Alain Felkel
Louis Nicolas Davout
Das Genie hinter Napoleons Siegen
Saga
Meinen Eltern und Susann
Schauen Sie sich Davout an, wie er manövriert!
Er wird mir noch diese Schlacht gewinnen!
Napoleon zu den Marschällen Lannes und Masséna
am 22. April 1809 in der Schlacht bei Eckmühl
Der lange Trauerzug in Begleitung von 1500 Soldaten bahnte sich seinen Weg durch Paris, nachdem die letzten Worte der Totenmesse in der Kirche von Sainte-Valère beim Invalidendom verklungen waren. Die Spitze der andächtig schreitenden Kolonne bildete eine Abteilung Gendarmen, gefolgt von Musikern und Fahnenträgern des 43. und 59. Linienregiments, denen sich eine Abordnung von Veteranen der Napoleonischen Kriege anschloss. Hinter diesen rollte der Leichenwagen vorbei, auf dem der fahnengeschmückte Katafalk von Marschall Louis Nicolas Davout lag, der im Alter von 53 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben war. Als sich der Sarg auf Höhe der Invaliden befand, ging ein Ruck durch die Kriegskrüppel, die unter Davout in so vielen Schlachten siegreich gefochten hatten. Obwohl ein königliches Verbot ihnen den Besuch der Begräbnisfeierlichkeiten untersagte, waren sie trotz ihrer Behinderungen über die Mauer des Invalidenhospitals gestiegen und durch Gräben gekrochen, um Davout das letzte Geleit zu geben. Mit Tränen in den Augen salutierten sie, als der Leichenwagen an ihnen vorbei fuhr. Ein letztes Mal bewunderten sie das an den Zügeln geführte Schlachtpferd des Marschalls, dem vier Soldaten folgten. Diese trugen samtene Kissen, auf denen Davouts Orden gebettet waren; Ehrenzeichen jener blutigen Siege, welche die Invaliden am Straßenrand mit abgerissenen Gliedern, zerschmetterten Hüften und zerschlagenen Gesichtern bezahlt hatten. Hinter den Kissenträgern schritt die Familie, allen voran der erst zwölfjährige Sohn Davouts, Louis-Napoleon, einher. Dann gewahrten die Schaulustigen des Trauerzugs Marschälle, Generäle, Senatoren und Abgeordnete beider Regierungskammern, denen schweigend der Abgesandte des Königs folgte. Das Zugende bildeten die Musiker und Infanteristen des 20. Linienregiments sowie eine Abteilung Gendarmen.
Langsam wand sich der Trauerzug vom Invalidendom durch die Straßen von Paris zum Friedhof Père-Lachaise. Dort wurde der Marschall neben dem Grab seiner geliebten Tochter Josephine bestattet, während Marschall Jourdan, der Sieger von Fleurus, für seinen Kameraden eine halbstündige Grabrede hielt. Diese endete nach einem Abriss der Verdienste des Marschalls mit folgenden Worten:
Aber, meine Herren, ein großer Mann stirbt nicht ganz. Von unserem berühmten Marschall, dem Fürsten von Eckmühl, bleiben uns das Beispiel seiner Tugenden, die Erinnerung seiner großen Qualitäten und seine hervorragenden Dienste, die er dem Vaterland erwiesen hat ... 1
Soweit die Worte des Marschalls Jourdan an jenem 4. Juni 1823, welche der damals weit verbreiteten Ansicht Ausdruck verliehen, dass der Mensch durch unsterblichen Ruhm zur Ewigkeit findet. Leider irrte sich Jourdan hinsichtlich Davouts. Das Andenken des Fürsten von Eckmühl – einer der Ehrentitel, die der Tote neben dem des »Herzogs von Auerstedt« trug – hat sich weder in der Geschichtswissenschaft noch im Bewusstsein der europäischen Völker eingegraben.
Als ich Anfang 2013 das Archiv des »Service Historique de la Défense« im Schloss von Vincennes aufsuchte, um mit der Aktenrecherche für mein Buch zu beginnen, stieß ich gleich bei meinen ersten Gehversuchen auf ein unerwartetes Hindernis. Nachdem ich mein Anliegen auf Französisch vorgetragen hatte, schockierte mich eine Bibliothekarin damit, dass sie den Gegenstand meiner Anfrage nicht kannte. Dieser Suchbegriff bestand aus sechs Buchstaben und las sich »Davout«.
Wäre ich auf der Straße, im Bistro oder in einem Pariser Restaurant gewesen, hätte mich diese Reaktion nicht weiter erstaunt. In einem kriegsgeschichtlichen Archiv, in dem Akten der Napoleonischen Kriege einen wesentlichen Bestandteil ausmachen, hatte ich dies jedoch nicht vermutet.
