Sie nahm sich eine abstrakt geformte Phiole aus rosa Kristallglas und goss ein wenig wohlriechende Badelotion daraus in das Wasser zwischen ihren Beinen. Dann verteilte sie die Lotion mit ihren Händen und erzeugte dadurch einen in allen Farben des Regenbogens schimmernden Schaum der schnell die gesamte Wasseroberfläche bedeckte und auch ihren Körper unter sich begrub. Nur Ihr Kopf lugte aus einem Gebirge aus rosigem Schaum hervor. Ihre Augen waren geschlossen. Sie atmete tief und gleichmäßig.
„Das Vollbad ist jetzt bereit. Die Wassertemperatur beträgt 25°C. Möchtest du etwas Musik hören, Rachael?“
Die Frau reagierte nicht, obgleich sie die einschmeichelnde Stimme des Hauscomputers gehört hatte. Sie fühlte sich zu müde zum Antworten, jede Antwort war unnütz, was kümmerte es das Universum, was sie wollte? Am liebsten wäre sie in jenem Moment einfach eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Sie hoffte auf die bedrohliche und rücksichtslose Schwärze. Einmal übermannt von ihr, wäre alles so schnell vorbei, dass gar keine Zeit mehr verblieb, um darüber nachzudenken, dass es vorbei ist. Alles was je gesehen, gehört und erlebt worden ist, wäre mit einem Fingerschnippen ausgelöscht und nie geschehen. Nichts würde sie mehr traurig machen; die bloße Erinnerung an sich selbst, an diesen Körper und alles, was mit ihm geschehen war, wäre nichtig.
Rachael atmete eine Zeit lang ruhig weiter, doch obwohl sie dies ganz gleichmäßig und ohne Hast tat, spürte sie, als würden ihre Lungen keinen Sauerstoff mehr aufnehmen und ihr wurde leicht schwindelig. Sie öffnete die Augen und starrte verkrampft an die gleißend weiße Decke. Myriaden greller Funkenexplosionen geisterten in einem wirren Chaos über die helle Deckenfläche und erschreckten Rachael noch mehr.
Nur Überreizungen der Netzhaut, nicht real , suggerierte sie sich selbst und versuchte noch gleichmäßiger zu atmen und den Schwindel durch Kontrolle ihrer inneren Erregtheit abzuschütteln.
Ein Geräusch zog sie aus dem Sumpf der Furcht. Die Badezimmertür wurde geöffnet.
Jack? , wollte sie beinahe flüstern, doch dann erfasste ihr im Grunde noch immer rational und analytisch denkendes Gehirn die Situation und die Furcht wich einer heißen Welle tiefen erbitterten Hasses.
Eine schlanke und makellose Hand lag auf der Türklinke, schob die Tür sachte auf und Rachaels Abbild betrat das Badezimmer. Sie trug das gleiche samtene Abendkleid, welches Rachael vor wenigen Augenblicken achtlos zu Boden geworfen hatte, nur sah dieses Kleid an Rachaels Abbild ungemein besser, verführerischer und extrem erotisch aus. Die Gestalt ihres Abbilds hatte dieselben Maße, welche sie noch vor etwas über einem Jahr gehabt hatte. Schlank, an manchen Stellen fast knochig, und doch mit mädchenhaften Brüsten und einem wohlgeformten Hintern von dessen Schwung sich das Kleid bis zu den Kniekehlen vorhanggleich herabfallen ließ. Rachael sah den Seitenansatz der linken Brust ihres Abbilds neben dem Armausschnitt des Abendkleides hervorlugen und ihr kochender Hass mischte sich mit dem Übelkeit erregenden Gefühl der eigenen Wertlosigkeit.
Ihr Abbild hielt in der Bewegung inne und blieb auf der Türschwelle stehen. Es drehte ruckartig den Kopf nach links und ihre grünen, katzenhaften Augen fixierten Rachael in der Badewanne. Ein Ausdruck des Erschreckens lag auf den porzellanzarten Zügen des Abbilds. Sie öffnete ihre vollen rötlichen Lippen und eine beinahe traumgleiche, jedoch leicht sarkastische Stimme formte die Worte: „Entschuldige. Ich wusste nicht, dass du zu dieser späten Stunde noch baden wolltest. Ich werde später wieder kommen.“
Rachaels Augen flackerten jetzt vor Hass und ihr zuvor ermattetes Gesicht verformte sich zu einer brutalen Fratze.
„Hau ab, du verfluchtes Miststück! Du musst doch überhaupt nicht pissen, verdammt! Hör auf dich so beschissen menschlich zu verhalten. Hau ab! Verschwinde hier!“ Dabei peitschten Rachaels Arme wie wild durch den Schaum und schlugen dann und wann auf die Oberfläche des Badewassers, sodass viele kleine und größere Schaumkronen über den Rand schwappten und eine seifige Lache auf den Bodenfliesen hinterließen.
