Zwischen Elend und Golas liegt das ganze Potenzial der Drogen ausgebreitet – göttlich und teuflisch zugleich, Licht und Schatten. Was über den zukünftig »richtigen« Umgang mit Drogen individuell und kollektiv gesagt werden kann, bleibt auch im spirituellen Umfeld umstritten, denn »wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«.{27}
2.5. Psylocibinhaltige Pilze
Halluzinogene Pilze sind viel wirksamer als Cannabis und so ist Psylocibin – wie andere mächtige Drogen – mit mehr Unsicherheiten und Gefahren verbunden.{28}
Als Dozent hatte Léonard Kontakt mit jener Chemikerin, der es als Erster gelang, psylocibinhaltige Pilze im Labor zu züchten. Sie charakterisierte in ihrer Dissertation die für die halluzinogene Wirkung verantwortlichen Stoffe mittels Massenspektroskopie, einer physikalisch-chemischen Analysemethodik. Während der drei Jahre, die die Arbeit dauerte, hatte sie die Pilze – wie sie durchaus glaubwürdig versicherte – nie in der Wirkung ausprobiert, für die sie überhaupt von wissenschaftlichem Interessesind. Eine Schneegelehrte, um auch hier der Genderfrage gerecht zu werden.
Eine Droge, die nicht gerade für ihre Potenz bekannt ist, aber doch helfen kann, innere Spannungen vorübergehend etwas abzubauen. Einer schwachen Wirkung als Droge steht eine Vielzahl enorm schädlicher Nebenwirkungen gegenüber. Die Droge deckt offensichtlich und vor allem orale Bedürfnisse ab, ein Hinweis darauf, dass diese natürlicherweise im Kleinkindalter auszuagierende Entwicklungsphase nicht abgeschlossen werden konnte.
Léonard wurde nie Sklave dieses Lasters, obwohl auch er zu Beginn seines Chemiestudiums, als Pfeifenrauchen noch sehr in Mode war, an seinem Stängel lutschte. Da stand halt auch er mit schmauchender Pfeife am Labortisch und wartete auf das Ende der Etherdestillation. Zum Nachstopfen der Glut benutzte er damals noch eine GP11, eine scharfe Gewehrpatrone. Aus der heutigen sicherheitsbewussten Sicht drei haarsträubende und fahrlässige Schandtaten, doch was tat Léonard damals nicht alles für sein Image.
Dualität ist der Normzustand, in dem Menschen ihr tägliches Leben fristen, seitdem Adam und Eva den Apfel vom falschen Baum gegessen haben und wir – als ihre Nachfahren – im Reich der Erkenntnisvon Gut und Böse unsere göttliche Strafe verbüßen. Mythen und Religionen verweisen allesamt auf einen Zustand jenseits der Dualität, dem sie Namen wie Einheit, Garten Eden, Paradies, Shangri La, Reich Gottes u. a. m. geben. Seit jeher haben Menschen ihre Zelte abgebrochen und machten sich auf den Weg nach dorthin. Die meisten sind offenkundig auf der Strecke geblieben, haben vor dem Ziel resigniert oder sind unterwegs gestorben. Wenige sind ans Ende der Reise gekommen, es sind jene, die große Religionsstifter und Mystiker geworden sind und die Jahrhunderte oder Jahrtausende nach ihrem Ableben weiterhin innigst verehrt werden.
Unzweifelhaft können sie uns – tot wie sie sind – kaum zeitgemäße Hinweise geben, wo dieses gelobte Land liegt und wie es zu finden wäre.
Wie wäre es mit einer neuzeitlichen Autobahn als Weg zur Nichtdualität, zu Advaita? Diese altindische – in der Vedanta überlieferte – Lehre wird in kaum aktualisierter Form von einer ganzen Reihe zeitgenössischer Satsang-Lehrenden auch im Westen verbreitet. Sie alle haben sicherlich den notwendigen Bezug zu unserer modernen Welt und Kultur, hat es aber auch ihre Lehre?{29}
Léonard will mit dieser zweifelnden Andeutung die Lesenden ermutigen, sich zum Höchsten – der Nichtdualität – hartnäckig und unerschütterlich durchzukämpfen!
Ego oder Ich werden hier synonym und für die Bezeichnung der separaten und individuellen menschlichen Identitätverwendet. Diese hat ihren Ursprung in der Identifikation mit dem Denken, oder präziser dem ununterbrochenen Gedankenfluss, den Assoziationen, Wertungen und Erinnerungen, welche unaufhörlich den Geist – oder Mind – beschäftigen.