Doch es sollte noch besser kommen. Liebenswürdig wie meine Ansprechpartnerin war, bat sie einen weiteren Bibliothekar um Hilfe, der zuerst wissend nickte, als er erfuhr, um was es ging. Kurze Zeit später jedoch wirkte er ratlos. Eifrig bemüht, sich dies nicht anmerken zu lassen, blätterte er durch ein Findbuch.
»Wie, sagten Sie, hieß Ihr Marschall noch gleich?«, fragte er in beiläufiger Harmlosigkeit.
»Davout«, antwortete ich.
»Davout, Davout ... Davout, sagten Sie?«
»Ja«.
Es folgte eine gedankenschwere Pause, dann die Frage: »Welche Epoche ist das?«
Die Antwort, die ich ihm gab, liegt auf der Hand. Jetzt, da der genaue Zeitraum bekannt war, zeigte sich die Tüchtigkeit des Mannes, und es wurde das richtige Findbuch samt entsprechendem Eintrag sofort gefunden, sodass ich die Akten in den Lesesaal bestellen konnte.
Trotzdem gab mir der Vorfall zu denken. Während der Vorrecherchen in Deutschland hatte ich oft die Erfahrung gemacht, dass außerhalb eines engen Kreises von Historikern und auf die napoleonische Epoche spezialisierten Reenactern viele Menschen nichts mit dem Namen »Davout« anzufangen wussten. Doch stets hatte mich der Gedanke getröstet, dass dies in Frankreich anders sei.
Ich wurde eines Besseren belehrt. Die verhältnismäßig geringe Anzahl französischer Sachbuchpublikationen und Biografien über Davout ließ erahnen, wie schlecht es selbst westlich des Rheins um das öffentliche Gedenken an den Fürsten von Eckmühl bestellt ist. Abgesehen von zwei eher als Raritätenkabinette zu bezeichnenden Museen und einem Standbild in Auxerre erinnert nur noch ein 63 Meter hoher Leuchtturm an der bretonischen Küste an jenen Kriegshelden Frankreichs, der für kurze Zeit im Sommer 1815 das Schicksal der Grande Nation in den Händen hielt.
Noch heute gibt es in ganz Paris, das sonst mit Straßennamen französischer Schlachtenerfolge nicht eben geizt, weder eine Straße oder Brücke noch einen Platz, der an den Sieg Davouts bei Auerstedt erinnert. Nicht einmal der Triumphbogen, jener für die Ewigkeit gebaute Siegestempel, weist den Namen Auerstedt auf. Dass dies so ist, liegt an Napoleon Bonaparte. Beständig wob er noch zu Lebzeiten dank kaiserlicher Bulletins, Moniteur-Artikeln und Memoiren an der eigenen Übermenschenlegende.
Als besonders zäh erwies sich damals wie heute der napoleonische Mythos vom unbesiegbaren Schlachtengott, den nur eigene Krankheit, Naturkatastrophen, feindliche Übermacht oder die Unfähigkeit der eigenen Marschälle besiegen konnten. Doch der Kaiser war als Feldherr nicht unfehlbar, wie seine Niederlagen in den Schlachten von Aspern-Essling, Leipzig und Waterloo sowie der gescheiterte Russlandfeldzug beweisen.
Es ist keine Frage, dass Napoleon eine der wichtigsten historischen Persönlichkeiten der Neuzeit und einer der bedeutendsten Strategen der Kriegsgeschichte ist. Mehr als ein Jahrhundert vor Hitler erfand er den Blitzkrieg, die alles umfassende Operation, deren Zielsetzung nicht das Gewinnen einzelner Schlachten, sondern die Vernichtung der feindlichen Armee innerhalb weniger Wochen war. Seine Feldzugspläne waren kühn, die Schnelligkeit seiner Manöver atemberaubend.
Und trotzdem: Der Nimbus des unbezwingbaren Kaisers war selbst in seinen siegreichen Jahren nicht in allererster Linie das Produkt seines Feldherrngenies, sondern seines propagandistischen Talents.
Geschickt wurden Beinahe-Katastrophen – wie der im Jahr 1799 gescheiterte Feldzug nach Syrien – zu Erfolgen umgedeutet. Skrupellos schrieb sich Napoleon wie im Fall der Schlacht von Marengo die Siege anderer zu oder redete deren Triumphe klein. Mit Stillschweigen überging er eigene Irrtümer. Im Fall des Russlandfeldzugs lastete er seinen Generälen und Marschällen jene Misserfolge an, die er selbst zu verantworten hatte. Schon Napoleons größter Rivale, der republikanische General Moreau, wusste um dessen größte Schwäche und urteilte im Jahr 1800 treffend über ihn:
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