1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Wieder Achselzucken. Jasmin sah nachdenklich und betrübt an Robert vorbei. Sie sah Nick schlafend auf dem Boden liegen, eingerollt wie ein Baby.
„Komisch“, dachte sie, „eigentlich müsste mir das Herz aufgehen, weil ich ihn hier sehe.“
Ihr Herz aber blieb verschlossen. Robert hatte Jassys Seitenblick bemerkt, wurde aber aus ihrem unergründlichen Mienenspiel nicht schlau.
„Weck die beiden und dann kommt! In einer dreiviertel Stunde gibt’s Frühstück!“ Mit diesen Worten ging Jasmin einfach weiter und floh damit auch vor den in ihr aufsteigenden Gefühlen.
Blinzelnd sah Ilka sich um und konnte es kaum fassen: Der Geruch von Kaffee, die Melodie der französischen Sprache und das Licht der Morgensonne lagen wie träger Nebel in der Luft. Sie atmete tief ein, schloss noch einmal die Augen und strich sich mit der Zungenspitze über ihre Lippen: der Geschmack, der Geruch, die Laute um sie herum – das war zweifelsfrei Urlaub. Sie öffnete die Augen wieder. Fox trat, ein Tablett in der Hand balancierend, an den Tisch heran. Mit dem müden Anflug eines Lächelns zwinkerte er Ilka zu, stellte das Tablett ab und setzte sich auf einen roten Plastikstuhl.
„Voilà, Madame!“, spielte er den Kellner und schob seiner Freundin eine Plastiktasse mit dampfendem Kaffee hin. Danach kam ein Tablett, auf dem ein mickriger Pappteller lag. Ein krümeliges Gebilde darauf, das wohl ein Croissant sein sollte, rundete das morgendliche Menü ab.
„Dank des Euros wissen wir jetzt wenigstens genau, wie sehr man hier beschissen wird!“, brummte Fox und trank von seinem Kaffee.
Ilka lächelte, schloss beide Hände um ihre Tasse und genoss, wie sich die Wärme von ihren Fingern aus im ganzen Körper verbreitete.
Alles atmete den Hauch von Vorfreude und Unbeschwertheit. Der Zustand der Raststätte wäre in einem Restaurantführer mit „minus 25“ noch sehr freundlich bewertet, aber genau das gehörte für Ilka einfach zum Verreisen: die Muster aus Kaffeerändern und Krümeln auf weißen, angeschrammten Plastiktischen, der Geruch von billigem Kaffee und aufgebackenen Brötchen, der Klang einer fremden Sprache, Gesichter, die man nie wiedersehen würde, und der Anblick von morgenroten Sonnenstrahlen, die durch speckige Fenster drangen. Ilka lächelte Fox an; der blickte verschlafen zurück.
„Bist du sicher, dass du das nächste Stück fahren willst?“, fragte sie.
„Mir ist ein Rätsel, wie du so fit sein kannst, Kätzchen. Du bist jetzt vier Stunden nonstop gefahren und doch strahlst du wie ein hochgegangener Reaktor.“
„Ich bin einfach nur glücklich!“, sagte sie mit gespieltem Seufzen und streichelte kurz Fox’ Hand.
„Na, dann gehen wir in Zukunft immer in solche Lokale!“, grummelte Fox und biss in sein Gebäckteilchen. Ein lautes Knirschen war zu hören. Eine Dame, die sich augenscheinlich zur „High Society“ zählte und an diesem Ort so passend schien wie Gauguin am Montmartre, warf einen vernichtenden Blick in Fox’ Richtung.
„Hör mal“, fragte Ilka erstaunt nach, „seit wann machen Croissants ,kruntsch‘, wenn man hineinbeißt?“
„Ganz normal nach drei Tagen in der Auslage“, gab Prancock zurück und nahm noch einen Schluck Kaffee, um zu verhindern, dass das altertümliche Stück Backware aus seinem Mund herausstaubte.
Ilka lachte und trank ihren Becher aus. Danach starrte sie sinnierend in die Luft.
