der kein Unglück und keine Katastrophe ist. Aber seien Sie versichert, dass wir, der Senat, das Abgeordnetenhaus, die Berliner Polizei, die auch hier und heute wieder hervorragende Arbeit leistet, und alle anderen demokratischen Institutionen dieser Stadt alles unter Kontrolle haben. Dafür stehe ich, Ihr Regierender Bürgermeister. Sie haben mein Wort, dass in kürzestmöglicher Zeit alles wieder seinen gewohnten Gang gehen wird.
Wir, die Stadt Berlin, Ihre Polizei und alle übrigen öffentlichen Einrichtungen, stehen bei Fragen jederzeit zur Verfügung und nehmen jeden Hinweis gerne entgegen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.”
Der Professor schaute seinen Gastgeber mit höhnischem Grinsen an.
“Na, das ist ja man ne Persönlichkeit.”
“Ich hab doch gesagt, dass er ne Schlaftablette ist.”
“Das meinte ich nicht. Ich meine die heiße Luft, die er absondert. Ich bin es ja gewöhnt, dass Politiker ein seltsamer Menschenschlag sind. Aber in meiner Zeit haben sie wenigstens etwas zu sagen, wenn sie reden, also so etwas Ähnliches wie Inhalt...”
“Hitler zum Beispiel.”
“Haha, natürlich. Er ist ein dummer Kerl, aber so grausam es ist, ihm zuzuhören, muss man doch zugeben, dass er sagt, was er will. Ihr Bürgermeister hier mag ein anständiger Kerl sein –ich kenne ihn ja nicht– aber das einzige, was er uns zu sagen hatte, war: wir haben keine Ahnung und wissen nicht, was mir machen sollen. Und das alles in eine Menge Worthülsen verpackt.”
Christian lächelte: “Ja, genau so ist das halt heutzutage.”
Der Professor verzog die Mundwinkel, als wisse er nicht, ob nun eine abschätzige Bemerkung am richtigen Platz sei –schließlich hatte sein Gastgeber, wenn man ihn so nennen mag, diesen Fehler der Zeit schon eingeräumt.
„Wo wir gerade von Hitler und den Nazis sprachen: was haben Sie davon eigentlich mitbekommen, ich meine von Nationalismus und Antisemitismus?“
“Oh, eine ganze Menge; schließlich ist jener Friwi –dieser Spitzname ist übrigens die Abkürzung für Friedrich Wilhelm, falls ich’s Ihnen noch nicht erläutert habe–, mein bester Freund Markowsky, in dessen Haus wir eben meine Maschine bestaunt haben, Jude, und da bekomme ich ab und zu natürlich etwas mit. Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass man es als Jude in Deutschland nicht gerade einfach hat –auch wenn ich selber davon sozusagen nur am Rande betroffen war.
Aber ich vertrat durchaus die Ansicht, dass sich das irgendwann legen wird. Ab und an schwillt das Geschrei an, dachte ich, und es beruhigt sich auch wieder. Und irgendwann wird die Neuzeit über das Mittelalter gesiegt haben, und man nimmt endlich Abstand von der alten Mär des Brunnenvergifters. Und man lässt endlich von diesem schädlichen Nationalismus ab, der die Menschen in Rassen einteilen will, in überlegene und minderwertige, was wissenschaftlich ohnehin völliger Blödsinn ist und dennoch bei vielen meiner Kollegen durchaus Resonanz gefunden hat.
Ja, ich dachte eigentlich, diese Krankheiten –und es sind wirklich Krankheiten, geradezu im pathologischen Sinne– würden mit der Zeit geheilt, durch bessere Schulen, mehr Wissen, mehr Aufklärung, und durch die Überwindung der Feindschaften zwischen den Völkern.”
“Dafür musste wohl erst der Krieg verloren gehen,” warf Christian ein.
Sein Gegenüber wiegte skeptisch den Kopf hin und her.
“Ich bin mir nicht sicher, ob Krieg ein gutes Argument ist. Mir schien das Schwingen von Beilen gegenüber dem gesprochenen Wort stets überaus archaisch, im negativsten Sinne des Begriffes. Ich war der Meinung, dass auch dieses Gespenst irgendwann seinen Schrecken verloren haben würde. Nun haben Sie mich vielleicht eines besseren belehrt.”
“Tja, ich weiß nicht,” erwiderte Christian bescheiden, “was mich interessieren würde: wie steht man in Ihrer Zeit zu den Dingen, den Nazis, den Kommunisten, den Antisemiten und so weiter? Haben Sie in Ihrer Zeit wirklich schon erahnt, was mal später passieren kann?”
“Na, von Kommunisten bekomme ich nur etwas mit, wenn die sich mal wieder an einem Streik versuchen und im Reichstag den Mund allzu voll nehmen. In den Kreisen, in denen ich mich, wenn überhaupt, bewege, hat niemand etwas für sie übrig.
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