Doch es kommt nichts, obwohl sie immer noch dran ist. Ich breche das Schweigen.
"In etwa hab ich damit gerechnet. Ist zwar traurig, aber bestimmt besser so."
Klick! Aufgelegt! Naja, wenigstens keine großen Diskussionen.
Mit unserem Vermieter muss ich mir allerdings was einfallen lassen. Wenn wirklich Schluss ist, kann ich die Wohnung verlieren. Der Mietvertrag läuft auch auf ihren Namen.
Aber erstmal nicht dran denken.
Die nächsten Tage verbringe ich wie gewohnt mit Georg. Momentan wohnt er mit Conny zusammen. Ein nicht sehr intelligentes, aber erträgliches Mädchen. Er hat auch eine Menge Probleme mit ihr, allerdings völlig anderer Natur. Irgendwie fehlt mir die Lust, mich in Wiesdorf rumzutreiben, und so sitzen wir meistens in ihrer gemeinsamen Wohnung. Spielen Karten, trinken Wein und gehen auch schon mal für ein Stündchen im nahe gelegenen Wald spazieren.
Etwa zwei Wochen nach meiner Trennung, an einem Freitag, ruft Georg mich mittags im Labor an.
"Kommst du heute Abend wieder vorbei?"
"Klar, wenn du meinst."
"Prima. Ich hab zwei Trips aufgetrieben. Wir könnten sie in Orangensaft auflösen und zusammen mit Conny teilen."
"Super. Ich freu mich. Gegen Sieben steh ich bei dir auf der Matte."
Das ist wenigstens mal wieder eine Abwechslung. Schon mehr als sechs Monate hab ich kein LSD mehr zu mir genommen. Es gab kaum noch welches auf dem Markt, und wegen Jutta hab ich mich auch nicht mehr darum bemüht.
Abends läuft alles wie besprochen. Auch Conny freut sich. Wir kommen alle drei total gut drauf und haben einen Mordsspaß zusammen. Nur die Wohnung wird plötzlich zu eng und ist nicht mehr zu ertragen. Ich mache deshalb den Vorschlag, zu Fuß nach Wiesdorf zu gehen. Es sind zwar acht Kilometer, doch unter LSD kann man ohne Probleme noch weitere Strecken bewältigen. Beide stimmen zu und wir marschieren los.
In Wiesdorf angekommen wird sofort unsere Stammkneipe angesteuert. Ausgerechnet heute haufenweise Bekannte unter den Gästen. Wir haben alle drei nicht die geringste Lust, uns auf irgendwelche Gespräche einzulassen. Doch etliche Male hör ich aus irgendeiner Ecke:
"Hallo Günther, wo ist denn Jutta heute?"
Oder:
"Warum bist du denn heute alleine? Hatte Jutta keine Lust, mitzukommen?"
Völlig genervt gebe ich jedes Mal ein "Keine Ahnung" zur Antwort und steuere sofort auf den einzigen noch freien Tisch zu. Wir setzen uns.
Immer noch recht starke, nicht enden wollender Halluzinationen. Auf dem Tisch bilden sich ständig Ornamente, die sich im Rhythmus der Musik aufblähen, auseinanderplatzen und wieder neue bilden. Ganz schön heavy. Eine Weile geben wir uns der Atmosphäre hin, gehen gefühlsmäßig in ihr unter. Georg kommt von der Toilette zurück.
"Jutta sitzt da hinten am Tisch. Muss gerade reingekommen sein, als ich pinkeln war. Ist mit ihrer Freundin Heidi zusammen."
Ich stöhne.
"Ist mir im Moment echt egal. Will sich bestimmt genauso am Wochenende amüsieren, wie jeder andere auch. Hat sie denn irgendwas gesagt?"
"Ne, nur gegrüßt."
"Naja, wenn sie da sitzt, hat sie mich bestimmt schon gesehen. Was soll’s. Ist sowieso Schluss."
Doch dem sollte nicht so sein. Einige Minuten später steht sie an unserem Tisch. Wirkt recht bunt aus meiner Perspektive. Ohne Begrüßung spricht sie mich an.
"Kannst du mal mit mir rauskommen? Ich muss mit dir reden."
"Ne, lass mal. Hab ich überhaupt keinen Bock drauf."
"Es ist aber wichtig. Es geht um meine Sachen in der Wohnung."
Das versteh ich überhaupt nicht.
"Ich kenn die Wohnung ganz gut, und ich weiß genau, dass keine Sachen von Dir da sind."
"Natürlich sind Sachen von mir da. Komm jetzt endlich."
Sie ist richtig ärgerlich und zieht mich am Arm.
"Na gut", sag ich und bin gespannt, was sie wohl meint.
Hätte ich mehr Erfahrung mit der weiblichen Psyche, wäre ich wahrscheinlich sofort drauf gekommen. Kaum sind wir draußen, fällt sie mir um den Hals. Und heult!
"Mir tut das alles schrecklich leid. Ich wollte nicht so gemein zu dir sein. Ich hab dich doch lieb. Seit einer Woche geh ich schon jeden Tag hierhin, nur um dich zu treffen."
