gewissen entmannten Frauen mit dem ewig nassen Haar, die mit dem fünfundvierzigsten Jahre ihren galligen Rattlern
anfangen ähnlich zu sehen und mit dem fünfzigsten bereits selber die geplagte Menschheit ankläffen – wutentbrannt auf
den Kellner los: "'pörend. Pe. Wahrhaftig kein Vergnügen, in der Spelunke zu sitzen und sich als Dame von lauter
Kerlen anglotzen zu lassen."
"Herr Baron Pfeill? – Wie soll er denn aussehen? Ich kenne ihn nicht, Myfrouw", fragte der Kellner kühl.
"'türlich bartlos. Vierzig. Fünfundvierzig. Achtundvierzig. Weiß nicht. Hab' seinen Taufschein nicht gesehen. Groß.
Schlank. Scharfe Nase. Strohhut. Braun."
"Der sitzt doch schon lange da draußen, Myfrouw" – der Kellner deutete gelassen durch die offene Tür auf den
kleinen, durch Efeugitter und berußte Oleanderstauden gebildeten Vorraum zwischen Straße und Kaffeehaus.
– "Garnaale, Garnaale", dröhnte der Brummbaß eines Krabbenverkäufers an den Fenstern vorüber. "Banaantje,
Banaantje", quietschte ein Weib dazwischen.
"Pe. Der ist doch blond! Und kurzgeschnittenen Schnurrbart. Zylinder. Pe." – Die Dame wurde wütender.
"Ich meine den Herrn neben ihm, Myfrouw; Sie können ihn von hier nicht sehen."
Wie ein Jochgeier stürzte die Dame auf die beiden Herren los und überschüttete den Baron Pfeill, der mit betretener
Miene aufstand und seinen Freund Fortunat Hauberrisser vorstellte, mit einem Hagel von Vorwürfen, daß sie ihn
mindestens zwölfmal vergebens angeklingelt und schließlich in seiner Wohnung aufgesucht habe, ohne ihn anzutreffen,
und das alles bloß, – "pe" – weil er natürlich wieder mal nicht zu Hause gewesen sei. "Zu einer Zeit, wo jeder Mensch
beide Hände voll zu tun hat, um den Frieden zu befestigen, Präsident Taft die nötigen Ratschläge zu geben, den
Heimatsflüchtigen zuzureden, wieder an ihre Arbeit zu gehen, die internationale Prostitution zu unterbinden, dem
Mädchenhandel zu steuern, Gesinnungsschwachen das moralische Rückgrat zu stählen und – Sammlungen von
Flaschenstanniol für die Invaliden aller Völker einzuleiten", schloß sie, empört ihre Pompadour aufreißend und mit einer
seidenen Schnur wieder erdrosselnd, "ich dächte, da hat man zu Hause zu bleiben, statt – statt Schnaps zu trinken." –
Sie schoß einen bösartigen Blick auf die beiden dünnen Glasröhren, die, gefüllt mit einem regenbogenfarbigen Gemisch
aus Likören, auf der marmornen Tischplatte standen.
"Frau Consul Germaine Rukstinat interessiert sich nämlich für – Wohltäterei", erläuterte Baron Pfeill seinem Freunde,
den Doppelsinn seiner Worte hinter der Maske scheinbar ungeschickt gewählter deutscher Ausdrücke verbergend;
"sie ist der Geist, der stets bejaht und nur das Gute will – – wie Goethe sagt."
"Na, wenn sie das nicht merkt!" dachte Hauberrisser und blickte scheu nach der Furie, – zu seiner Überraschung
lächelte sie bloß besänftigt – "Pfeill hat leider recht, die Menge kennt Goethe nicht nur nicht, sie verehrt ihn sogar; je
falscher man ihn zitiert, desto tiefer fühlen sie sich in seinen Geist eingedrungen."
"Ich finde, Myfrouw", wandte sich Pfeill wieder an die Gnädige, "man überschätzt mich in Ihren Kreisen als –
Philantropf. Mein Vorrat an Flaschenstanniol, der den Invaliden so mangelt, ist wesentlich geringer, als es den
Anschein hat, und wenn ich auch – obwohl, ich versichere, unwissentlich – einmal in einem Mildherzigkeitsklub
hineingetreten bin und mir der Geruch eines öffentlichen Samaritercharakters gewissermaßen anhaftet, so gebricht es
mir leider doch an ausreichend stählernem Gesinnungsmark, um der internationalen Prostitution die Einnahmsquelle zu
verstopfen, und ich möchte mich in dieser Hinsicht des Mottos bedienen: Yoni soit, qui mal y pense. – Was ferner das
Steuer des Mädchenhandels anbelangt, so fehlt es mir gänzlich an Beziehungen zu den leitenden Kapitänen dieser
Organisation, denn ich hatte niemals Gelegenheit, die höheren Beamten der Sittenpolizei im Ausland – vertraulich
kennenzulernen."
