Magister Reimer wollte sich und seine Schüler im Hintergrund halten, aber Weibelin Kornmüllers Zunge saß nach ein paar Schnäpsen recht locker. „Ohne das Mädel da“, grölte sie und ihr erhobener Krug wanderte in Sylvas Richtung. „Ohne das Mädel wären wir jetzt ziemlich tot. Wir Alle meine ich. Also hauptsächlich.“ Die Novizin winkte ab, doch die Grenzerin ließ nicht locker: „Bin jetzt Deine Freundin, Mädchen! Wenn Du mal was brauchst, kommst Du zu mir! Sarina Kornmüller steht da ihre Frau, wenn Du weißt was ich meine!“
Die Weibelin betrank sich und angesichts des knappen Ausgangs des Kampfes nahm ihr das keiner übel. Schließlich schoben sie die Tische beiseite und breiteten die Strohsäcke für das Lager aus. Farin war zum Umfallen müde. Das letzte, was er hörte, war Sarina Kornmüllers unflätiges Grölen: „Gibt‘s hier keinen Kerl, der‘s einer tapferen Soldatin besorgt!“
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Dion Angwar
Von all den Reisenden nach Bethan war Dior Angwar der unauffälligste. Als Schreiberling des Hofes in Hesgard sollte er die Namen der angehenden Magier in Rand und Bethan aufnehmen und an die Kanzlei für Reichsverteidigung übermitteln, doch diesmal hatte er einen zusätzlichen Auftrag. Gräfin Gerhild Finnstein, Reichsrätin und enge Vertraute des Kaisers, hatte ihn ersucht, nach ungewöhnlichen Novizinnen Ausschau zu halten. Es schien sich um eine Angelegenheit höchster Wichtigkeit zu handeln, und er fühlte sich geehrt, dass die Wahl auf ihn, den kleinen Schreiber, gefallen war.
Obwohl die Anhaltspunkte spärlich waren, konnten sie auf die Schwarzhaarige passen. Der Jahrgang stimmte und nach den Schilderungen der Soldaten war sie tüchtig. Er sah zu der jungen Frau, deren Finger gedankenverloren mit einem Amulett spielten. „Sylva“, prägte er sich ein. Es konnte der mutigen Novizin nicht schaden, wenn das Auge einer Mächtigen wohlwollend auf ihr ruhte.
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Farin
Ein Fuhrmann bot den Magiern am nächsten Morgen eine Mitfahrgelegenheit an. An diesem Tag führte Farin das erste vernünftige Gespräch mit Sylva, seit er sie kannte.
Selbst Magister Reimer war erleichtert, als sich die vertrauten Umrisse der Akademie aus dem Nebel schälten. Erschöpft, aber guter Dinge marschierten die drei Zauberer durch das Haupttor.
In der Halle lief ihnen Magistra Esperia Feuerstaub über den Weg. Sie war in Gedanken versunken und beachtete sie nicht, doch plötzlich unterbrach sie ihren Schritt: „Ihr wisst es noch nicht?“
Was , wollte Farin fragen. Er schwieg, um nicht vorlaut zu wirken. „Was ist passiert?“, erkundigte sich Reimer beunruhigt.
„Der Kaiser ist tot“, brach es aus der Kampflehrerin hervor. „Kaiser Polanas ist tot.“
Farin spürte Tränen aufsteigen. Seine eigenen Erlebnisse, die ihm gerade noch auf der Zunge gebrannt hatten, waren mit einem Schlag bedeutungslos.
Magister Reimer kratzte sich am Kinnbart. „Rhodena?“, fragte er.
Die Magierin nickte. „Morgen brechen wir zu ihrer Krönung auf. Likandros, Du, ich, alle Novizen des Abschlussjahres.“
„Säubert Eure Roben, wascht Euch und ruht Euch aus“, befahl sie Sylva und Farin, ehe sie sich wieder an Reimer wandte: „Die Südfahrer muss hierbleiben und auf die Schüler und jüngeren Novizen aufpassen. Dementsprechend ist ihre Laune. Lauf ihr also nicht über den Weg. Bis morgen.“
„Lang lebe Kaiserin Rhodena!“, tönte Reimers kräftige Stimme durch die Halle. „Lang lebe Kaiserin Rhodena!“, fielen drei weitere Stimmen ein.
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Magister Romero Retsin, Lehrmeister für Beherrschung zu Sourin
Romero Retsin schlenderte durch den Garten der Mariner Akademie. Für einen Moment erreichte ihn die Schönheit der Parkanlage, ehe er sich wieder auf die bevorstehende Aufgabe konzentrierte. Die Prüfungen erforderten Umsicht und Fingerspitzengefühl. Einerseits sollte er eine objektive Bewertung der Prüflinge sicherstellen, andererseits beeinflussten seine Beurteilungen das Machtgefüge innerhalb der Akademie und die Beziehungen zwischen den Schulen. Deshalb hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, bei Lehrern, aber auch bei Novizen des Jahrganges und sogar bei Bediensteten Erkundigungen über die Probanden einzuholen.
