Warum war dieses Horrorszenario überhaupt noch möglich in einer Welt voll von Datenerfassungen, biogener Nahrung und sauberer Atemluft?
Nun, es war noch immer möglich, wie Rachaels Anruf unzweifelhaft bewies. Jack versuchte sich zu sammeln, den souveränen und starken Ehemann für seine im Moment zerbrochene Frau darzustellen. Es gab Hoffnung, Clara war die Hoffnung, die moderne Technik musste die Hoffnung sein. Früher wäre der Krebs niemals so schnell erkannt worden. Früher wären die Leute erst zum Arzt gegangen, wenn es zu schmerzen angefangen hätte. Nicht heute, nein! Clara wertete ununterbrochen ihre Daten aus, Clara wusste besser über Rachael Bescheid als Jack es je würde. Der Krebs musste ganz frisch sein, gerade erst entstanden. Vielleicht war erst eine einzige Zelle mutiert und Clara hatte dies sofort erkannt, hatte Rachael sofort informiert und sogleich einen Anruf beim Onkologen getätigt. Auf Clara war Verlass, sie war kein Mensch, sie war eine absolut ausgereifte smarte Version eines Schutzengels.
„Wie schlimm ist es?“, hörte Jack seine eigene brüchige Stimme durch den eingefrorenen Moment vibrieren.
„Er hat bereits gestreut. Die Ärztin sagte mir, ich brauche eine Mastektomie. Es ist Brustkrebs, wie bei Tante Katherine und Mama. Es ist genetisch.“
Jack schloss die Augen und seine Mundwinkel begannen unkontrolliert zu zittern. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf und auch bei ihm sammelten sich nun Tränen. Er wollte aber nicht vor seiner Frau zu weinen anfangen; er musste jetzt das sein, was ein gestandener Ehemann zu sein hat: der sprichwörtliche Fels in der Brandung, an den sich seine hilflose Frau während der Sturmflut klammern kann.
Sogleich wusste er, dass er dieser Fels nicht sein konnte. Er war selbst überwältigt von der gnadenlosen Wucht dieser Worte.
Krebs.
Gestreut.
Mastektomie.
Er wusste, was das bedeutete. Mastektomie. Dieses sperrige Wort. Es klang klinisch und gefühllos, eben so, wie die Bezeichnung für eine Operation, einen chirurgischen Eingriff, klingen sollte. Es bedeutete, dass man seiner Frau die Brust abschneiden würde. Vielleicht sogar beide Brüste. Unbedingt beide Brüste, alleine schon aus Gründen der Symmetrie. Man würde sie verunstalten und es würde ein Gewirr aus weißen Narben und unförmig zusammengewachsener Haut übrig bleiben, dort, wo einstmals die wunderschöne, aufreizende Weiblichkeit seiner Rachael gewesen war.
Jack erschrak vor sich selbst. Seine in Todesangst versetzte Frau beichtete ihm das womöglich endgültige Geschehnis ihres Lebens, und Jack stellte sich ihren verstümmelten Brustkorb vor und wie er in Zukunft damit umgehen sollte.
Seine Exfreundin hatte ihn blamiert, hatte seine dürren Arme in einer vom Sekt verdorbenen Partylaune den anderen Gästen und Freunden zur Schau gestellt und zu allem Überfluss auch noch weitaus pikantere Details bezüglich Jacks Unzulänglichkeiten in sexuellen Bereichen ausgeplaudert und darüber gelacht. Jack hatte daraufhin einen radikalen Lebenswandel vollzogen und sich ausschließlich seiner Karriere und seiner körperlichen Fitness gewidmet. Er hatte im Laufe eines Jahres den Körper eines Athleten aufgebaut und sich ein ganz neues Selbstbewusstsein auferlegt. Die Frauenwelt hatte ihren Blick auf ihn geändert, Jack hatte sich wie ein anderer Mensch gefühlt. Jemand, der es mit allen Hürden und Herausforderungen der Gesellschaft aufnehmen konnte. Ein Siegertyp. Rachael wäre niemals mit dem alten Jack zusammengekommen, das wusste er, ganz bestimmt hätte sie ihn niemals angesehen.
Und jetzt nahm man ihm seine attraktive Frau. Man würde sie verstümmeln. Nichts von ihrer derzeitigen makellosen Schönheit würde überdauern. Und Jack fragte sich, ob er dies nun als Verrat des Schicksals an seine Bemühungen, oder als Verrat an Rachaels Leben selbst sehen sollte.
Was für ein Mensch bist du eigentlich, Jack Dunham? , waberte eine Stimme durch seinen Kopf. Und plötzlich fiel sein Blick unwillkürlich über den Monitor hinweg auf Berry Lindholm, der noch immer ekstatisch mit den Armen wedelte und Updates feilbot. Ein Maschinenmensch, der selbst nicht mehr weiß, was er ist.
Bist du viel anders, Jack?
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