»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht! Ich habe so etwas noch nicht erlebt, weder persönlich noch vom Hörensagen. Mir kommt Tanias Verhalten ziemlich idiotisch vor. Sei mir nicht böse, aber das ist meine Meinung. Ich kann dir nicht einmal einen Rat geben.«
»Schon gut. Musst du auch nicht. Ich wollte nur hören, ob das nur mir komisch vorkommt oder nicht. Gut zu wissen, dass es offensichtlich nicht normal ist!«
Noch einmal bekräftigte Paul, wie sehr ihm die Geschichte zu schaffen machte. Er wisse nicht, wo ihm der Kopf stehe, sagte er, er fühle sich so schlecht wie nie zuvor in seinem Leben. Durch Tania habe er erst gelernt, was Liebe überhaupt bedeutet. Und so mir nichts dir nichts zog sie aus und ließ ihn voller Zweifel zurück.
Im Grunde genommen habe er Recht, pflichtete Frank ihm bei. Und als Paul ihm auf Nachfrage noch einmal sagte, vor wie vielen Tagen sie die Wohnung verlassen hatte, erklärte er, dass das ganz und gar unfair ihm gegenüber gewesen sei. Dergleichen würde sie sich wahrscheinlich nicht bieten lassen, vermutete Frank, wenn er auf diese Weise gegangen wäre.
»Wie lange bist du schon mit Lisa zusammen?«, fragte Paul plötzlich.
»Es werden bald zwei Jahre.«, antwortete Frank.
»Warum habt ihr eigentlich keine Probleme?«, fragte Paul grüblerisch. »Was macht ihr anders?«
»Wie kommst du denn darauf?«, entgegnete Frank verwundert. »Wir und keine Probleme!?«
»Was habt ihr denn für welche? Hab ich was verpasst? Fast zwei Jahre schon, sagst du. Ihr passt doch gut zusammen . . .«
»Prinzipiell liegst du richtig.«, erklärte Frank überzeugt. »Doch das heißt nicht, dass du alles mitbekommen hast, was für unsere Beziehung von Bedeutung ist. Ich meine, du weißt schon, was passiert ist, aber ich glaube nicht, dass du auch weißt, wie dieses oder jenes auf uns gewirkt hat, was es vielleicht ausgelöst oder beeinflusst hat. Wie wir uns dabei gefühlt haben, wissen wir vielleicht nicht einmal selbst. Und was so alles passiert ist, das weißt du ziemlich genau.«
»Einiges hast du mir erzählt.«, gab Paul zu. »Aber waren das Dinge, die ihr als Probleme bezeichnet? Für mich hat das immer so geklungen, als würdet ihr damit fertig werden. Jedenfalls habe ich nicht bemerkt, dass ihr euch richtig verkracht habt oder der eine auf den anderen richtig böse gewesen wäre.«
»Das stimmt schon. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir mit den Problemen, die wir haben, einfach so fertig werden.«
»Und was dann?«, fragte Paul. »Willst du mir sagen, dass ihr keines eurer Probleme gelöst habt?«
»Zumindest kein wichtiges.«, erwiderte Frank.
»Das versteh ich nicht!«, rief Paul fassungslos. »Ihr seid nicht nur für mich so etwas wie ein ideales Paar. Was seid ihr denn dann?«
»Wir sind auch nicht anders als alle anderen. Meine Güte! Was glaubst du denn? Sieh uns doch an! Achte nur einmal auf das Äußerliche und schon wirst du bemerken, wie verschieden wir sind. Und dass wir so verschieden sind, weiß jeder! Denkst du denn nicht, dass in so einem Falle Schwierigkeiten vorprogrammiert sind?«
»Also führt ihr keine gute Beziehung?«, wollte sich Paul vergewissern.
»Wie soll ich dir das bloß erklären? . . . Wir führen keine schlechte Beziehung und wir haben auch nicht viele Probleme. Aber wir sind zwei verdammt unterschiedliche Charaktere und wenn wir mal Probleme haben, dann sind diese von solcher Beschaffenheit, dass wir sie kaum lösen können. Weißt du was? Am leichtesten könnte ich es dir mit Hilfe einer kleinen Geschichte erklären.«
»Du willst mir eine Geschichte erzählen?«, fragte Paul erstaunt.
»Wenn du willst und zuhören magst. Vielleicht würdest du dann besser verstehen, was ich meine.«, antwortete Frank und begann, seine Geschichte zu erzählen, nachdem Paul zustimmend genickt hatte.
Ach Frank, wann wird es dir endlich gelingen, deinen Dämon zu besiegen?