"Aber unbrauchbare Sachen für Kriegswaisen werden Sie doch haben, Baron?"
"Ist denn die Nachfrage nach unbrauchbaren Sachen seitens der Kriegswaisen so groß?"
Die Gnädigste überhörte die spöttische Gegenfrage oder wollte sie überhören. "Ein paar Eintrittskarten für die große
Redoute, die im Herbst stattfindet, müssen Sie aber zeichnen, Baron! Der vermutliche Nettoerlös, der im nächsten
Frühjahr verrechnet wird, soll der Gesamtheit aller Kriegsbeschädigten zugute kommen. Es wird ein
aufsehenerregendes Fest werden, die Damen sämtlich maskiert, und die Herren, die mehr als fünf Eintrittskarten gelöst
haben, bekommen den Barmherzigkeitsorden der Herzogin von Lusignan an den Frack."
"Freilich, eine Redoute dieser Art bietet viel Reiz", gab Baron Pfeill sinnend zu, "zumal bei derlei maskierten
Wohltätigkeitstänzen oft im weit ausgreifenden Sinne der Nächstenliebe die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut,
und es den Reichen begreiflicherweise ein dauerndes Vergnügen bereiten muß, daß der Arme auf die große
Abrechnung zu – warten hat, aber andererseits bin ich nicht Exhibitionist genug, um den Nachweis fünfmal öffentlich
betätigten Mitgefühls aus dem Knopfloch heraushängen zu lassen. – Natürlich, wenn Frau Konsul darauf bestehen – –
–"
"Kann ich also fünf Karten für Sie bereithalten?"
"Wenn ich bitten darf: nur vier, Myfrouw!"
* * *
"Herr, gnädiger Herr, gnä–diger Herr Baron!" hauchte eine Stimme, und eine winzige schmutzige Hand zupfte Baron
Pfeill schüchtern am Ärmel. Als er sich umdrehte, sah er ein kleines, ärmlich gekleidetes Mädchen mit eingefallenen
Wangen und weißen Lippen, das sich zwischen den Oleanderkübeln hindurch an ihn herangeschlichen hatte und ihm
einen Brief hinhielt, vor sich stehen. Sofort wühlte er in seinen Taschen nach Kleingeld.
"Der Großvater draußen läßt sagen – – –"
"Wer bist du denn, Kind?" fragte Pfeill halblaut.
"Der Großvater, der Schuster Klinkherbogk, läßt sagen, ich bin sein Kind", verwirrte das Mädchen die Antwort mit
dem Auftrag, den es überbringen sollte, "und der Herr Baron hat sich geirrt. Statt der zehn Gulden für die letzten Paar
Schuhe waren tausend – – –"
Pfeill wurde blutrot, klapperte heftig mit seiner silbernen Zigarettendose auf den Tisch, um die Worte der Kleinen zu
übertönen, und sagte laut und brüsk: "Da hast du zwanzig Zents für den Weg", mit milderem Ton hinzufügend, es sei
schon alles recht – sie solle nur wieder nach Hause gehen und den Brief nicht verlieren.
Gleichsam als Antwort, daß das Kind nicht allein gekommen sei – der Sicherheit wegen von seinem Großvater
begleitet, damit es auf dem Wege zum Kaffeehaus das Kuvert mit der Banknote nicht verlöre –, tauchte eine Sekunde
lang zwischen den sich teilenden Efeustauden das totenblasse Gesicht eines alten Mannes auf, der augenscheinlich die
letzten Sätze gehört hatte und vor Ergriffenheit unfähig, ein Wort hervorzubringen, mit schlotterndem Unterkiefer und
gelähmter Zunge ein leises röchelndes Lallen ausstieß. – – –
Ohne den Vorgängen irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, hatte die wohltätige Dame die Eintragung
der vier Ballkarten in eine Rolle vorgenommen und sich nach ein paar kühl verbindlichen Worten empfohlen. – –
Eine Weile saßen die beiden Herren stumm, wichen einander mit den Blicken aus und trommelten gelegentlich mit
den Fingern auf den Stuhllehnen.
Hauberrisser kannte seinen Freund zu gut, um nicht genau zu fühlen: er brauche jetzt nur zu fragen, was für eine
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