"Also, ich glaube Ihnen, dass Sie sich an nichts mehr erinnern können. Aber dass nur Alkohol im Spiel war, glaube ich Ihnen nicht. Sie brauchen nicht nach Hause zu fahren, doch werde ich Sie in Zukunft besser im Auge behalten. Sollte ich Ihnen, was Rauschmittel angeht, irgendetwas nachweisen können, wird es ernst."
"Vielen Dank, Herr Fuchs. Ich bin erleichtert."
Beim rausgehen denke ich sofort an die Mär vom "schlauen Fuchs". Ich muss in Zukunft höllisch vorsichtig sein, was die Kifferei angeht. Meine Zimmerkollegen warten schon ganz gespannt auf mich. Als ich ihnen die Story erzähle, fallen auch sie aus allen Wolken. Keiner hat in der letzten Nacht irgendetwas mitbekommen.
Noch am selben Tag verbreitet sich die Story in der gesamten Segelschule wie ein Lauffeuer. Leider auch unter den Mädchen, wodurch Vorurteile entstehen könnten.
Abends nennt mich fast jeder: Günther mit „te ha“.
Das Segeln lerne ich, zusammen mit zwei der Mädchen, auf einer H-Jolle. Ein kleines, etwa 3 m langes Boot ohne Kabine, für drei Personen gedacht. Einer muss Steuern, zwei bedienen die Segel. Die Mädchen sind supernett und kameradschaftlich, erzählen aber fast den ganzen Tag nur von ihren Freunden zu Hause. Irgendwelche Annäherungsversuche kann ich von vornherein vergessen. Doch merke ich auch abends, wenn wir in der kleinen Bar im Kellergeschoss unserer Segelschule beim Bier zusammensitzen, dass ich es mangels Erfahrung einfach noch nicht draufhab, den Mädchen irgendwie näher zu kommen.
Eine von ihnen interessiert sich offensichtlich für mich. Sie heißt Monika. Aber ausgerechnet sie finde ich dermaßen hässlich, dass ich mir ständig Mühe gebe, ihr aus dem Weg zu gehen. Sie ist etwa so groß wie ich (1,70 m), ziemlich dick mit rosa Pausbacken, hat vorstehende Zähne und trägt eine Brille, die viel zu groß ist für ihr Gesicht. Die Jungs von meinem Zimmer machen schon Witze, wenn sie meine Ausweichmanöver bemerken. Und von Seiten der Mädchen fang ich mir böse Blicke ein.
Was habe ich nur gegen Monika? Wo sie mich doch so nett findet!
Nach einer Woche Aufenthalt ist für Freiwillige eine Tagestour nach München angesagt.
Ich nutze die Gelegenheit zusammen mit drei weiteren Jungs aus meinem Zimmer (Heiko, Wolfgang und Lothar), den gleichen, mit denen ich regelmäßig zusammen rauche. Wir wollen das Hofbräuhaus sehen und kennen lernen. Auch Monika ist mit von der Partie und versucht schon im Bus, sich ständig mit mir zu unterhalten. Auf eine Unterhaltung lass ich mich ein, mache ihr jedoch bei unserer Ankunft so freundlich wie möglich klar, dass wir vier auf jeden Fall ohne Mädchen ins Hofbräuhaus wollen. Scheint ihr auch gar nichts auszumachen. Kein Anflug von Traurigkeit.
Nach einer kleinen Stadtrundfahrt, bei der der Fahrer uns einige Sehenswürdigkeiten zeigt, hält der Bus in Bahnhofsnähe. Wir alle bekommen vier Stunden Auslauf und können auf eigene Faust die Innenstadt erkunden. Wie geplant machen wir vier uns sofort in Richtung Hofbräuhaus auf den Weg.
Keiner von uns weiß eigentlich genau, was er sich unter dem Hofbräuhaus vorstellen soll, wir wissen lediglich, dass es eins der Münchner Wahrzeichen ist, zu dem viele Biertrinker pilgern. Als wir es endlich finden und reingehen, sind wir maßlos enttäuscht.
Die reinste Spießerhütte! Auf einem Podest spielen viertklassige Musiker bayerisches Gedudel und das Publikum besteht zum größten Teil aus halb- oder ganz besoffenen Opas, die mit glasigen Augen in ihre Literkrüge starren.
Und es ist superdreckig! Der Boden ist übersät mit Papierabfällen. Horror für uns.
"Was meint ihr?" fragt Lothar sofort. "Sollen wir wieder abhauen und was anderes suchen?"
"Jetzt sind wir so weit zu diesem Schuppen gelaufen", meint Heiko, "dass wir uns wenigstens einen Literkrug genehmigen sollten."
