Caulaincourt war diesbezüglich weniger optimistisch. Er wusste, dass die Abgeordnetenkammer unter Führung La Fayettes diesem Vorhaben keine Zustimmung gäbe. Aber Napoleon winkte nur müde ab und ließ seinen Außenminister im Flur stehen, um ein Bad zu nehmen. Er saß kaum in der Badewanne, als ihm der Fürst von Eckmühl gemeldet wurde. Obwohl der Kaiser vor allem dringend Ruhe gebraucht hätte, konnte er es sich nicht versagen, Davout zu empfangen. Audienzen dieser Art waren am Hofe Napoleons nicht ungewöhnlich. Der Korse hatte schon oft seine Marschälle, Minister und Generäle beim Bad empfangen, doch an jenem Tag waren die Umstände so gewichtig, dass Davout diese Episode schriftlich festgehalten hat.
»Da haben wir’s, Davout, da haben wir’s!«
Bei diesen Worten hob Napoleon beide Arme zum Himmel und ließ sie sogleich wieder kraftlos ins Wasser klatschen, sodass die Uniform des Marschalls nass wurde. Der Kriegsminister überspielte diesen peinlichen Vorgang und kam zur Sache.
»Majestät, ich erwarte Ihre Befehle!«
Es waren Worte, die in den Wind gesprochen waren. Napoleon wirkte fahrig, hörte nicht zu. Stattdessen beklagte er sich über Marschall Ney, der seiner Ansicht nach bei Waterloo versagt hatte. Wenn der Kaiser hoffte, bei Davout Verständnis zu finden, sah er sich getäuscht. Seine Worte mussten für den Fürsten von Eckmühl bitter klingen. Wie Ney hatte er sein Leben für Napoleon aufs Spiel gesetzt, als er sich auf seine Seite stellte und das Amt des Kriegsministers annahm. »Er hat sich für Sie die Schlinge um den Hals gelegt, Sire«, bemerkte Davout bitter.
Napoleon überhörte den anklagenden Unterton in Davouts Stimme, driftete schon wieder in seinen Gedanken ab.
»Was soll aus all dem werden, Davout?«
Der Fürst hatte darauf eine klare Antwort. Er setzte dem Kaiser auseinander, dass nichts verloren sei, wenn er sofort von seinem Recht als Souverän Gebrauch machte und die Kammern beurlaubte, um Frankreich diktatorisch zu regieren, bis der Feind geschlagen war. Nur so war Davouts Meinung nach das Vaterland zu retten.
Napoleon überlegte kurz und lehnte den Ratschlag seines Kriegsministers ab, was er auch in der anschließenden Ministerkonferenz noch einmal unterstrich.
So leicht jedoch ließ sich Davout nicht abschütteln. Eindringlich beschwor er seinen Souverän, seinen Vorschlag noch einmal sorgfältig zu prüfen.
Aber Davout scheiterte. Napoleon wollte die von ihm geschaffene, erst wenige Wochen alte Verfassung nicht gleich brechen, indem er sie durch die Errichtung einer Diktatur außer Kraft setzte.
An jenem 21. Juni 1815 wähnte er sich noch sicher, Davouts Ratschlag nicht befolgen zu müssen. Doch der Kaiser unterschätzte seine innenpolitischen Feinde. Jetzt rächte es sich bitter, La Fayette in all den vergangenen 20 Jahren den Weg zur Politik verbaut zu haben. Noch einmal zeigte sich die einzigartige Beredsamkeit des alten Mitkämpfers George Washingtons, der bei Yorktown für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten gestritten und 1789 zusammen mit Mirabeau das Panier der Revolution ergriffen hatte. Wenn auch Fouché hinter den Kulissen die Fäden zog, so darf die Bedeutung La Fayettes beim Sturz Napoleons nicht unterschätzt werden.
Es waren sein Einfluss, sein Mut und sein rhetorisches Talent, die den Kaiser dazu brachten, für immer der Macht zu entsagen. Ein zynischer Drahtzieher wie Fouché allein hätte dies nicht fertig gebracht. Dafür bedurfte es des inneren Feuers und des Charismas von La Fayette. Nur dieser konnte in den Kammern den Mut wecken, einem Titanen wie Napoleon die Stirn zu bieten.
Es waren La Fayette und seine Gefolgschaft, welche die Nationalgarde zum Schutz beider Kammern mobilisierten. Und es war der unermüdliche Marquis, der die Abgeordneten und Pairs dazu brachte, eine Erklärung zu verabschieden, in der sie verkündeten, dass Senat und Abgeordnetenhaus unauflösbar seien und jeder Versuch der Zuwiderhandlung als Hochverrat bestraft würde.
