Gustav Meyrink
Walpurgisnacht
Walpurgisnacht, in der die alten Werte in erster Linie durch Hexen und übernatürliche dunkle Kräfte zerstört
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gustav Meyrink Walpurgisnacht Walpurgisnacht, in der die alten Werte in erster Linie durch Hexen und übernatürliche dunkle Kräfte zerstört Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Schauspieler Zrcadlo
Die neue Welt
Hungerturm
Im Spiegel
Aweysha
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Abschied
Die Reise nach Pisek
Die Trommel Luzifers
Impressum neobooks
Ein Hund schlug an.
Einmal. Ein zweites Mal.
Dann lautlose Stille, als ob das Tier in die Nacht hineinhorche, was
geschehen werde.
"Mir scheint, der Brock hat gebellt", sagte der alte Baron Konstantin
Elsenwanger, "wahrscheinlich kommt der Herr Hofrat."
"Das ist doch, meiner Seel', kein Grund nicht zum Bellen", warf die Gräfin
Zahradka, eine Greisin mit schneeweißen Ringellocken, scharfer Adlernase
und buschigen Brauen über den großen, schwarzen, irrblickenden Augen,
streng hin, als ärgere sie sich über eine solche Ungebührlichkeit, und mischte
einen Stoß Whistkarten noch schneller, als sie es ohnehin bereits eine halbe
Stunde hindurch getan hatte.
"Was macht er eigentlich so den ganzen lieben Tag lang?" fragte der
kaiserliche Leibarzt Thaddäus Flugbeil, der mit seinem klugen, glattrasierten,
faltigen Gesicht über dem altmodischen Spitzenjabot wie ein schemengleicher
Ahnherr der Gräfin gegenüber in einem Ohrenstuhl kauerte, die unendlich
langen, dürren Beine affenhaft fast bis zum Kinn emporgezogen.
Den "Pinguin" nannten ihn die Studenten auf dem Hradschin und lachten
immer hinter ihm drein, wenn er Schlag 12 Uhr mittags vor dem Schloßhof in
eine geschlossene Droschke stieg, deren Dach erst umständlich auf- und
wieder zugeklappt werden mußte, bevor seine fast zwei Meter hohe Gestalt
darin Platz gefunden hatte. – Genauso kompliziert war der Vorgang des
Aussteigens, wenn der Wagen sodann einige hundert Schritte weiter vor dem
Gasthaus "Zum Schnell" haltmachte, wo der Herr kaiserliche Leibarzt mit
ruckweisen, vogelhaften Bewegungen ein Gabelfrühstück aufzupicken pflegte.
–
"Wen meinst du", fragte der Baron Elsenwanger zurück, "den Brock oder
den Herrn Hofrat?"
"Den Herrn Hofrat natürlich. Was macht er so den ganzen Tag?"
"No. Er spielt sich halt mit den Kindern in den Choteks-Anlagen."
"Mit 'die' Kinder", verbesserte der Pinguin.
"Er – spielt – sich – mit – denen – Kindern", fiel die Gräfin verweisend ein
und betonte jedes Wort mit Nachdruck. Die beiden alten Herren schwiegen
beschämt.
Wieder schlug der Hund im Park an. Diesmal dumpf, fast heulend.
Gleich darauf öffnete sich die geschweifte, dunkle, mit einer Schäferszene
bemalte Mahagonitür, und der Herr Hofrat Kaspar Edler von Schirnding trat
ein – wie gewöhnlich, wenn er zur Whistpartie ins Palais Elsenwanger kam,
mit engen schwarzen Hosen angetan und den ein wenig rundlichen Leib in
einen Biedermeiergehrock von hellem Braun aus wunderbar weichem Tuch
gehüllt. Hastig wie ein Wiesel und ohne ein Wort zu verlieren, lief er auf einen
Sessel zu, stellte seinen gradkrempigen Zylinderhut darunter auf den Teppich
und küßte sodann der Gräfin zeremoniell die Hand zur Begrüßung.
"Warum er jetzt noch immer bellt?" brummte der Pinguin nachdenklich.
"Diesmal meint er den Brock", erläuterte die Gräfin Zahradka mit einem
zerstreuten Blick auf Baron Elsenwanger.