Wolfgang und ich stimmen zu. Wenigstens einen trinken, bevor wir dieser miesen Atmosphäre den Rücken kehren. Wir ärgern uns noch mehr als wir sehen, dass die Krüge nicht mal bis zum Eichstrich gefüllt sind und wir auch noch vier Mark dafür bezahlen müssen. Wir trinken schnell, und sind dadurch kurze Zeit später in ausgelassener Stimmung wieder auf der Straße. Als wir behäbig durch eine Seitenstraße schlendern, ist Wolfgang plötzlich völlig aufgebracht.
"Habt ihr das gerade gehört? Da hat einer ein total geiles Solo auf einer Gitarre losgelassen. Ich glaub, in dem großen Haus dort auf der anderen Straßenseite. Lasst uns rübergehen, vielleicht spielt er noch mehr."
Wir anderen haben nichts gehört, aber da Wolfgang selbst ganz gut Gitarre spielt, hat er bestimmt ein besseres Gehör dafür. Wir gehen alle rüber und warten einige Minuten.
Nichts, nicht das geringste Geklimper. Wolfgang hantiert an der Haustür.
"Hey Jungs, die Tür ist offen. Und seht euch das mal an!"
Wir kommen näher und staunen nur noch. Hier müssen Künstler wohnen! Der gesamte Hausflur ein einziges Kunstwerk! Fußboden und Wände wirken wie tätowiert. Ein Motiv neben das andere gemalt. Dazwischen samtrot gestrichene Treppenstufen. Staunend blicken wir uns um. Man kann sich kaum satt sehen daran. Ich brech als erster das Schweigen:
"Meint ihr nicht auch, dass das genau der richtige Ort ist, wo wir einen Joint bauen sollten?"
Allgemeine begeisterte Zustimmung. Wir lassen uns auf den Treppenstufen nieder und ich fang an, die Blättchen aneinander zu kleben. Als ich gerade mit den Bröseln beschäftigt bin, hören wir, wie sich eine Etage über uns eine Tür öffnet und jemand die Treppe runterkommt.
"Pack schnell alles weg!“ sagt einer der Jungs.
"Quatsch, wer in diesem Haus wohnt, hat bestimmt keine Einwände", erwidere ich, ohne mich beim Bröseln stören zu lassen. Die Schritte kommen näher und ein junger Mann, etwas älter als wir, taucht hinter uns auf. Er stutzt ein wenig, als er uns sieht, begreift aber sofort die Situation.
"Hallo Jungs", spricht er uns freundlich an. "Würdet ihr mir vielleicht mal zeigen, was für eine Sorte ihr habt?"
Damit haben wir natürlich nicht gerechnet. Wir besitzen recht guten Marokkaner und ich gebe ihm ein Stücken davon. Nach einigem Schnuppern und Begutachten gibt er es mir zurück.
"Ist echt nicht schlecht", lautet sein fachmännisches Urteil. "Doch wartet einen Moment, ich hab ne bessere Sorte auf Lager."
Er flitzt zurück in seine Wohnung und bringt uns ein kleines Piece von einer Sorte, die wir alle noch nie gesehen haben. Es ist weiß, oder vielmehr grau. Etwa drei Jahre alter, völlig durch geschimmelter Afghane, wie er uns versichert. Das Piece ist so klein, dass ich es auf höchstens 0,3 Gramm schätze.
Er vermengt es in seiner Hand mit Tabak von einer Zigarette und stopft eine Pfeife damit.
Ich bin skeptisch. Ob das wohl für fünf Personen reicht? Aber wir haben ja auch noch meinen Joint. Er raucht die Pfeife an und gibt sie an uns weiter. Nachdem jeder von uns einen tiefen Zug inhaliert hat, ist das Ding schon durch geraucht. Ich zünde unseren Joint an.
"Ihr wundert euch vielleicht, weil noch keine Wirkung da ist", sagt der freundliche Unbekannte, „aber bei gutem Dope muss man schon mal fünfzehn bis zwanzig Minuten warten. Ich muss jetzt unbedingt abhauen. Also macht es gut und viel Spaß noch."
Nach diesem Worten verschwindet er. Wir rauchen noch gemütlich die Tüte zu Ende und beschließen dann ebenfalls, uns in Richtung unseres Treffpunkts auf den Weg zu machen.
Kaum sind wir wieder unter freiem Himmel, geht das Desaster los! Ich werde dermaßen von der Wirkung des Afghanen überwältigt, wie ich es auf manchen LSD-Trips nicht erlebte. Die Häuserwände biegen sich, und ich habe das Gefühl, die Straße versucht sich jeden Moment aufzurollen. Auch die Leute wirken wie Wesen von einem anderen Planeten. Das kann doch nicht wahr sein, schießt es mir durch den Kopf. Bei der kleinen Menge! Den anderen scheint es auch nicht besser zu gehen. Keiner von uns ist in der Lage, sich vernünftig und konzentriert zu artikulieren, und alle leiden unter Kreislaufstörungen. Schwankend bewegen wir uns vorwärts.
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