Allmählich werden die anderen vier neugierig und stiefeln aus dem Wasser in unsere Richtung. Alle kriegen große Augen, als sie den Joint sehen. Hocken sich sofort in den Sand um uns herum. Nach einigen Kommunikationsversuchen stellt sich heraus, dass John, so heißt der edle Spender, Engländer ist und in Amsterdam auf einem Hausboot lebt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich durch kleine Dealereien. Ich bin allerdings der einzige von uns fünfen, der relativ flüssig Englisch spricht, und so betätige ich mich für die anderen als Dolmetscher.
Nach einigem belanglosen Geplauder meint Alois zu mir:
"Frag ihn doch mal, ob er zufällig ein bisschen Dope bei hat, was er uns verkaufen kann.“
„Das bringt’s doch gar nicht. Wir haben doch alle keine Knete mehr.“
„Ich hab aber eine Idee. Vielleicht ist er einverstanden, wenn ich ihm meine Uhr als Pfand hier lasse. Dann fahren wir nächstes Wochenende nochmal hierher. Er kriegt dann sein Geld und ich meine Uhr zurück.“
Die Uhr von Alois ist zwar nicht besonders wertvoll, sieht aber so aus! Es ist eine der ersten Uhren ohne Zeiger, die auf den Markt gekommen sind. Sie zeigt die Zeit durch eine sich drehende Scheibe an. Man bekommt sie für 35 Mark bei „Tchibo“. Doch ich bin überzeugt, dass Alois es ehrlich meint, und so frage ich den Engländer erstmal, ohne die Tauschabsicht mitzuteilen, nach Dope.
Er hat! Aus seiner Jackentasche holt er ein etwa 12 Gramm schweres Stück roten Libanon hervor. Hart wie ein Stein, mit einem süßlichen schweren Geruch, wie man ihn nur selten erlebt. Vermutlich das gleiche, was wir soeben rauchten. 50 Gulden will er für das Prachtstück.
„Frag ihn auch mal nach Trips!“ drängt Alois weiter.
Zufällig bat er die auch noch. Er zeigt uns eine Streichholzschachtel, in der zwei rechteckige, bläuliche schimmernde Kristalle liegen. Angeblich aus Kalifornien. LSD in irgendein Kunstharz eingeschlossen, wie er mir erklärt. Sollen fünf Gulden das Stück kosten.
Ich versuche, meine Begeisterung zu verbergen, erzähle ihm von unserem Amsterdamer Missgeschick und schlage ihm das von Alois erdachte Tauschgeschäft vor. Es funktioniert. Ihm gefällt die Uhr gut genug, dass er uns den Klumpen Libanon zusammen mit den beiden LSD-Trips überreicht.
Horst baut sofort einen neuen Joint, während ich die beiden Trips mit einem Taschenmesser teile. Verrückt genug wie wir sind, Herbert verzichtet freiwillig, schlucken wir sofort und auf der Stelle unseren Anteil herunter. John, dem wir all dies verdanken, schreibt uns die Adresse von seinem Hausboot auf einen Zettel, und verabschiedet sich, nachdem der zweite Joint erloschen ist.
Dieses Zusammentreffen mit John ist für uns alle eine Sache, die wir uns nach dem gestrigen Frust niemals hätten träumen lassen. Es ist zwar kein Geld mehr da, aber wir haben einen dicken Klumpen bestes Dope, und es steht uns noch ein LSD-Trip am Meer bevor.
Bereits eine knappe Stunde später danken wir dem Himmel, dass John nicht mehr von den Trips dabei hatte. Obwohl jeder nur einen halben nahm, ist es für uns alle die stärkste Dosis, die wir bisher unserem Körper verabreichten. Ich weiß nicht, was die anderen für sich durchmachen, ich kann auf jeden Fall das Meer nicht mehr als Meer identifizieren. Ich sehe nur noch Farben. Auch fällt es mir verdammt schwer, die anderen Jungs voneinander zu unterscheiden. Sie lassen sich kaum fixieren. Hab ich mal einen von ihnen gesichtet, verläuft er sofort vor meinen Augen zu einem unförmigen blauen Klumpen, der auch noch zu mir spricht! Ich kugele mich stellenweise vor Lachen darüber.
Es ist schwer zu beschreiben, unter welchen Umständen wir den Tag über die Runden bringen. Abends sitzen wir noch über eine Stunde zu fünft im Auto, bevor wir uns entschließen können, endlich abzufahren. Ich bin heilfroh, dass Bernd die Autofahrerei einigermaßen auf die Reihe kriegt.
Doch das Pech will sich nicht abschütteln lassen! In einer Form, mit der wir in unserer Unerfahrenheit nicht rechnen. Am Zoll, bzw. an der Grenze gibt es keinerlei Probleme.
