Seit unsere Ureltern dem unseligen Baum der Erkenntniszuneigten und von dessen Früchten gegessen haben, tragen wir gemäß der Überlieferung an der Erbsündemit. Seither vermeintlich zu ewigem Denken verurteilt, müssen wir Menschen beinahe alles immerzu bewerten und in gut oder schlecht einteilen. Kommt der ständige Gedankenflussjedoch zum Stillstand, erwacht der Mensch in eine völlig neue Realität und die Erbsünde, die er zu tragen hatte, ist getilgt. Dieses ultimative Ereignis wurde in den unterschiedlichsten Kulturen beschrieben und nahezu jeder, der es erfahren durfte, versuchte das Unbeschreibliche dennoch in eigene Worte zu fassen. Deshalb können wir darüber im begrifflichen Spektrum vom mystischem Erleben, Erwachen, von Bliss, Satori, uns selbst und Gott erkennen oder schlicht vom höchsten Glücksprechen.
Das Versiegen des Gedankenstroms und des Gefühlsflusses ist keine Theorie, Léonards eigene Erfahrungen – und die vieler seiner Freunde – stehen als Beweis dafür, dass wahrscheinlich kein Gottesgen notwendig ist, um solcher Erfahrungen teilhaftig zu werden. Selbst Extremsportler berichten immer wieder von dieser oder zumindest sehr ähnlichen Erfahrungen. Beispielhaft dafür steht die Schilderung von Ueli Steck nach seiner Erstbesteigung der Titlis-Südwand.
Mihaly Csikszentmihalyi{21} hat den Begriff » Flow« geprägt, den Léonard für eine synonyme Beschreibung dieses denkfreien Bewusstseinszustandes hält. Weil der Mensch im Allgemeinen in einem kausalen Denken von Ursache und Wirkung verhaftet ist, erkennt nur selten jemand die wahre Ursache der Glücksgefühle im Zusammenbruch der inneren Widerstände. Meist wird eine »rationale Mystik« für die Ursache gehalten, wie dies der Philosoph M. Schmidt-Salomon beispielhaft in seinem Buch »Jenseits von Gut und Böse« darlegt{22} (vgl. auch Anhang 3).
Für Sportlerstehen die körpereigenen Endorphine im Vordergrund. Konsequenterweise versuchen sie durch gesteigertes Training und immer verrücktere Anstrengungen diese Flowerfahrung oder Runners High, wie es die Langstreckenläufer bezeichnen, zu erzwingen. Dies mag sogar die Hauptmotivation für die Heerscharen sein, welche sich an Marathons, Triathlons, Gigathlons und anderen extremen physischen Leistungen an und über ihre Grenzen bringen.
Solche Kraftakte rufen eine große mediale Aufmerksamkeit hervor, was das Erreichen des angestrebten mystischen Zustandes zusätzlich erschwert. Der Superman und die Superwoman müssten tiefer entspannen, weniger wollen und mehr geschehen lassen, dann könnte die Glückswelle vielleicht dauerhafter geritten werden !
Nicht nur die in Landesgesetzen als Betäubungsmittel bezeichneten Stoffe wirken als Drogen, bekanntlich können auch die meisten menschlichen Aktivitäten eine Form von Sucht erzeugen. Léonard kennt Mitmenschen, die süchtig sind nach Arbeit, Bergen, Höhlen, Spiel, Medien, Sport, aber auch Meditation, Wissen, Kontakt, Retreat, Reisen und vieles mehr. Eine Sucht zeigt sich erst wirklich im Entzug und kann deshalb dem Umfeld eines betroffenen Menschen häufig über eine lange Zeit verborgen bleiben. Dass Sucht etwas mit Suchezu tun hat, bestreiten die Sprachforscher zwar, doch eine schwere Sucht ist – wie die Suche– ein häufig gewählter Ausweg aus einem weitgehend als sinnlos empfundenen Leben. Die Flucht in die Droge und der spirituelle Aufbruch unterscheiden sich nur geringfügig und sind zudem am Anfang der Bewusstseinsentwicklung oft eng miteinander verknüpft.
