Mühsam stand er wieder auf, begutachtete die Fleischwunde und handelte sie als Lehrgeld für Perfektion ab. Ihm war gar nicht klar, wie viel Glück er bei dieser Situation hatte. Hätte sein Sturz nur fünfzig Zentimeter mehr rechts sein Ende gefunden, hätten die Spitzen sich in seinen Körper gebohrt und ihn getötet.
Am Haus seiner Eltern angekommen, ging er ohne Zwischenstation ins Bad und säuberte die Wunde.
„So, sagte er sich, jetzt noch ein wenig Jod, ein bisschen Verband und dann wird das schon wieder!“
Es dauerte eine Weile bis er sein Bein versorgt hatte, doch dann verließ er das Bad mit dickem Verband. Humpelnd ging er zur Treppe die in die erste Etage führte. Dort oben befand sich sein Zimmer. Er hielt sich während er hoch lief am Geländer fest um so das Bein ein wenig zu entlasten.
Kurze Hose hatte sich damit wohl erledigt, dachte er sich. Er wollte nicht wieder Rede und Antwort vor seinen Eltern stehen müssen. Und erst recht nicht vor Sam!
Sie würde bei der Geschichte wieder ausflippen und versuchen ihm den Sport auszureden. So wie sie es schon einige Male versucht hat. Doch Tony nahm sich davon nie etwas an und winkte immer nur kopfnickend ab.
In seinem Zimmer stöberte er erst einmal auf dem Boden nach einer passenden langen, nicht zu dicken Hose. Unter einem riesigen Wäscheberg, der sich in einer Ecke des Zimmers türmte, wurde er fündig. Er ordnete sie in, ein wenig zerknittert aber durchaus tragbar ein und striff sie vorsichtig über das bandagierte Bein.
Schnell noch Schuhe angezogen und den Rucksack über die Schulter werfend, verließ er auch schon wieder sein Zimmer, die Treppe runter und durch die Haustür.
Er konnte sich nicht mehr dran erinnern, wann er zum letzten Mal den normalen Weg zur Schule benutzte. Aber heute zwangen ihn ja die Umstände zu dieser konventionellen Art und Weise der Fortbewegung.
Es dauerte durch den dichten Morgenverkehr mit seiner wirren Ampelschaltung gute zwanzig Minuten bis zur Schule...Mit dem Bus… Aber wie das Schicksal es wollte, verpasste Tony ihn nur um Haaresbreite.
Er versuchte noch ihn ein zu holen, doch schnell meldete sich seine Verletzung.
„Ich liebe diese Tage, an denen alles so glatt läuft“, fluchte er ironisch.
An der Schule angekommen, waren die ersten beiden Stunden schon vorbei. Die Schüler der Abschlussjahrgänge waren wie immer auf dem großen Parkplatz hinter der Schule versammelt und die Gruppenbildungen waren nicht zu übersehen.
In einer Ecke lehnten die Jungs der Footballmannschaft, bekleidet mit ihren Teamjacken cool an ihren polierten Autos und den Arm lässig über die Schulter der Freundin hängend, die sie wie eine Trophäe präsentierten.
Während die Jungs sich über das letzte Spiel unterhielten und sich an vergangenen Siegen aufgeilten oder von anstehenden Stipendien träumten, quatschten die blonden und brünetten Trophäen in ihren Armen von Make-up, den Modefehltritten der Konkurrentinnen und dem kommenden Abschlussball.
In der anderen Ecken die weißhäutige Freakshow, wie sie spöttisch von den Sportlern genannt wurden. Gemeint waren die Streber, Matheklubmitglieder und Computerfreaks.
Alle, wie sollte es anders sein, nicht mit weiblicher Begleitung im Arm, sondern mit Laptop oder PDA im Anschlag.
Und dann gab es noch die, die sich nicht den Gruppen unterordnen wollten. Eine Hand voll neumodischer Rebellen und Sam und Tony.
In einem Satz…Ein hundertprozentiges klischeeerfüllendes Bild einer Highschool, wie man es aus Fernsehen und Kino kannte.
Tony trottete langsam den Parkplatz entlang und wieder einmal zog er die Blicke der weiblichen Mitschüler auf sich Zur Missgunst der Spieler des Footballteams. Das war auch der Grund, warum das Team nicht unbedingt freundschaftlich auf ihn gestimmt war.
Von weitem konnte er Sam schon auf einer Mauer sitzend erkennen. Die Beine übereinander geschlagen und die Nase vergraben in ein Physikbuch. Er erinnerte sich…Heute ist ja ihr letzter Test vor den Sommerferien.