Trotz unserer dicken Augen können wir ohne großartige Kontrolle passieren. Es geschieht einige Kilometer hinter der Grenze, in Höhe von Hamminkeln bei Wesel.
"Irgendetwas stimmt nicht", meint Bernd ziemlich entsetzt. „Der Wagen zieht nicht mehr nichtig. Er wird immer langsamer. Ich fahr mal rechts ran.“
In dem Moment, wo er die Kupplung loslässt, werden wir von dem Bremseffekt durchgerüttelt. Der Wagen hält quasi von selbst am rechten Fahrbahnrand der Autobahn und gibt keinen Muckser mehr von sich. Wir sind alle noch ziemlich flippig und aufgelöst durch die Restwirkung des LSD, so dass keiner von uns den Ernst der Lage richtig erkennt. So steigen wir alle erstmal aus und schauen uns den Motor an.
Sieht völlig normal aus, doch wer von uns hat vorher jemals einen Motor gesehen!? Alois bekommt einen vernünftigen Gedanken.
„Etwa 100 Meter zurück habe ich ein Notruftelefon vom ADAC gesehen. Bist du Mitglied im ADAC, Bernd?“
„Ich hab das Auto doch erst drei Tage. Mein Vater ist aber im ADAC.“
„Na gut, lass uns hingehen und anrufen. Vielleicht helfen sie uns.“
Reichlich niedergeschlagen kehren die Beiden zurück.
„Sie helfen uns“, informiert uns Alois. „Aber erst morgen früh, gegen acht. Um diese Uhrzeit schicken sie keinen Wagen mehr raus. Und Bernd muss es bezahlen. Dass sein Vater Mitglied ist, zählt nicht.“
Das ist ein Hammer! Morgen früh um acht muss ich längst im Labor sein. Alois genauso.
Ferner haben wir alle seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen. Außerdem kein Geld, um mit dem Zug nach Hause zu kommen. Seit einer Stunde sind selbst die Zigaretten ausgegangen. Vom Durst und der Müdigkeit ganz zu schweigen. Jeder Einzelne von uns hat sich tierisch darauf gefreut, zu Hause wieder in seinem Bett zu liegen. Und, jetzt sind wir gezwungen, unter den ungünstigsten Umständen noch eine Nacht zu fünft auf der Autobahn zu verbringen.
Ein eventueller Ärger mit der Bayer AG ist für mich im Moment nur zweitrangig.
Autopannen können schließlich immer mal passieren. Hunger und Durst sind weitaus schlimmer. Doch wir haben noch unseren Klumpen Libanon. Das Einzige, von dem wir noch zehren könnten. Und eine kleine Pfeife, wodurch wir nicht auf Tabak angewiesen sind. Was bleibt uns anderes übrig, als das Zeug zu rauchen, wenn wir die Nacht einigermaßen über die Runden bringen wollen.
Kaum ist die erste Pfeife verraucht, hält direkt vor uns ein Polizeiwagen! Zwei Uniformierte steigen aus und gehen auf unser Auto zu. Panik! Horst nimmt den Klumpen sofort in den Mund. Wir anderen halten die Luft an.
„Dürfte ich mal bitte Ihren Führerschein und die Wagenpapiere sehen?“
Bernd reicht beides wortlos raus.
„Herr Lümmel, würden Sie uns bitte erk1ären, warum sie mitten in der Nacht auf der Autobahn anhalten?“
"Das ist wirklich keine Absicht, Herr Wachtmeister. Der Wagen rührt sich nicht von der Stelle, und der ADAC will erst morgen früh vorbeikommen."
"Machen Sie doch mal die Motorhaube auf und starten Sie."
Mit einer Taschenlampe wird der Motor beleuchtet. Bernd versucht zu starten. Es tut sich natürlich nichts.
"Wie die Sache aussieht, ist es ein Kolbenfresser", lautet der Kommentar des Polizisten, mit dem wir alle nichts anfangen können. Nie gehört das Wort.
"Ich sehe hier, dass Sie erst seit drei Tagen Ihren Führerschein besitzen. Hat man Ihnen nicht beigebracht, dass man bei jeder Panne auf der Straße ein Warndreieck aufstellen muss? Haben Sie überhaupt ein Warndreieck?"
Bernd glotzt ihn nur ratlos an und kriegt kein Wort heraus.
"Nun hol's schon raus und stell es auf", raunt Horst ihm zu und stößt ihn unsanft, aber unauffällig in die Rippen. Bernd steigt aus und öffnet den Kofferraum. Als der Polizeibeamte das Warndreieck sieht, sagt er:
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