w–weißt d', es ist nur so schrecklich, wenn man sich erinnert, wie früher alles
war." – Einen Augenblick würgte sie es wieder, und sie fuhr sich nach dem
Hals, als bliebe ihr der Atem aus. – "Weißt d', daß man – daß man nicht alt
werden kann, ist so furchtbar."
Der Pinguin sah sie erschrocken an und glaubte, sie rede irre; erst nach und
nach begriff er, was sie meinte, als sie anfing, ruhiger zu sprechen.
"Vorhin, wie du herausgekommen bist, Thaddäus, da hab' ich gemeint, ich
bin wieder jung – und du hast mich noch lieb", setzte sie ganz leise hinzu –
"und so geht's mir oft. Manchmal – manchmal fast eine Viertelstunde lang. –
Besonders, wenn ich auf der Gassen geh, vergess' ich, wer ich bin, und glaub',
die Leute schauen mich so an, weil ich jung und schön bin. – Dann freilich,
wenn ich hör', was die Kinder hinter mir dreinrufen – –." Sie schlug die Hände
vors Gesicht. – –
"Nimm's nicht so schwer, Liesel" – tröstete sie der kaiserliche Leibarzt –
"Kinder sind immer grausam und wissen nicht, was sie tun. Du darfst's ihnen
nicht nachtragen, und wenn sie sehen, daß du dir nichts drausmachst – –"
"Glaubst du denn, ich bin ihnen bös deshalb? – Ich bin noch nie jemand bös
gewesen. Nicht einmal dem lieben Gott. Und dem hat doch heutzutag
wahrhaftig jeder Mensch Grund, böse zu sein. – Nein, das ist's nicht. – Aber
dieses Aufwachen jedesmal, wie aus einem schönen Traum, das ist
fürchterlicher, Thaddäus, als wenn man bei lebendigem Leibe verbrennt."
Der Pinguin blickte wieder in der Stube umher und sann nach. "Wenn man's
ihr ein wenig behaglicher machen würde hier", dachte er, "vielleicht würde sie
sich – – –"
Sie schien seinen Gedanken erraten zu haben. "Du meinst, warum's so
schauderhaft hier ist und warum ich so gar nichts mehr auf mich halte? – Du,
mein Gott, wie oft hab' ich schon versucht, das Zimmer ein bissel sauberer zu
machen. Aber ich glaub', ich müßt wahnsinnig werden, wenn ich's tu. – Wenn
ich nur damit anfang' und rück' bloß einen Sessel zurecht, so schreit schon alles
in mir auf, daß es ja doch nie mehr so werden kann, wie's früher war. – So
ähnlich geht's vielleicht vielen Menschen auch, nur können's die andern nicht
verstehen, die nie aus dem Licht haben in die Finsternis müssen. – Du wirst's
mir nicht glauben, Thaddäus, aber wirklich, es ist noch so etwas wie ein Trost
darin für mich, daß alles um mich herum, und ich selbst, so unsagbar
verkommen und scheußlich ist." – Sie starrte eine Weile vor sich hin, dann fuhr
sie plötzlich auf: "Und ich weiß auch warum. – Jaja, warum soll nicht der
Mensch auch gezwungen sein, mitten im tiefsten Schmutz zu leben, wo doch
seine Seele in einem so gräßlichen Kadaver stecken muß! – –
Und dann – hier so mitten im Dreck" – murmelte sie halblaut vor sich hin –
"vielleicht kann ich doch einmal vergessen." – Sie fing an, wie
geistesabwesend mit sich selbst zu sprechen. "Ja, wenn der Zrcadlo nicht wär'"
– der Leibarzt horchte auf, als der Name fiel, und erinnerte sich, daß er doch
eigentlich des Schauspielers wegen hergekommen sei; – "Ja, wenn der Zrcadlo
nicht wär'! – Ich glaub', er ist an allem schuld. – Ich muß ihn fortschicken. –
Wenn ich nur – wenn ich nur die Kraft dazu hätt'." –
Der Herr kaiserliche Leibarzt räusperte sich laut, um ihre Aufmerksamkeit
zu erwecken. – "Sag mal, Liesel, was ist das eigentlich mit dem Zrcadlo?" –
"Er wohnt doch bei dir?" fragte er endlich direkt heraus.
