Gustav Meyrink
Das grüne Gesicht
Wohl in keinem seiner Romane weist Gustav Meyrink so eindrucksvoll den Weg zur geistigen Höherentwicklung
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gustav Meyrink Das grüne Gesicht Wohl in keinem seiner Romane weist Gustav Meyrink so eindrucksvoll den Weg zur geistigen Höherentwicklung Dieses ebook wurde erstellt bei
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Impressum neobooks
Vexiersalon van Chidher Grün
las der vornehm gekleidete Fremde, der auf dem Fußsteig der Jodenbreestraat unschlüssig stehengeblieben war, auf
der schwarzen Ladentafel eines schräg gegenüberliegenden Gebäudes eine kuriose Inschrift aus weißen, auffallend
verschnörkelten Buchstaben.
Neugierig geworden, oder um der Menge nicht länger als Zielscheibe zu dienen, die ihn in holländisch bärenhafter
Plumpheit umdrängte und ihre Glossen über seinen Gehrock, seinen blanken Zylinder und seine Handschuhe machte, –
lauter Dinge, die in diesem Stadtteil Amsterdams zu den Seltenheiten gehörten, – überquerte er zwischen
hundebespannten Gemüsekarren hindurch den Fahrdamm, gefolgt von ein paar Gassenbuben, die, die Hände tief in die
unförmlich weiten, blauen Leinwandhosen vergraben, mit krummen Rücken, eingezogenem Bauch und gesenkten
Häuptern, dünne Gipspfeifen durch die roten Halstücherknoten gesteckt, sich in schlurrenden Holzschuhen faul und
schweigsam hinter ihm dreinschoben.
Das Haus, in dem der Laden des Chidher Grün in einen gürtelartig rings herumlaufenden, rechts und links bis in zwei
parallele Quergäßchen sich hineinziehenden schmalen Glasvorbau mündete, schien, nach den trüben leblosen
Fensterscheiben zu schließen, ein Warenspeicher zu sein, dessen Rückseite vermutlich in eine sogenannte Gracht abfiel
– eine der zahlreichen, für den Handelsverkehr bestimmten Wasserstraßen.
In niedriger Würfelform aufgeführt, glich es dem oberen Teil eines dunklen viereckigen Turmes, der im Lauf der
Jahre allmählich bis zum Rande seiner steinernen Halskrause – des jetzigen Glasvorbaues – in der weichen Torferde
versunken war.
Mitten im Schaufenster des Ladens lag auf einem mit rotem Tuch bespannten Sockel ein dunkelgelber Totenkopf
aus Papiermaché von unnatürlichem Aussehen, – der Oberkiefer unter der Nasenöffnung viel zu lang und die
Augenhöhlen und Schatten um die Schläfen schwarz getuscht, – und hielt zwischen den Zähnen ein Pique-As.
"Het Delpsche Orakel, of de stemm uit het Geesteryk", stand darüber geschrieben.
Große Messingringe, ineinandergreifend wie Kettenglieder, hingen von der Decke herab und trugen Girlanden
grellbemalter Ansichtskarten, die warzenübersäte Gesichter von Schwiegermüttern mit Vorhängeschlössern an den
Lippen darstellten oder bösartige, mit Besen drohende Ehegattinnen; andere Bildchen dazwischen in transparenten
Farben: üppige junge Damen im Hemde, den Brustlatz schamhaft festhaltend, und darunter die Erklärung: "Tegen het
Licht te bekijken. Voor Gourmands."
Verbrecherhandschellen, als die "berühmte Hamburger Acht" bezeichnet, daneben ägyptische Traumbücher in
Reihen ausgebreitet, künstliche Wanzen und Schwaben (ins Bierglas des Wirtshausnachbars zu werfen), bewegliche
Nasenflügel aus Gummi, retortenförmige Glasflaschen mit rötlichem Saft gefüllt: "das köstliche Liebesthermometer oder
der unwiderstehliche Schäker in Damengesellschaft", Würfelbecher, Schüsseln mit Blechgeld, "der Coupéschrecken"
(ein unfehlbares Mittel für die p. p. Herren Handlungsreisenden, während der Eisenbahnfahrt dauernde
Bekanntschaften anzuknüpfen), bestehend aus einem Wolfsgebiß, das man unter dem Schnurrbart befestigen konnte, –
und über all der Pracht reckte sich aus strumpfschwarzem Hintergrund segnend eine Wachsdamenhand, um das
Gelenk eine papierne Spitzenmanschette.