Mit diesem genialen Schlag, der einem Staatsstreich gleichkam, hatte das Parlament die Gesetzesinitiative vollkommen an sich gerissen und den Kaiser in eine Sackgasse manövriert. Von nun an diktierten die Kammern Napoleon das Geschehen, ganz so wie Fouché und La Fayette es geplant hatten. Die Minister der kaiserlichen Regierung erhielten von den Abgeordneten den Befehl, sich dem Parlament zur Verfügung zu stellen und über die politische Lage zu berichten, ohne dass Napoleon dies verhindern konnte.
Was die Volksvertretung von den Ministern zu hören bekam, bestätigte sie darin, einer Fortführung des Krieges nicht zuzustimmen. Stattdessen wurden Stimmen laut, die unverblümt die Abdankung Napoleons forderten, damit der Frieden so schnell wie möglich geschlossen werden konnte.
Aber Napoleon dachte nicht daran aufzugeben. Ein letztes Mal versuchte er, die Volksvertretung umzustimmen, und sandte seinen Bruder Lucien zu den Kammern, was seine endgültige Niederlage besiegelte. Zu sehr haftete dem Bruder Bonapartes der Ludergeruch des 18. Brumaire 1799 an, erweckte sein Erscheinen die Erinnerung an jene Grenadiere, die mit aufgepflanztem Bajonett den Rat der Fünfhundert auseinandergetrieben hatten. Lucien Bonaparte war chancenlos, so sehr er sich auch mühte. Als er sich im folgenden Plädoyer für seinen Bruder dazu hinreißen ließ, den Franzosen den Vorwurf zu machen, undankbar gegenüber ihrem Kaiser zu sein, erlitt er durch La Fayette eine entscheidende Niederlage. Wütend erhob sich der Marquis von seinem Sitz und vernichtete den Ankläger des Volkes kraft seiner messerscharfen Rhetorik.
Wie? Sie wagen uns den Vorwurf zu machen, wir hätten nicht genug für Ihren Bruder getan? Haben Sie vergessen, dass die Gebeine unserer Söhne, unserer Brüder überall von unserer Treue Zeugnis geben? In den Sandwüsten Afrikas, an den Ufern des Guadalquivir und des Tajo, an den Gestaden der Weichsel und auf den Eisfeldern von Moskau sind seit mehr als zehn Jahren drei Millionen Franzosen für einen Mann umgekommen! Für einen Mann, der noch heute mit unserem Blut gegen Europa kämpfen will. Das ist genug, übergenug für einen Mann! Jetzt ist es unsere Pflicht, das Vaterland zu retten. 4
Kaum hatte La Fayette diese Worte gesprochen, brach lauter Beifall los. Der Versuch, die Kammern für die Diktatur Napoleons zu gewinnen, war auf parlamentarischer Ebene endgültig gescheitert. Nun sah La Fayette die Gelegenheit gekommen, dem Kaiser in Abstimmung mit Fouché den Gnadenstoß zu versetzen. Noch bevor Napoleon weitere Vorschläge machen konnte, konfrontierte der Marquis Lucien Bonaparte am folgenden Tag damit, dass die Kammern die Absetzung seines Bruders verlangten, sollte dieser nicht binnen 24 Stunden freiwillig abdanken.
Derartig schachmatt gesetzt, entsagte Napoleon endlich dem Thron und dankte zugunsten seines vierjährigen Sohnes, des Königs von Rom, ab, der unter dem Namen »Napoleon II.« zum Kaiser proklamiert wurde. Aber dieser Passus war schon Geschichte, kaum dass die Tinte unter der Abdankungsurkunde getrocknet war. Denn jetzt trat Fouché endlich aus dem Szenenhintergrund ins Rampenlicht der politischen Bühne, und der Machtwechsel vollzog sich mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Als ersten Schritt versagten die Kammern dem Thronfolger schlichtweg die Anerkennung, dann entfernte Fouché seinen gefährlichsten Rivalen, La Fayette, aus Paris, indem er ihn als Unterhändler zu Wellington schickte. Jetzt war der Weg zur Macht frei. Auf Antrag Fouchés beschloss das Parlament die Bildung einer provisorischen Regierung, deren Vorsitz, wie sollte es anders sein, wiederum Monsieur Joseph Fouché übernahm.
Damit war der ehemalige Polizeiminister in der Schlüsselposition, die er sich von Anfang an gewünscht hatte. Nun gab es auf Regierungsebene kein Hindernis mehr, einen Waffenstillstand mit den Alliierten zu verhandeln. Der neue starke Mann Frankreichs konnte jetzt hoffen, den Parlamentariern in kurzer Frist die Rückkehr Ludwigs XVIII. schmackhaft zu machen. Und war dies gelungen, so rechnete sich Fouché aus, dann würde er endlich den Preis seines Verrats bekommen: einen Ministerposten seiner Wahl.
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