"Herr Hofrat sehen so schweißbedeckt aus. Daß Sie sich nur nicht
verkühlen!" rief dieser besorgt, machte eine Pause und krähte dann plötzlich in
arienhaften Schwingungen in das finstere Nebenzimmer, das sich daraufhin
wie durch Zauberschlag erhellte:
"Božena, Božena, Bo–schenaah, bitt' Sie, bring Sie, prosim, das Supperläh!"
Die Gesellschaft begab sich in den Speisesaal und nahm um den großen
Eßtisch herum Platz.
Nur der Pinguin stolzierte steif an den Wänden entlang, betrachtete
bewundernd, als sähe er sie heute zum erstenmal, die Kampfszenen zwischen
David und Goliath auf den Gobelins und betastete die prachtvollen,
geschweiften Maria-Theresia-Möbel mit Kennerhänden.
"Ich war unten! In der Welt!" platzte der Hofrat von Schirnding heraus und
betupfte seine Stirn mit einem riesigen, rot-gelb-gefleckten Taschentuch. "Und
bei der Gelegenheit hab' ich mir die Haare schneiden lassen." – er fuhr sich mit
dem Finger hinter den Kragen, als jucke ihn der Hals.
Derartige auf einen angeblich nur schwer zu bändigenden Haarwuchs
abzielende Bemerkungen pflegte er jedes Vierteljahr zu machen, in dem Wahn,
man wisse nicht, daß er Perücken trage – einmal langlockige, dann wieder
kurzgeschorene –, und immer bekam er auch in solchen Fällen staunenerfülltes
Gemurmel zu hören. Aber diesmal blieb es aus: Die Herrschaften waren zu
verblüfft, als sie vernahmen, wo er gewesen sei.
"Was? Unten? In der Welt? In Prag? Sie?" Der kaiserliche Leibarzt Flugbeil
war erstaunt herumgefahren. "Sie?"
Den beiden anderen blieb der Mund offen. "In der Welt! Unten! In Prag!"
"Da – da haben Sie ja ieber die Brücke missen!" brachte die Gräfin endlich
stockend heraus. "Was denn, wenn sie eingestirzt wäre?!"
"Eingestirzt!! No servus!" krächzte Baron Elsenwanger und wurde blaß.
"Unberufen" – er ging zittrig zur Ofennische, vor der noch aus der Winterszeit
her ein Scheit Holz lag, nahm es, spuckte dreimal darauf und warf es in den
kalten Kamin – "Unberufen."
Božena, das Dienstmädchen, in zerlumpten Kittel, ein Kopftuch um und
barfuß, wie es in altmodischen Prager Patrizierhäusern üblich ist, brachte eine
prunkvolle Schüssel aus schwerem getriebenem Silber herein.
"Aha! Wurstsuppe!" brummte die Gräfin und ließ befriedigt ihre Lorgnette
fallen. – Sie hatte die Finger des Mädchens, die in viel zu weiten, weißen
Glacéhandschuhen staken und in die Brühe hineinhingen, für Würste gehalten.
–
"Ich bin mit – der Elektrischen gefahren", stieß der Herr Hofrat gepreßt
hervor, immer noch voll Aufregung des überstandenen Abenteuers eingedenk.
Die anderen wechselten einen Blick: Sie fingen an, seine Worte zu
bezweifeln. Nur der Leibarzt zeigte ein steinernes Gesicht.
"Ich war vor dreißig Jahren das letztemal unten – in Prag!" stöhnte der Baron
Elsenwanger und band sich kopfschüttelnd die Serviette um; die beiden Zipfel
standen hinter seinen Ohren hervor und verliehen ihm das Aussehen eines
furchtsamen, großen, weißen Hasen. "Damals, als mein Bruder selig in der
Teinkirche beigesetzt wurde."
"Ich war ieberhaupt mein Lebtag noch nicht in Prag", erklärte Gräfin
Zahradka schaudernd. "Das könnt' mich so haben! – Wo sie meine Vorfahren
auf dem Altstädter Ring hingerichtet haben!"
"Nun, das war damals im Dreißigjährigen Krieg, Gnädigste", suchte sie der
Pinguin zu beruhigen. "Das ist schon lange her."
"Ach was – ich denk' es noch wie heite. Ieberhaupt die verfluchten Preißen!"
– Die Gräfin starrte geistesabwesend in ihren Suppenteller, befremdet, daß
keine Würste darin waren; dann funkelte sie durch ihre Lorgnette über den
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