Er schaute mir dabei irritierender Weise tief in die Augen.
„Weißte, ein Blick in die Aujen is für mich zärtlicher als jede Berührung“, sagte er beinahe so leise, dass ich ihn nicht verstanden hätte. Ich schmolz dahin, allerdings bekam ich kein Wort mehr heraus. Geradezu typische für mich, denn in den entscheidenden Momenten schrumpft meine Vokabular, und was ich herausbrachte war ein „Hm, ja“, mit hoffentlich nicht allzuweit offen stehendem Mund.
Er zog mich zu sich heran und küsste mich.
Wow, und das unter freiem Himmel, im Regen, alles um mich versank... Dann, viel zu schnell, war das Lied zu Ende und schon war ich wieder auf den Boden der Realität zurückgekehrt.
Was tue ich hier? Mein Gott, Karina, Du bist doch noch verheiratet. Wenn Dich jemand gesehen hat? Und alles vor den Augen unserer diplomierten Großlästerin Alexandra.
Da war es wieder, mein schlechtes Gewissen und grinste mich hämisch an.
Ich wollte weg, doch es war irgendwie zu schön!
Morgen könnte ich es ja auch wieder beenden, doch den heutigen Abend sollte ich mitnehmen. Sebastian hat sich schließlich auch nie darum gekümmert wie ich mich fühle, wenn er mit anderen Frauen ausging, und nirgendwo steht geschrieben, dass eine hintergangene Ehefrau nicht auch mal einen Abend voller Komplimente und Zärtlichkeiten genießen darf. Also!!!
Mein Lebensdurst hatte mein schlechtes Gewissen nach Punkten eindeutig besiegt.
Es wurde noch eine sehr schöne Nacht und als wir uns verabschiedeten, wollte ich dann doch Farbe bekennen.
„Hajo...“, begann ich, doch ein leidenschaftlicher Kuss unterbrach meine Erklärungen,
„Also, wann sehen wir uns morjen?“ fragte er mich später, viel später.
„Morgen kann ich nicht“, und ich sah in sein enttäuschtes Gesicht!
„Aber übermorjen!?“ er wurde hartnäckig.
„Okay, übermorgen, ich rufe dich an.“
Wir tauschten unsere Telefonnummern aus und fuhren nach Hause.
Zu Hause angekommen schlich ich mich leise in die Wohnung, damit meine Schwiegermutter nicht erfuhr, wann ich nach Hause kam.
Aber diese Rechnung hatte ich ohne sie gemacht. Kaum hatte ich, so leise wie möglich, die Haustüre aufgeschlossen, als sie auch schon vor mir stand. Das hämische Grinsen meines schlechten Gewissens wechselte in schallendes Gelächter.
Warum musste ich ihr jetzt gegenüberstehen? Wie muss es Sebastian ergangen sein, wenn er nach einer durchzechten Nacht in die Augen meiner Eltern blicken musste, ganz zu schweigen von meinen!?
„Endlich, da bist Du ja. Wo bist Du so lange gewesen?“ schoss es mir entgegen.
„Entschuldigung, ich bin bei Alexandra vor dem Fernseher eingeschlafen“, log ich.
„Da bin ich ja beruhigt. Ich sah dich schon in den Armen eines anderen Mannes und ich dachte nun ist eure Ehe endgültig vorbei.“
Konnte man es mir ansehen, oder ging jetzt nur ihre Fantasie mit ihr durch?
„Monika“, ich versuchte ruhig zu bleiben, „auch wenn es so wäre, unsere Ehe ist längst vorbei, auch wenn du es nicht wahrhaben willst.“
„Nein, an Deiner Stelle würde ich jetzt nicht so vorschnell handeln. Weißt Du wie oft ich schon so weit war wie Du es bist, aber dennoch sind Horst und ich jetzt schon über 30 Jahre glücklich verheiratet.“
Natürlich handelte ich jetzt vorschnell. Die Beendigung meiner Ehe war mir gerade mal so beim Frühstücken eingefallen und ich dachte mir ,na ist doch mal was anderes, lässt du dich zur Abwechslung mal scheiden‘. Meine Güte, und jetzt käme gleich wieder ihre eigene Ehe-Leidensgeschichte, bei der ich dann jedes Mal überzeugt werden sollte, wie schön es doch ist einen Ehemann zu haben. Dies alles am Beispiel einer Ehe, die für mich die abschreckendste überhaupt war. Er ging ihr seit 30 Jahren fremd, und sie verschließt die Augen davor. Gekrönt wurde diese
Liebesgeschichte dann noch durch absolute Respekt- und Lieblosigkeit zueinander.