Diese Vorstellung ist wohl ein vorrangig männlich geprägtes Bild, denn Léonard – und sicherlich nicht nur er allein – erfährt Frauen als überwiegend gefühlsgeprägt, sodass er bei ihnen eher vom stetigen Gefühlsstromals dem Ursprung des Egos ausgeht.
Ego ist beispielsweise das, was den Widerstand der oder des Lesenden gegen das soeben Gelesene auslöst. Ego kann nicht akzeptieren, Ego ist die andere Meinung, Ego ist das »I am what I am« der PR- und Medienagenturen, Ego ist das Image, das man von sich vorzeigen möchte, Ego ist immer um Einzigartigkeit, um Größe und um Ansehen bemüht. Ego siegt, Ego verliert. Nur Ego kann Fehler machen.
Das Erkennen des Egos und die absolute Notwendigkeit seiner Auflösung sind in vielen neoreligiösen Bewegungen das zentrale Anliegen. Psychologisch wird dieser Prozess häufig als Übergang vom Ego zum Selbst beschrieben, ohne allerdings einen Hinweis auf die dazu unabdingbare Transzendierung des rationalen Bewusstseinszu geben. Obwohl das Wesen des Egos dem Verstand durchaus zugänglich ist, kann das Verstehen keine Hilfe dabei sein, da der Verstand ja selbst Teil des Egos ist. Noch weniger kann der Verstand das Selbst erfassen, weil dieses Selbst nur jenseits des menschlichen Verstandes vorstellbar wäre. Léonard möchte anmerken, dass es völlig ausreichend ist, das Ego zu erkennen und damit aufzulösen. Das Konstrukt des Selbst würde schlicht und ergreifend zum nächsten Hindernis, zumal es jenseits des Egos keine weitere Suchegibt.
Nutzt der Lesende das Gelesene, um sein Ego zu erkennen und durch geeignete Praxisaufzulösen, entsteht Bewusstsein in dem Umfang, wie die Übermacht des Egos entfällt. Das Bewusstsein, das schon immer da war und immer da ist, kann aber vom Ego nicht erkannt werden. Alle wirksamen spirituellen Wege führen – um mit Gebser zu sprechen{30} – in das Arationale, denn Mystikerscheint nur jenseits des Rationalen, jenseits von Ego.
Die Einheit, das Eine oder die All-Einheit sind ursprünglich Konzepte der griechischen Philosophen, wie Heraklit, Platon, Sokrates und andere mehr. Während die Dualität unser Normalempfinden darstellt, ist die Einheitserfahrung etwas, das nach Übereinstimmung aller Philosophen in den Bereich der Transzendenz gehört. Aus diesem Bereich kennen wir bisher nur die Berichte der Mystikerund der von Drogen Berauschten{31}. Da die Sprache Teil der dualen Welt ist, kann mit ihrer Hilfe keine wahre Aussage über das Transzendentegemacht werden, über etwas, was jenseits der Dualität liegt. Die einzige Möglichkeit, etwas über diese Einheit zu wissen, ist die eigene Erfahrung.
Korrekterweise muss Léonard hier anfügen, dass das Erfahren auch Teil der dualen Welt ist und deshalb der Mystiker seine Einheit nicht erfährt, sondern er sich im Seinzusagen auflöst.
Eltern sind an fast allem schuld, insbesondere die weibliche Hälfte, Léonard ist ja schließlich ein Mann. Psychologisch gesehen lässt sich so gut wie alles auf die Mütter abwälzen. Die frühkindliche Prägung, die seit der flächendeckenden Psychologisierung der letzten Jahrzehnte vermehrt in den Fokus von Suchenden geraten ist, lässt grüßen. Doch fruchten tut dies herzlich wenig. Einander zu vergeben ist zwar sehr in Mode gekommen, doch ist Vergebungnicht auch nur ein Trick, um sich aus der Eigenverantwortung zu stehlen?
Wäre Adam nicht auf Evas Verführung hereingefallen, hätten wir diesen ganzen Schlamassel auf Erden nicht. Folglich ist er doch schuld am Sündenfall, oder vielleicht doch Eva, die ihn verführte? Er und sie – unsere Ureltern!
Oder etwa doch Gott, der absolute Urvater, der die ganze Geschichte inszenierte und – allwissend – sehen konnte, was dabei rauskommen würde. Absicht? Ob sich allerdings die Vertreibung aus dem Paradiesevolutionsbiologisch als echter Vorteil gegenüber dem hypothetischen Verbleib im Paradies erweist, entzieht sich jeglicher Klärung. Immerhin bleibt Adam sicherlich die Ehre, mit seinem Apfelbiss am Ursprung von allen Wissenschaftenund Religionen, der Suche nach Erkenntniszu stehen. Hätte er es aber auch getan, wenn er die Folgen geahnt hätte?
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