Sie fuhr sich über die Stirn: – "Der Zrcadlo? Wieso kommst du auf ihn?"
"Nun. Halt so. Nach dem, was gestern beim Elsenwanger passiert ist. – Mich
interessiert der Mensch. – Nur so. Halt als Arzt."
Die "böhmische Liesel" kam langsam zu sich, dann trat plötzlich ein
Ausdruck des Schreckens in ihre Augen. Sie packte den kaiserlichen Leibarzt
heftig am Arm:
"Weißt du, manchmal, da glaub' ich – er ist der Teufel. Jesus Maria,
Thaddäus, denk nicht an ihn! – – Aber nein" – sie lachte hysterisch auf – "das
is alles dummes Zeug. – Es gibt doch gar keinen Teufel. – Er ist natürlich nur
verrückt. – Oder – oder ein Schauspieler. Oder alles beides zusammen." Sie
wollte wieder lachen, aber ihre Lippen verzerrten sich nur.
Der kaiserliche Leibarzt sah, daß ein kalter Schauer sie überlief und ihre
zahnlosen Kiefer schlotterten.
"Selbstverständlich ist er krank", sagte er ruhig, "aber manchmal muß er
doch bei sich sein – und da hätt' ich gern einmal mit ihm gesprochen."
"Er ist nie bei sich", murmelte die "böhmische Liesel".
"Du hast aber doch gestern nacht gesagt, er geht in den Beiseln herum und
spielt den Leuten etwas vor?"
"Ja. – Ja, das tut er."
"No, dazu muß er doch bei sich sein?"
"Nein. Das ist er nicht."
"So. – Hm" – der kaiserliche Leibarzt grübelte nach. – "Aber er war doch
gestern geschminkt! Tut er das vielleicht auch ohne Bewußtsein? – Wer
schminkt ihn denn?"
"Ich."
"Du? Wieso?"
"Damit er für einen Schauspieler gehalten wird. Und etwas verdienen kann.
– Und damit mer ihn net einsperrt."
Der Pinguin blickte die Alte lang und mißtrauisch an.
"Es kann doch gar nicht sein, daß er – ihr Zuhälter ist", überlegte er. – Sein
Mitleid war verflogen, und der Ekel faßte ihn wieder an. – "Wahrscheinlich
lebt sie mit von seinen Einnahmen." "Jaja, natürlich, so wird's wohl sein."
Auch die "böhmische Liesel" war mit einemmal ganz verändert. – Sie hatte
ein Stück Brot aus der Tasche gezogen und kaute mürrisch daran.
Der Herr kaiserliche Leibarzt trat verlegen von einem Bein aufs andere. Er
fing an, sich innerlich heftig zu ärgern, daß er überhaupt hiehergekommen war.
– – –
"Wenn d' gehen willst – ich halt' dich nicht", brummte die Alte nach einer
peinlichen Pause längeren beiderseitigen Stillschweigens.
Der Herr kaiserliche Leibarzt griff rasch nach seinem Hut und sagte, wie von
einem Druck befreit: "Ja, freilich, Liesel, du hast recht, es ist schon spät. – Hm,
ja. – No, und so gelegentlich komm' ich wieder nach dir schauen, Liesel." – Er
tastete mechanisch nach seinem Portemonnaie. –
"Ich hab' dir schon einmal g'sagt, ich brauch' kein Geld nicht", fauchte die
Alte los.
Der Herr kaiserliche Leibarzt zuckte mit der Hand zurück und wandte sich
zum Gehen:
"Alsdann, grüß dich Gott, Liesel."
"Servus, Thadd – –, Servus, Pinguin."
Im nächsten Augenblick stand der Herr kaiserliche Leibarzt, geblendet von
der grellen Sonne, auf der Gasse und strebte gallig seiner Droschke zu, um so
rasch wie möglich aus der "Neuen Welt" heim zum Mittagessen zu fahren.
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