Das Abbild starrte angewidert auf dieses hysterisch um sich schlagende Menschenwesen in der Wanne neben sich und wusste einfach nicht, wie es reagieren sollte. Dann griff eine starke Hand nach seiner linken Schulter und zog das makellose Ding sanft, aber bestimmt, zurück. Der dunkle Körper des Mannes schob sich an dem elfengleichen Geschöpf vorbei und errichtete eine Mauer zwischen Rachael und ihrem Abbild. Rachael verstummte in ihrer Raserei und atmete jetzt hektisch und unregelmäßig, gleichzeitig jedoch wich der Schwindel aus ihrem Kopf und ihre Neuronen blitzten nun schnell, geradlinig und messerscharf durch ihr Gehirn. Ihre Augen erfassten die Szene genau; Jack, von ihrem Geschrei alarmiert, mit versteinerter Miene und vorgerecktem Kinn stand er da, aufrecht wie der strahlende Ritter, der die holde Jungfrau vor dem feuerspeienden Drachen beschützt. Er alleine zwischen der Elfe und dem Ungetier, eine Schutzwand aus eingebildeter Rechtschaffenheit und triefender Moral. Hinter seiner Schulter, halb vom Schatten verborgen, das wunderschöne Gesicht ihres Abbilds, mit einem gespielten Ausdruck von Furcht und Erwartung darauf.
In diesem Augenblick wusste Rachael, dass es vorbei war. Es war aus, ihre Existenz hatte geendet. Sie war nicht länger Rachael, sie war eine bloße Erinnerung, eine lästige Erinnerung. Ihr Dasein war im Begriff sich aufzulösen. Sie spürte beinahe wirklich, wie sich ihr Körper in seine einzelnen Atome aufspaltete und im Äther oder im Quantenschaum verging. So wie der Tränentropfen in der Bettdecke versickert war. Nichts bleibt. Ein ungehörtes Echo.
„Ich glaube, es reicht jetzt langsam, Rachael“, dröhnte Jacks Stimme durch den Raum und wurde von den harten und nackten Fliesenwänden zigfach zurückgeworfen. Eine Kakophonie der Endgültigkeit, der Abweisung, der Verurteilung. Doch, welche der beiden hatte Jack gemeint?
Mit wieder gefassterer Stimme richtete er sich dann direkt an Rachaels Abbild: „Komm.“
Ein einziges Wort. Komm. Nicht an Rachael verschwendet, nein, ihrem Abbild gewidmet. Komm! Wohin? Jack und das Ding, wie Rachael sie manchmal auch in letzter Zeit bezeichnete, verließen das Badezimmer und Jack schloss die Tür hinter ihnen.
Rachael blieb zurück, allein. Schaum war in ihre Haare und auf ihr Gesicht geflogen. Ihre Hände zitterten und ihr linkes Augenlid zuckte unaufhörlich in unregelmäßigen Intervallen konvulsiver Krämpfe. Der Schwindel war schlagartig zurück und der Gedanke, dass der Tod sie endlich mit seiner Schwärze und Vergessenheit erlösen sollte, wurde übermächtig.
Es war nun also tatsächlich passiert. Sie hatte es gewusst, schon vor Wochen hatte Rachael es tief in ihrem Innern gespürt, vor kurzem hatte sie es dann auch bewusst anerkannt und jetzt war es real geschehen. Egal welche Ausflüchte Jack auch immer für sie parat gehabt hatte, unnötig zu erwähnen, dass er sogar dann und wann zornig geworden war, wenn Rachael ihm wieder eine ihrer Vorhaltungen und Standpauken gehalten hatte; am Ende hatte Rachael doch recht behalten. Mit allem. Es war zu Ende.
Ihr Abbild hatte sie aus dem Leben verdrängt. Die Maske hatte das Antlitz überdauert. Was ist der Mensch, und was die Maschine? War sie, Rachael, überhaupt noch ein Mensch, oder bereits mehr Maschine als ihr Abbild? War alles Menschsein, alles Bewusstsein vielleicht am Ende doch nur Illusion? Ein Tagtraum, der vergeht? Ein ungehörtes Echo?
Aber ich tue ihm ja Unrecht , kam es plötzlich über sie. Er hat ja nicht mich aus der Wanne geholt, er hat doch dieses Ding von mir weggeführt. Er ist zerrissen, und wie sollte er das auch nicht sein? Er weiß doch selbst nicht, was richtig und was falsch ist. Er kann nicht uns beiden gerecht werden, aber er kann uns beiden wehtun. Und Jack will niemandem wehtun, das wollte er noch nie. Jedenfalls nicht der alte Jack, mein Jack. Oh Gott, bitte erlöse mich doch endlich…
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