Fox bemerkte es und fragte kauend nach: „Woran denkst du gerade?“
„Ich frage mich, ob es nicht etwas früh für Jasmin ist, mit 16 schon auszuziehen.“
„Hör mal“, sagte Fox, „wenn ich mich recht erinnere, war es doch eine Idee von dir, ihr ein Miet-Abo für deine alte Wohnung zu schenken, bis sie Abi hat, und dann weiterzusehen …“
„Na ja“, gab Ilka zu und rührte mit einem Plastiklöffel in ihrer leeren Kaffeetasse, „ich hätte nach allem, was ich dort erlebt habe, nicht wieder einziehen können, wir beide wollten ohnehin zusammenziehen und …“
„Natürlich waren unsere Gründe, Jasmin mit einer eigenen Bude zu beglücken, auch etwas egoistisch, aber Jasmin hätte das nicht angenommen, wenn sie es nicht für richtig gehalten hätte – du hast doch gesehen, wie sie sich gefreut hat.“
„Nun gut“, stimmte Ilka zu, „so ’ne dauerhaft sturmfreie Bude hätte mir in dem Alter auch gefallen!“
„Und außerdem ist sie ja nicht aus der Welt! Wir wohnen immer noch in derselben Stadt. Im Zeitalter des Handys kann sie sich rühren, wann immer sie was braucht!“
Eine mechanische Tonfolge erklang aus Ilkas Umhängetasche.
„Muss wohl Telepathie sein!“, grinste Ilka, zog ihr Telefon hervor und stellte fest: „Voilà – eine SMS von deiner Tochter!“
„Lies mal vor!“, meinte Fox und schlürfte den Rest seines Kaffees in sich hinein.
„Alles bestens! Wir frühstücken gerade! Schönen Urlaub. Jasmin.“
„Na, siehst du“, sagte Fox zufrieden, „ist doch alles in Butter. Jasmin kommt auch ohne uns klar!“
Als Penny, sich die Augen reibend und herzhaft gähnend, hereinkam, saßen Jasmin und die anderen bereits am Frühstückstisch.
„Ah, König Artus kommt – die Tafelrunde ist komplett!“, wurde sie von Nick begrüßt, dessen Stimme allerdings bei Weitem nicht so locker und unverkrampft klang wie sonst. So löste seine Bemerkung auch keine allgemeine Heiterkeit aus. Penny trat heran, ließ sich auf einen Stuhl fallen und blickte mit geröteten Augen in die Runde.
„Oh Mann“, sagte sie, „wenn ihr mich noch mal gegen 2 Uhr morgens aus dem Bett klingelt …“ Ohne den Satz zu beenden, nahm sie die verlockend nach Kaffee duftende Kanne vom Stövchen und goss sich ein. Dabei fragte sie: „Wie geht’s dir, Jeannie?“
Jeannie war blass, aber ein schwaches Lächeln hatte zurück in ihr Gesicht gefunden und wirkte zwischen Schrammen, Heftpflastern und blauen Flecken wie ein Regenbogen im Gewitterhimmel.
„Schon besser!“ Ihre Stimme zitterte noch ein wenig. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir, wie ich euch allen … ihr habt …“
Ihr Blick wanderte in die Runde. Alle sahen sie an, nur Nick war damit beschäftigt, Marmelade auf seinem Brötchen zu verstreichen.
„Schon in Ordnung“, griff Jasmin ein, die bemerkte, wie sehr Jeannie mit den Tränen kämpfte, „dieser Tagesordnungspunkt ist abgehakt. Wir kommen nun zum Bericht des Kassenführers!“
„Kassenführer?“, fragte Robert erstaunt nach.
„Kleiner Scherz!“, gab Jasmin grinsend zurück, wandte sich dann zu Janine, die ihre Spitznamen „Jeannie“ und „kleine Hexe“ wesentlich lieber hatte als ihren wirklichen Vornamen.
„Erzähl doch mal von Anfang an.“
Jeannie schluckte, blickte zu Boden und umklammerte dabei ihre Tasse, als wollte sie den Kaffee aus ihr herauspressen.
„Ich habe das alles zuerst gar nicht ernst genommen, wisst ihr?“
„Aber was denn?“, wollte Jessica wissen.
Jeannie hob den Kopf und sah Jessy mit einem Ausdruck völliger Hilflosigkeit an. „Die Anrufe!“
Alle schwiegen. Sogar Nick blickte nun neugierig in Janines Richtung, rührte dabei aber so nervös in seiner Tasse herum, dass der Kaffee auf die Untertasse schwappte.
„Welche Anrufe?“, schaltete sich Penny ein. Ihr detektivischer Instinkt war geweckt.
„So seit vier Wochen riefen immer öfter irgendwelche Typen bei mir an. Meistens wurde sofort aufgelegt, wenn ich mich meldete. Aber später kamen die Beschimpfungen und am Schluss dann Drohungen. Sie haben gesagt, dass … dass …“
Die Erinnerungen beanspruchten Jeannies Kräfte zu stark. Sie stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und vergrub ihr schmerzendes Gesicht in den Händen. Schluchzen brach aus ihr heraus wie ein unkontrollierbarer Orkan, ihr ganzer Körper erzitterte.
Betroffen schwiegen die anderen. Penny stand auf, ging zu Jeannie, stellte sich hinter sie und begann, leicht ihre Schultern zu massieren.
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