Besonders zwiespältig waren die Meinungen diesmal bezüglich einer Novizin namens Semira. Viele bewunderten sie, andere betrachteten sie mit Misstrauen oder gar Hass. Rijka von Sirnan, die Lehrmeisterin für Beherrschung, war von ihr überzeugt, ja geradezu begeistert. Sobald er die Anwärterin nur erwähnte, schwelgte sie bereits in höchsten Tönen über ihr herausragendes Talent und ihre natürliche Affinität zur Magie. Solch einseitige Beurteilungen waren der Grund, warum Examina der schwarzen Lehre grundsätzlich von Professoren anderer Akademien abgenommen wurden. Gleichzeitig ermöglichte dieses Vorgehen ein Mindestmaß des Austauschs.
Die Erkundigungen bei Semiras Gegnern ergaben ein anderes Bild von Rijkas Lieblingsschülerin. Sie vernachlässigte ihre Studien und fand es nicht der Mühe wert, an allen Lektionen teilzunehmen. Überdies unterhielt sie ein privates Quartier in der Stadt und blieb dem Unterricht oft tagelang fern. Sie war ein verwöhntes reiches Gör, das sich, neben einem gewissen Maß an Talent, vor allem durch Unwillen und Faulheit auszeichnete. Ihre fehlenden Leistungen überspielte sie offenbar durch persönliche Beziehungen zu Lehrkräften. Vielleicht war auch Bestechung im Spiel, aber das war Magister Retsin einerlei. Ihn hatte nur ihre fachliche Leistung zu interessieren.
Nach reiflicher Überlegung beschloss er, ein Exempel zu statuieren. Eine einzige negative Prüfung könnte man ihm kaum als Schikane anlasten, doch da Semira polarisierte, brächte ihr Scheitern das Machtgefüge in der Akademie durcheinander. Mittelfristig könnte das Marins Position schwächen. Tioman Haranet ya Chernez hatte sich in den letzten Jahren zu viele Freiheiten herausgenommen, und dem konnte Romero jetzt gegensteuern. Semira war in diesem Spiel nebensächlich, nur eine Schachfigur auf dem Brett der Gildenpolitik.
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Er wusste nicht mehr, warum er Semira zu sich beordert hatte. Vielleicht wollte er sich einen persönlichen Eindruck machen. Falls die Gerüchte über ihre oberflächliche Einstellung stimmten, und davon war er überzeugt, wäre es ihm ein Leichtes, ihre Schwachstellen zu entdecken um sie bei der Prüfung bloßzustellen. Mitleid war innerhalb der schwarzen Gilde nicht angebracht und wer die Ausbildung nicht ernst nahm, verdiente auch keines.
Das Klopfen klang fest und bestimmt. „Komm rein“, rief er und entriegelte die Türe mit einem Wink seiner Hand. Hübsch , dachte er, reizend, außergewöhnlich . Er wies auf den Stuhl neben sich. „Nimm Platz.“
„Danke.“
Ihr Augenaufschlag zeugte von Respekt. „Ich möchte mit Dir die Themen der morgigen Prüfung durchgehen“, kam er gleich zur Sache.
Romero Retsin zögerte, als das Bild des Raums vor seinen Augen verschwamm. Habe ich mich überanstrengt oder werde ich krank? Er fuhr sich über die Stirn und schüttelte die Benommenheit ab. Verstohlen musterte er die Novizin, aber die schien nichts bemerkt zu haben. „Und ich möchte Details über Dein Gesellenstück wissen.“
Ihre Hand glitt zu ihrem Hals und fasste nach einer filigranen Kette. Mit einer geschmeidigen Bewegung fischte sie den Anhänger hervor. „Hier. Der wirkende Zauber verstärkt die charismatische Ausstrahlung, wodurch Beeinflussung und Beherrschung erleichtert werden. Die Wirkung hält etwa eine Stunde an.“ Sie zögerte, sah zu ihm auf und ergänzte leise: „Leider kann ich es nur einmal am Tag aktivieren.“
Magister Retsin war beeindruckt, ließ sich das aber nicht anmerken. Der Wirkzauber war unbedeutend, aber selbstladende Artefakte waren schwierig herzustellen, entsprechend selten, und täglich abrufbare Anwendungen stellten selbst für erfahrene Artefaktenmagier die Grenze des Machbaren dar. Vermutlich hatte ihr jemand geholfen. Ein Grund mehr sie hart anzufassen.
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