Die gesamte untere Etage war durch ihren Marmorboden sehr hellhörig und jeder Schritt den man vor den anderen setzte, hallte noch Sekunden später nach. Genauso wie die metallischen Geräusche, die soeben aus Richtung des Speisesaals kamen. Diese konnte man zum Teil noch in den oberen Etagen hören und je mehr man sich dem riesigen Saal näherte, desto klarer und lauter wurden sie.
Erst als man den Saal betrat, bemerkte man seine immense Größe. Die Decke war mit ihren knapp Zehn Metern atemberaubend hoch und die drei edlen Kronleuchter mit ihren zur Decke geschwungenen Armen, die jeweils ein Dutzend Kerzen halten konnten, zogen die Augen sofort in ihren Bann. Trotz des Staubes und der Spinnenweben, die sich über die Jahre auf ihnen gesammelt hatte, war die Pacht, die von ihnen ausging, unübersehbar!
Aber wo kamen die immer lauter werdenden Geräusche her?
Der Saal war menschenleer…
Außer mit Tüchern überdeckte Möbelstücke, Kerzenständern mit halb bis ganz abgebrannten Kerzen und dem riesigen runden Tisch mit den unzähligen Stühlen in der Mitte des Raumes, war nichts zu finden.
Ein weiterer Blickfang des Raumes war die riesige gefüllte Bücherwand, die die gesamte Breite und Höhe der Wand hinter dem großen Tisch schmückte. Nur in der Mitte teilte ein alter offener Kamin, diese prall gefüllten Bücherregale.
Dieser alte Steinkamin war ein Meisterwerk alter Baukunst. In Stein gemeißelte biblische Psalme, monsterähnliche Fratzen, engelsgleiche Wesen oder Schlachten zwischen Himmel und Hölle verzierten den Kamin und den langen, breiten Rauchabzug, der sich bis hoch zur Decke erstreckte.
Die Feuerstelle des Kamins und das Gemäuer im Inneren waren schwarz von Ruß. Er musste in den Wintern der vergangenen Jahrzehnte wohl immer im Einsatz gewesen sein und den riesigen Raum mit Wärme versorgt haben. Auch jetzt schien er noch vor Kurzen im Einsatz gewesen zu sein, denn ein Gemisch aus Resten von Holzscheiden und Asche stapelte sich in der Mitte der Feuerstelle.
Dicht neben der Öffnung des Kamins stand die Halterung der Schürhaken, damit man das Feuer anstochern konnte. Nur von den Schürhaken selber fehlte jede Spur!
Plötzlich verstummten die metallischen Geräusche und einige Sekunden lang hörte man nichts, bis die Stille vom Hall immer näher kommender Schritten unterbrochen wurde.
Sie wurden von Schritt zu Schritt lauter und es machte den Anschein, dass sie aus dem Inneren der Wand kamen.
Dann verschwand der Hall genauso schnell, wie er gekommen war. Stattdessen hörte man jetzt das klackern von Zahnrädern, die in einander fassten und sehr schwerfällig anfingen sich zu drehen. Unterstützend reihte sich der Klang bewegender Ketten in die Geräuschkulisse ein und ein alter Schließmechanismus setzte sich in Gang.
Langsam und mühselig bewegte sich eine Regalzeile, die in etwa die Maße einer Tür hatte, ins Innere der Regalwand. Als sie etwa einen halben Meter in der Wand versunken war, fuhr sie durch einen Kettenzug gehalten nach oben.
Schon als sich ein schmaler Spalt zwischen Boden und Regal bildete, fiel Licht von der Hinterseite des Regals in den großen Saal und schwarze Stiefel waren zu erkennen! Jemand auf der anderen Seite des Regals wartete auf die vollständige Öffnung der Tür.
Nach und nach kamen noch Jeans und langer Mantel zum Vorschein, bis der Durchgang ganz geöffnet war und Dalarion mit finsterer Miene auf der anderen Seite des Regals stand.
Er trat in den Saal und drehte sich zu den Büchern, rückte ein paar von ihnen zurecht und mit einem leisen Summen senkte sich die Regalzeile wieder und fuhr vor in ihre ursprüngliche Position.
Unterdessen bewegte er sich mit schnellem Schritt aus als dem Saal, folgte dem Flur in die Eingangshalle, ging quer hindurch, mittig an den beiden Treppenaufgängen vorbei und verschwand hinter einer Tür, über der ein großes goldenes Kreuz hang.