Lisa und Frank sitzen sich wie so oft in einem Café an einem Fenstertisch gegenüber. Ihre heiße Schokolade und sein Kaffee stehen noch nicht lange auf dem Tisch, die Zigaretten sind gerade angezündet worden, ihr Rauch erhebt sich noch kaum von der Glut. Sie schweigen. Er sieht sie kurz an und ist sich nicht mehr sicher, ob er mit ihr reden soll. Aber einzig und allein aus diesem unausgesprochenen Grund sind sie doch heute hier.
Den Nachmittag des vergangenen Tages hatten sie in Lisas Zimmer verbracht. Frank war wie jedes Mal, nachdem sie sich geliebt hatten, etwas abwesend und hatte nicht mitbekommen, wann Lisa über eine Hochzeit zu reden begann, geschweige denn, wie sie auf dieses Thema gekommen war. Da er aber viel zu oft das Wort Hochzeit vernahm, wurde er misstrauisch und begann, ihr aufmerksam zuzuhören.
Was sie sagte klang in seinen Ohren wie ein auswendig gelerntes Gedicht, das sie perfekt rezitierte. Er war überzeugt, dass sie gerade einen Plan für ihre Hochzeit entwickelte und ihm mitteilte, wie dieser ganz besondere Tag ihren Vorstellungen nach verlaufen sollte. Doch je länger er ihr lauschte, desto klarer wurde ihm, dass er nicht ihre ersten Gedanken dazu hörte. Ihre Schilderung war lückenlos, stringent, perfekt. Es bestand überhaupt kein Zweifel: die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Aus ihrem strahlenden Gesicht sprangen ihn nicht nur ihre Worte an, sondern ebenso ihr Glück, das bald auch zu dem seinen werden sollte. Sie stellte jede noch so belanglose Kleinigkeit der Hochzeit so detailliert, so genau, so lebendig dar, als würde sie über etwas sprechen, das sie bereits erlebt hatte. So lange sie auch sprach – und sie sprach lange! – musste sie nach keinem einzigen Begriff suchen. Alles war da: die Worte, der Plan, die Hochzeit.
Frank fühlte sich wie überrollt, nachdem sie zum Ende gekommen war, und jetzt, wo sie sich im Café gegenüber sitzen, hat er noch immer den Einruck, den Ring am Finger bereits zu spüren. Er schaut auf seinen Ringfinger und ist erschrocken. Dort ist tatsächlich der Ring samt einer Gravur, die zwei Namen trägt und ein Datum: Lisa und Frank, der Soundsovielte Zweitausendirgendwann. Sein Schrecken wird noch heftiger: das eingravierte Datum ist der Samstag am kommenden Wochenende.
Gestern war er nicht in der Lage gewesen, ihr etwas zu entgegnen. Er sah sie die ganze Zeit mit ausdrucksloser Miene an, vielleicht fassungslos, auf jeden Fall alles andere als begeistert, während sie verliebt lächelte, was ihren Worten den Klang vom Himmel fallender Harfentöne verlieh. Doch es dauerte nicht lange und der Dämon kam, weder eine Sekunde zu früh noch zu spät, pünktlich wie immer. Durch Franks Augen hindurch sah der böse Geist Lisa an. Er verfolgte ihre Bewegungen, prüfte ihre Gesten und studierte ihre Mimik. Endlich sah er wieder einmal seine Zeit gekommen, er würde für Frank genau das tun, was in solchen Situation zu tun war. Und während Lisa weitersprach, legte der Dämon Frank ein paar Worte zurecht, mit denen er Lisa mitteilen konnte, was er von dieser absoluten Scheißidee hielt.
Frank kannte seinen Dämon gut und obwohl er wusste, dass er ihn kaum bändigen konnte und er ihm auf die eine oder andere Art oft geholfen hatte, beschloss er, sich diesmal gegen ihn zur Wehr zu setzen. Als Lisa zu Ende gesprochen hatte, fiel Frank eine wichtige Sache ein, die er bedauerlicherweise jetzt und sofort noch unbedingt erledigen müsse. Ein Freund brauche seine Hilfe, sagte er, es eile, er müsse sofort weg, es könne länger dauern, vermutlich könne er heute Abend nicht zu ihr kommen, er werde es aber versuchen und auf jeden Fall noch eine SMS schreiben. Lisa war enttäuscht und verstand ihn nicht. Wie er so einfach gehen könne, fragte sie ihn. Habe er denn überhaupt nichts dazu zu sagen? Dass es ihm sehr leid tun würde, sagte er. Gerne bliebe er noch viele Stunden bei ihr. Aber er habe ganz vergessen, dass noch etwas zu erledigen sei.
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