Usw., usw. Zwischendurch hemmungsloses Schluchzen. Ich bin richtig gerührt und bringe kein Wort raus. Aber sie.
"Las uns bitte zu dir nach Hause fahren. Ich will heute Nacht gerne bei dir bleiben."
Jetzt muss ich mit offenen Karten spielen.
"Nach langer Zeit hab ich gerade heute LSD genommen. Willst du immer noch mit?"
Sie ist die Liebenswürdigkeit in Person. Ich kann’s kaum fassen.
"Klar. Find ich gar nicht so schlimm. Ich werd auch nicht mehr meckern, wenn du rauchst. Aber übertreibs nicht!"
"Das hab ich noch nie. Las uns wieder reingehen und den anderen Bescheid sagen, dass wir abhauen."
So beginnt unsere Beziehung von neuem. Das gesamte Wochenende kommen wir kaum aus dem Bett. Leider sollte ich mich noch oft an dieses Wochenende erinnern und mich darüber ärgern, dass ich mich drauf einließ.
Bis zum Jahresende, die Zeit, wo sie noch bei ihren Eltern wohnt, hört der Stress wegen dem Rauchen auf. Doch dafür gibt es ständig Reibereien wegen anderer Dinge.
Hauptsächlich Eifersucht. Die verstärkt sich eher, obwohl völlig grundlos.
Ich bin viel zu bequem, um mich um andere Mädchen zu bemühen. Hinzu kommt ihre chronische Lügerei, die sich nach ihren Eltern nun auch auf mich auswirkt. Mir fällt dabei auf, dass sie sich manchmal so stark in Lügengeschichten hineinsteigert, dass ihr die Wahrheit nicht mehr bewusst, bzw. völlig aus ihrem Gedächtnis gelöscht ist. Gebe ich mir Mühe, ihr die Wahrheit zu verdeutlichen, endet es mit Hysterie. Also las ich es und geh dem Problem aus dem Weg. Und wie so oft sage ich mir:
Lass sie erst mal bei dir wohnen, dann hört das alles auf. Dann kennt sie deinen Lebensrhythmus besser und merkt, dass dir andere Frauen egal sind. Und wenn das mit dem Lügen nicht nachlässt, gehst du mit ihr zu einem Psychiater.
Das Verrückte ist, ich glaub selber dran. Glaube, dass Reife den Charakter verändert und Liebe psychische Störungen heilt?!
Anfang Januar 1976 zieht sie bei mir ein. Meine Hoffnung erfüllt sich in den ersten Wochen. Es macht ihr Spaß, nicht mehr ans Elternhaus gebunden zu sein. Sie ist nett, freundlich und verschönert die Wohnung. Was Inneneinrichtung angeht, bin ich absoluter Laie und kann keinerlei Faible dafür entwickeln. Jutta hingegen, als gelernte Dekorateurin, stellt ihre beruflichen Fähigkeiten unter Beweis.
Jeden Morgen fahren wir mit dem gleichen Bus zur Arbeit, sind abends etwa zur gleichen Zeit zu Hause und gehen kaum noch aus. Oft hocken wir vor dem Fernseher, oder wir vertreiben uns sonst wie miteinander die Zeit. Trautes Heim, Glück allein. Hauptsächlich aus Sparsamkeitsgründen. Wir schmieden gemeinsam Urlaubspläne. Wollen zum Nordkap und brauchen ein Auto dafür.
Zu dem Zeitpunkt verdient sie knapp 700 Mark netto - Dekorateur ist allgemein ein schlecht bezahlter Beruf - ich etwa das Doppelte. Es reicht zwar, um neben der Miete ein Auto zu unterhalten, jedoch nicht, um noch irgendwelche Möbel zu kaufen. Doch darauf legen wir beide keinen besonderen Wert. Das Auto ist uns wichtiger. Alles, was in unserer Wohnung steht, ist entweder vom Sperrmüll oder geschenkt. Wir schlafen zusammen in einem uralten Sprungfederbett, ein Geschenk ihrer Oma, von 90 cm Breite und sind zufrieden damit.
Doch je länger wir zusammen leben, desto mehr merke ich, was ich die ganze Zeit unbewusst verdränge. Ihr Lügen hört nicht auf und auch die Eifersucht wird ständig schlimmer. Sogar so schlimm, dass ich mit dem dicksten Stress rechnen muss, wenn ich auf der Straße ein anderes Mädchen nur anschaue, oder mich, mit einer weiblichen Person aus unserem Bekanntenkreis zu lange unterhalte. Es wirkt sich sogar auf männliche Personen aus. Ob wir zu Hause Besuch haben oder bei Bekannten eingeladen sind, ich kriege Ärger, sobald ich mich mit jemandem länger als einige Minuten unterhalte. Jutta fühlt sich sofort vernachlässigt. Ist von sich aus nicht in der Lage, auf andere Personen zuzugehen und sich ihrerseits zu unterhalten.
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