Zusammen mit den Süßigkeiten, den Oraldrogen par excellence, ist leider der Alkohol die im Westen mit Abstand am meisten konsumierte Droge. Alkohol ist bekanntlich viel schädlicher und auch viel schwieriger dosierbar als etwa Cannabis und ist doch in fast allen westlichen Staaten gesetzlich ohne wesentliche Einschränkungen zugelassen. Der Römer fand im Wein »in vino veritas« noch die Wahrheit, der Zeitgenosse löscht inzwischen mit der Droge seinen Durst. Alkohol baut innere Widerstände ab, doch sind wir diesen Drogenkonsum – Léonard spricht auch hier aus eigener Erfahrung –so sehr gewohnt, dass die Nebenwirkungen, nämlich die Vernebelung der Sinne und die Einwirkungen auf das Zentralnervensystem früher eintreten als die eigentliche Drogenwirkung, der Kontrollverlust. Gewohnheitsmäßige Vieltrinker halten sich meist gut unter Kontrolle. Weitaus häufiger verlieren wenig trinkfeste Individuen die normierte Selbstkontrolle. Kichernde, leicht beschwipste Damen sind für Léonard immer wieder ein Bild der Freude und manchmal die Gelegenheit zu einem Flirt. Mögliche Erkenntnisse aus dem ungewohnten Zustand werden selten gezogen, häufiger stellt sich am nächsten Tag die manierliche Scham wieder ein und der Vorsatz, sich künftig weniger gehen zu lassen.
2.2. Cannabis, Marihuana, Hanf {23}
Cannabis war die Droge der »68er«. Hanf ist sehr wirkungsvoll und bei maßvoller Verwendung wenig schädlich, insbesondere im Vergleich zu Tabak und Alkohol. In der Wirkung kommt häufig der Gedankenflusskurz nach Aufnahme der Droge zum Erliegen. Léonard bestätigt diese Aussage mit einem unmerklichen Lächeln.
Marihuana löst auf unglaublich effiziente Weise die inneren Widerstände, was zu einer sehr tiefen Entspannung und manchmal fast unmerklich zu einer mystischen Erfahrung führen kann, wenn sich die äußeren und inneren Umstände so synchronisieren, dass das Denken aufhört und das Subjekt sich im » Hier und Jetzt« auflöst. Das unbändige Gelächter von Gelegenheitshaschern ist bezeichnend und enthüllt sowohl den Kontrollverlust wie auch die Normalreaktion beim Erkennen von sich und der Welt. Ein Hanfkonsument, der vorbereitungslos in diesen Zustand fällt, kann aber auch vom plötzlichen Bezugsverlust zur gewohnten Realität ziemlich überwältigt werden. Das mystische Erlebnis kann dann leicht als Psychose interpretiert und einer psychiatrischen Behandlung anempfohlen werden. Léonard vermutet darin den Grund, warum Hanf den Ruf hat, psychotische Schübe auszulösen. Drogeninduzierte mystische Erfahrungen und bestimmte Psychosen liegen offensichtlich sehr nahe beieinander. Während kräftiger Alkoholgenuss fast immer nur Rauschzustände bewirkt, ruft bei einem gewieften Konsumenten Cannabis die angestrebten Bewusstseinsveränderungen meist mühelos hervor. Die Kombination von beiden ist allerdings wenig empfehlenswert.
Die Bilder vom Zürcher »Needlepark« sind vielleicht einigen Lesenden noch in trauriger Erinnerung. Doch auch spirituelle Wegesind nichts für Weicheier und mit krassen Abstürzen und tiefen Krisen muss gerechnet werden. »Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten«, sagt der Volksmund. Und er hat recht, das Drogenelend ist eine Schattenseite unserer globalisierten Leistungsgesellschaft und muss in den richtigen Dimensionen gesehen werden. Die jährlich knapp zweihundert Tote aus dem Umfeld harter, illegaler Drogen in der Schweiz kontrastieren mit rund 300´000 alkoholabhängigen Trinkern und – besonders besorgniserregend – täglich etwa fünf jugendlichen Rauschtrinkenden, welche mit akuter Alkoholvergiftung in Notfallkliniken eingeliefert werden. Jedes Jahr sterben in der Schweiz zudem etwa 9500 Menschen vorzeitig an den Folgen ihres früheren Rauchkonsums.{24}
Der Fokus der Medien und der Politik liegt dennoch meist auf den illegalen Drogen, obschon das reale gesellschaftliche Problem und das wahre Elend offensichtlich beim Konsum der legalen Drogen liegen.
2.4. LSD Lysergsäurediethylamid {25}
Léonard gesteht, dass er die Wirkung von LSD nur aus den Schilderungen von Freunden und Berichten kennt. Je nach Dosierung scheint LSD auch potenter als Psylocibin zu sein. Dieser kleine Abschnitt über LSD erscheint hier nur, weil Léonard zu Beginn seiner Reise sehr von Thaddäus Golas eingenommen war. Dieser sagt in seinem beachtenswerten Büchlein »Der Erleuchtungist es egal, wie Du sie erlangst«, er sei durch die Einnahme von LSD erwacht.{26}
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