Sam war mit die hübscheste, wenn nicht sogar „Die Hübscheste“ der Schule und das gesamte Footballteam würde sofort die aktuelle Freundin gegen Sam eintauschen. Aber sie machte sich nichts aus selbstverlieben Angebern. Sie war voll und ganz in Tony verliebt!
Dieser Umstand bescherte Tony noch einen Minuspunkt auf dem Konto der Sportskanonen!
Tony ging an den Spielern vorbei, unbeeindruckt von den bösen Blicken, die sie ihm zuwarfen. Er machte einen kleine Schlenker über den Rasen, sodass er unbemerkt hinter Sam gelangen konnte. Er hockte sich hin und legte seine Hände von hinten auf ihre Augen.
„ Verschwende die Pause nicht mit lernen! Du hast alles in deinem hübschen Kopf!“
„Hey Babe! Wo warst du so lange? Dachte schon, du hast es dir wieder einmal anders überlegt!“ fragte sie und schob seine Hände mit ihren von den Augen.
„Hab mich auf dem Nachhauseweg verlaufen und wurde von einer aggressiven Hacke angefallen!“
„Spinner!“ mehr sagte Sam nicht dazu. Dann ertönte auch schon die Schulglocke.
Sam sprang auf, klappte ihr Buch zusammen, drückte Anthony noch einen Kuss auf die Wange und rannte Richtung Schuleingang.
„Muss los! Schreib jetzt den Test. Drück mir die Daumen!“
Dann verschwand sie im Gebäude.
Da saß Tony nun alleine auf der Mauer und kämpfte gegen die Idee doch nicht in den Unterricht zu gehen.
Der Parkplatz wurde allmählich leerer. Er wollte sich gerade ein Herz fassen und zum Unterricht gehen als „Hawk“, sein bester Freund, mit quietschenden Reifen und lauter Musik vor ihm hielt.
„Was los, Alter!?! Lust auf ne Spritztour?“ Meine Mum ist bei ihrem Lover und ich hab ihr Auto bekommen. Schule gibt es auch noch morgen. Das Auto nicht!“ schrie Hawk aus dem offenen Beifahrerfenster.
Mit diesem Argument hatte er gewonnen und Tonys guten Vorsatz zum Unterricht zu gehen erfolgreich niedergemäht.
Tony nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Hawk fuhr mit qualmenden Reifen davon.
Hawk, eigentlich Peter Hawkins, war Tonys bester Freund und der Nachbar von Sam. Durch ihn hatten sie sich auch vor ein paar Jahren kennengelernt.
Den Spitznamen „Hawk“ bekam er vor etwa drei Jahren, als er mit Tony zum ersten Mal von Parcour hörte und über eine Mauer springen wollte.
Tony sprang voraus und schaffte es heil zu landen, während Peter mit seinem linke Fuß an der Mauer hängen blieb und auf den Asphalt knallte. Tony, der alles gut sehen konnte sagte später, dass Peter wie ein Adler mit den Armen schlug, bevor er mit der Nase eine Bruchlandung hinlegte. Daraufhin beendete Peter auch seine kurze, aber sehr schmerzhafte Parcour Karriere. Nur eins blieb…Sein neuer Name!
„Erster Halt, Donut-City!“ schrie Hawk wie ein Schaffner durchs Auto.
Diese Information war nichts Neues. Donut City war immer das erste Ziel der Beiden, wenn sie sich mal selber einen Tag frei von der Schule gönnten.
Sie fuhren an den Autoschalter und eine Männerstimme ertönte aus dem Lautsprecher, der wie das Maskottchen Don Ut’o der großen Kette aussah. Ein Donut auf zwei Beinen mit riesigem Sombrero auf dem Kopf.
Sie bestellten den „Zehner Mix“ mit zwei Kaffee und fuhren zum nächsten Fenster um ihre Bestellung entgegenzunehmen.
Ein Mann mit rot-weiß gestreifter Uniform und Mütze, auf der ein Plastikdonut auf einer Feder hin und her wackelte, reichte ihnen die Tüte durch ein schmales Fenster. Sein Gesichtsausdruck verriet sofort, wie sehr er seinen Job und die dämliche Verkleidung liebte.
„Danke, mein Donut-Engel!“ scherzte Hawk und legte ihm vier Dollar auf die Ablage.
Dann fuhr er mit durchdrehenden Reifen vom Gelände und grölte wieder die nächste Station ihrer Fahrt durchs Auto!
„Endstation Kalorienverbrennungscenter!“
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