Weniger aus Kauflust, als um der Fischgeruchsaura seiner beiden jugendlichen Begleiter zu entrinnen, betrat der
Fremde den Laden.
In einem Lehnstuhl in der Ecke, den linken Fuß mit dem arabeskenverzierten Lackschuh über den Schenkel gelegt,
studierte ein dunkelhäutiger Kavalier, violett rasiert und mit fettglänzendem Scheitel – der Typus eines Balkangesichtes
– die Zeitung und blitzte einen messerscharfen, musternden Blick nach ihm, während gleichzeitig eine Art
Waggonfenster in dem mannshohen Verschlag, der den Raum für die Kunden von dem Innern des Geschäftes trennte,
prasselnd herabgelassen wurde und in der Öffnung die Büste eines dekolletierten Fräuleins mit hellblauen
verführerischen Augen und blonder Pagenfrisur erschien.
Im Handumdrehen hatte sie an der Aussprache und dem stockenden Holländisch: "Kaufen, gleichgültig was, irgend
etwas", erkannt, daß sie einen Landsmann, einen Österreicher, vor sich habe, und begann ihre Erklärung eines
Zauberkunststückes an drei rasch ergriffenen Korkpfropfen in deutscher Sprache, wobei sie den ganzen Charme
wohlgeübter Weiblichkeit in allen Schattierungen spielen ließ, vom Stechen mit den Brüsten nach dem männlichen
Gegenüber angefangen, bis zum fast telepathisch-diskreten Hautduftausstrahlen, das sie durch gelegentliches
Achsellüften noch wirksamer zu gestalten verstand.
"Sie sehen hier drei Stöpsel, mein Herr, nicht wahr? Ich lege den ersten in meine rechte Hand; hierauf den zweiten,
und schließe die Hand. So. Den dritten stecke ich" – sie lächelte errötend – "in die Tasche. Wieviel habe ich in der
Hand?"
"Zwei."
"Nein, drei."
Es stimmte.
"Dieses Kunststück heißt: die fliegenden Korke und kostet nur zwei Gulden, mein Herr."
"Schön; bitte zeigen Sie mir den Trick!"
"Wenn ich vorher um das Geld bitten darf, mein Herr? Es ist Geschäftsusance."
Der Fremde legte zwei Gulden hin, bekam eine Wiederholung des Experimentes zu sehen, das lediglich auf
Fingerfertigkeit beruhte, mehrere neuerliche Wellen weiblichen Hautgeruchs und schließlich vier Korkstöpsel, die er
voll Bewunderung auf die kaufmännische Umsicht der Firma Chidher Grün und mit der festen Überzeugung, das
Zauberkunststück niemals nachmachen zu können, einsteckte.
"Sie sehen hier drei eiserne Gardinenringe, mein Herr", begann die junge Dame abermals, "ich lege den ersten – –"
da wurde ihr Vortrag durch lautes Johlen, gemischt mit schrillen Pfiffen, von der Gasse her unterbrochen und
gleichzeitig die Ladentür heftig aufgerissen und klirrend wieder ins Schloß geworfen.
Erschreckt drehte sich der Fremde um und erblickte eine Gestalt, deren wundersamer Aufzug sein höchstes
Erstaunen erweckte.
Es war ein riesenhafter Zulukaffer mit schwarzem, krausem Bart und wulstigen Lippen, nur mit einem karierten
Regenmantel bekleidet, einen roten Ring um den Hals und das von Hammeltalg triefende Haar kunstvoll in die Höhe
gebürstet, so daß es aussah, als trüge er eine Schüssel aus Ebenholz auf dem Kopfe.
In der Hand hielt er einen Speer.
Sofort sprang das Balkangesicht aus dem Lehnstuhl, machte dem Wilden eine tiefe Verbeugung, nahm ihm
dienstbeflissen die Lanze ab, stellte sie in einen Regenschirmständer, und nötigte ihn, mit verbindlicher Handbewegung
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