Nein danke, so blind wollte ich nicht werden!
„Bitte Monika, ich bin müde, lass’ uns morgen weiterreden“, wiegelte ich sie ab und legte mich ins Bett.
Knappe drei Stunden konnte ich schlafen, dann rief Robin nach seiner Mama, da Monika – wahrscheinlich aus lauter Boshaftigkeit – nach Hause fuhr.
Den restlichen Tag verbrachte ich hundemüde und im völligen Widerspruch mit mir selbst. Einerseits wollte ich ihn wiedersehen und andererseits kam ich mir wirklich schlecht dabei vor!
Etwas mit mir musste nicht ganz stimmen!
Doch einmal wollte ich ihn noch treffen, dann war Schluss.
So spielte ich gedankenverloren mit Robin Kindermemory. Er gewann eine Runde nach der anderen und freute sich diebisch.
Als er abends im Bett war, setzte ich mich an den Computer und arbeitete an einem Artikel weiter, der in Kürze fertig sein musste. Meine Kolumne hieß „Leben live“. Eigentlich würde mir dazu ja gerade sehr vieles einfallen, doch nichts davon war öffentlichkeitstauglich. So entschied ich mich dazu mich selbst auf die Schippe zu nehmen. Vielleicht verdiente ich das ja auch gerade in dieser Zeit und schrieb über einen peinlichen Farbausrutscher.
„ Werbung
Was sagt uns die Werbung? Haare tönen – kein Problem. Färben – ein Kinderspiel. Und Strähnchen? Nichts leichter als das. So entschied ich mich mein „Blond“ nicht beim Friseur zaubern zu lassen, sondern den Wunscheffekt selber ins Haar zu bringen. Riesige Auswahl in der Drogerie. Doch welches war noch mal das „Superprodukt“? Welches hatte den Schutzfaktor? Und zum Teufel, welches war denn so leicht anzuwenden? Wieder zuhause legte ich los. Präparate mischen, auftragen, einwirken lassen. Wirklich kinderleicht! Ich wartete die angegebene halbe Stunde und prüfte das Ergebnis. Gar nichts hatte sich getan. Und nun? Länger einwirken lassen, beschloss ich mutig. Eine weitere viertel Stunde zeigte erste Veränderungen, jedoch eher rötlich als blond. Ich las erneut den Packungszettel und wurde beruhigt. Nach Orangetönen folgt Blond. Zwanzig Minuten später sank mein Mut auf den Nullpunkt. Horrorvisionen von ausgefallenen Haarbüscheln ließen das Zeug auswaschen. Im nassen Zustand sah es noch annehmbar aus, doch je mehr der Fön arbeitete, umso oranger wurden die Haare. Schock! Trocken war es ein greller Farbmix mit Querbalken, denn die Spitzen waren deutlich heller. Der erste Frisör, den ich um Hilfe bat, lehnte ab. „Da wage ich mich nicht heran!“. Der Zweite hatte ein Einsehen. Nach drei Stunden waren die Haare dann einfarbig braun. Die Erkenntnis: Die Werbung hat Recht! Zumindest mit dem Spruch: „Sie sollten lieber jemanden fragen, der sich damit auskennt!“
Nachdem ich stundenlang mit der Aufgabe beschäftig war den Artikel auf 1400 Zeichen zu kürzen, schob ich ihn ins Fax und lehnte mich entspannt zurück. Jetzt hatte ich mein Fett weg, ganz öffentlich, denn morgen würden 300.000 Menschen wissen, wie unfähig ich war. Und derzeit auch zu unfähig nein zu sagen.
Unser nächstes Treffen gestaltete sich ziemlich schwierig, denn es war mitten in der Woche und da konnte ich Robin unmöglich bei meinen Eltern übernachten lassen.
Also müsste sich Sebastian mal auf seine Pflichten als Vater besinnen.
Er hatte ja auch schon Erfahrung mit der Obhut kleiner Kinder, hatte er doch in den letzten vier Jahren ganze zwei Mal auf unseren Kleinen aufgepasst, also aller guten Dinge sind drei.
Ich griff zum Telefon und rief Sebastian in der Firma an.
„Martin“, meldete er sich.
„Ja, ich bin es Karina. Ich bin heute Abend spontan von Beate eingeladen worden und ich möchte gerne hin.“ Ich musste schnell eine Bekannte aus dem Hut zaubern, die Sebastian nicht gut kannte!
„Und wo liegt das Problem?“
„Es liegt darin, dass jemand auf Robin aufpassen müsste und ich dachte mir dieser jemand bist du.“
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