Der Raum hinter der Tür wurde durch hunderte von kleinen Kerzen auf einem Tisch mit drei Ebenen, erhellt. Über dem Tisch an der Wand hing ein großes aus Stein gemeißeltes Kreuz mit leichter Neigung in den Raum hinein. Und dieses Kreuz zierte der gekreuzigte Jesus.
An der linken Wand, die auch gleichzeitig Außenwand des Gebäudes war, viel leichtes Mondlicht durch das Fenster, welches mit ihrem bunten Glas ein wunderschönes Bild ergab.
Dalarion ging mit leisem Fuß an den Sitzreihen vorbei, die den ganzen Raum füllten, griff in ein Fach unter dem Tisch und holte eine neue Kerze hervor. Er zündete sie an einer der Kerzenflammen an und auch das untere Ende der Kerze erhitze er über dieser Flamme. Schnell drückte er die geschmolzene Unterseite der Kerze an eine freie Stelle am Tisch, wo sie sofort stehen blieb. Dann kniete er sich auf das lange gepolsterte Kniebrett, das vor dem Tisch im Boden verankert war und faltete die Hände.
Leise, mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen sprach er ein Gebet in Frühlatein. Frühlatein, eine Art der lateinischen Sprache, die nur wenige beherrschten und die älter war, als Jesus Christus selbst.
Als er dieses zu Ende gesprochen hatte, verharrte er noch eine Weile in dieser Stellung. Dann öffnete er die Augen, blickte wie gebannt auf das Kreuz an der Wand und richtete sich langsam auf. Er verbeugte und bekreuzigte sich und lief dann mit sichtlich erleichtertem Gesichtsausdruck auf die Ausgangstür der Kapelle zu.
Mit leisen Knarren öffnete sich diese und Dalarion stand wieder in der Eingangshalle. Es schien, als würde er für diese Nacht noch einen kleinen Ausflug in die Nacht planen. Hatte ihn im Gebet mal wieder eine Vorahnung gefasst oder wollte er einfach mal aus seinem Versteck um mal etwas anderes zu sehen als dieses kalte, einsame Gemäuer?!
Auf dem Weg zur Garage, durchquerte er die Küche oder den Raum, der damals als Küche diente. Als Wesen des Lichts verspürte Dalarion keinen Hunger, keinen Durst oder ähnliche Gelüste, sodass die Küche nur ein weiterer ungenutzter, langsam in sich verfallender Raum war. Das einzige, das heute noch auf den Arbeitsflächen lag, war eine Zentimeter hohe Staubschicht. Der Kühlschrank und die Küchenschränke waren leer und die Kacheln an Wänden und Boden waren mit Rissen übersät, sofern sie überhaupt noch vorhanden waren. Die Kacheln, die sich im Laufe der Zeit von der Wand gelöst hatten, lagen zersprungen und in alle Richtungen verteilt auf dem Boden.
Die Küche verfügte über eine Verbindungstür, von der aus man in eine große Vorratskammer kam. Doch Vorräte wurden hier schon lange nicht mehr gelagert!
Dalarion ertastete den Lichtschalter im Inneren der Kammer und schob den kleinen Kippschalter mit dem Zeigefinger nach oben. Flackernd und mit einem summenden Geräusch gingen die Leuchtstoffröhren an der Decke an. Außer ein paar…Die flackerten nur immer wieder mal kurz auf und erloschen gleich wieder.
Der Raum bot viel Platz, doch stand nur wenig in ihm. Jede Menge Regale zur Lebensmittellagerung waren an den Wänden rings um den Raum befestigt. Aber bis auf Staub, Spinnenweben und ein paar schon rostansetzender Konservendosen, von denen sich die Etiketten schon abgelöst hatten, lagerte nichts mehr in ihnen. Ganz anders sah es aber in der Mitte des Raumes aus.
Dort stand eine mattschwarze Chopper. Ihre Chromverzierungen funkelten nur so im warmen Licht der Leuchtstoffröhren.
Als er die Kammer betrat und an der Maschine vorbei ging, um das Tor zum Hof zu öffnen, fuhr er mit einem Finger leicht über den breiten Ledersitz.
Am Tor schob er einige verrostete Riegel zurück und hob eine schwere quadratische Metallstange aus den beiden u-förmigen Halterungen. Er stellte die Stange in eine Ecke nahe dem Tor und stieß es mit beiden Händen auf. Mit Schwung öffnete es sich und schob dabei knirschend ein paar Kiesel beiseite, mit denen das ganze vordere Grundstück ausgelegt war.
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