Doch so ernst sie dabei auch bleiben wollte, die Freude war zu groß Tony zu sehen.
Mit einem riesen Satz sprang sie zu Tony ins Bett und umarmte ihn als ob sie ihn mindestens zwei Monate nicht mehr gesehen hatte.
Es waren zwar keine zwei Monate sondern nur drei Tage, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatte, aber bei ihrer noch frischen Liebe war das eine Ewigkeit.
Diese gelegentlichen Pausen ließen sich aber leider nicht vermeiden. In Sams Leben hatte sich in den letzten Monaten sehr viel verändert.
Nach dem Tod ihrer Mutter vor knapp acht Monaten unterstützte sie ihren Vater so gut es nur ging, damit dieser mehr arbeiten gehen konnte um die Familie zu ernähren.
Das plötzliche und unerwartete versterben der Mutter hatte eine große Lücke in der Familie hinterlassen und Sam versuchte diese, so gut es ging zu schließen.
Sie rutschte unbewusst von der Rolle der großen Schwester in eine Art Mutterrolle und für ihre gerade einmal siebzehn Jahre meisterte sie diese neue Aufgabe hervorragend.
Diese Umstände sorgten dafür, dass sie sich an den Wochentagen kaum noch zu Gesicht bekamen. Sie gingen zwar auf dieselbe Schule, aber Sam war ein Jahr jünger als Tony und somit eine Klasse tiefer und Tony als kleiner Rebell nahm es eh ein wenig lockerer mit seiner Anwesenheit am Unterricht. Eine harte Bewährungsprobe für ihre noch junge Beziehung, doch die beiden schweißte alles nur noch mehr zusammen.
So genossen sie jede Minute ihrer Zweisamkeit intensiver denn je und ein Moment wie dieser machte es mal wieder deutlich, wie verliebt die beiden ineinander waren.
Bei dieser stürmischen Begrüßung brachte Tony nur ein zerknautschtes „Überraschung“ heraus, dann blieb ihm wieder die Luft weg.
Die Umarmung beruhigte sich und fand ihr Ende in einem leidenschaftlichen Kuss, bei dem beide die Augen geschlossen hielten.
„Und, wie bist du diesmal hierher gekommen? Sind wieder alle Nachbarn von dir geweckt worden, oder hast du zur Abwechslung mal den dafür vorgesehenen Weg genommen um mich besuchen zu kommen?“
Tony grinste nur und antwortete nicht auf diese Frage.
Dieses schelmische Grinsen war Sam Antwort genug.
„Warum frag ich überhaupt noch?“
Tony zuckte mit den Schultern und grinste weiter.
Beide lagen noch ein paar Minuten eng umschlungen da und erzählten sich die Ereignisse der letzten Tage, bis die Müdigkeit über beide siegte.
Am nächsten Morgen wachte Sam als erstes der beide auf. Sie beugte sich langsam über Tony, der immer noch fest schlief. Mit beiden Händen klemmte sie ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren damit sie Tony nicht kitzeln konnten. Dann näherte sie sich langsam Tonys Wange und setzte ihre Lippen behutsam auf ihr ab. Mit zärtlich kleinen Küssen holte sie Tony aus dem Schlaf.
„Mmmh, so möchte ich jeden Morgen geweckt werden“, flüsterte er.
Beide blieben noch zirka zehn Minuten Nasenspitze an Nasenspitze und den anderen anschauend im Bett liegen, bis der Wecker beide wieder aus ihrer Schwärmerei riss. Beide rollten genervt mit den Augen. Tony gab Sam noch schnell einen Kuss auf den Mund und sprang aus dem Bett. Noch ein wenig schlaftrunken sammelte er seine Sachen vom Fußboden und zog sich an.
Währenddessen schaffte es auch Sam sich aus dem bequemen Bett zu befreien. Sie schlurfte an Anthony vorbei, der schon fast angezogen war und verschwand mit einem
„Wir sehen uns dann gleich in der Schule, oder?“ in das angrenzende Badezimmer.
Tony schaute ihr noch kurz nach und ging dann in Richtung Balkon.
„Aber natürlich Süße! Ich hol noch eben meine Sachen von zu Hause und dann treffen wir uns vor der Schule, ok!“
Kaum hatte er diesen Satz zu Ende gesprochen, öffnete er auch schon die Balkontür, legte seine Hände auf die Balkonbrüstung und sprang auf den Rasen darunter und kurz danach verließ das Grundstück über das verschlossene Gartentor.
Wieder querfeldein durch die Nachbargärten in Richtung Elternhaus, versuchte er weitere Tricks. Alles lief perfekt und es lag nur noch ein schmaler lehmiger Gang vor ihm, der das Grundstück seiner Eltern vom Nachbarn trennte.
Dieser Pfad, der links von der Garagenmauer seiner Eltern und rechts von der Mauer des Nachbarhauses umgeben war, hatte nicht einmal die Breite von zwei Metern. In der Mitte dieses Ganges waren mehrere Holzlatten in den Boden eingelassen, damit niemand ihn als Abkürzung oder ähnliches benutzt.
Jedes Mal wenn Tony diesen Weg benutzte, schmunzelte er über dieses abschreckende unüberwindbare Hindernis. Doch heute fiel ihm beim Anblick der Gasse der neue Stunt aus seinem Parcour Video ein, das er gestern gesehen hatte.
Die Gegebenheiten waren einfach wie dafür geschaffen und Tonys Entschluss stand fest. Jetzt ist die Zeit den neuen Stunt zu versuchen. Er verharrte eine Weile und legte die genaue Route fest, die er gehen wollte und als er alle Eventualitäten in seinem Kopf durchgespielt hatte, rannte er los.
Schnell wie ein Blitz rannte er auf die Holzlatten zu und etwa zwei Meter vor ihnen sprang er rechts gegen die Mauer. Es sah aus, als würde er die Schwerkraft außer Kraft setzen, denn nun rannte er die Wand entlang. So überwand er ohne Mühe das Hindernis. Kurz bevor der nachlassende Schwung ihn hätte wieder auf den Boden landen lassen, stieß er sich von der Mauer ab und sprang hoch zur Dachkante der Garage. Er klammerte sich fest, zog sich aufs Dach und rannte ohne Pause weiter. Nun fehlte nur noch der krönende Abschluss, der Salto mit eingebauter Schraube von der Garage in den Vorgarten.
Er rannte zum Garagenende und wollte sich gerade mit den Füßen am Rand abstoßen, als unter der Belastung seines Körpergewichtes eine Schindel der Seitenverkleidung der Garage abbrach. Das kostete ihn die Balance. Er fiel kopfüber von der Garage und prallte hart mit dem Rücken auf den Rasen. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, doch das war sein kleinstes Problem. Eine Laubharke, die mit den Zähnen nach oben auf dem Rasen lag, bohrte sich mit der äußersten Spitze tief in seinen Unterschenkel…
Währenddessen in der Nähe von Down Town, war Dalarion wieder in seinem Versteck angelangt.
Der dichte Wald hüllte das Anwesen in ein schattiges kaltes Schwarz. Nur vereinzelt schafften Sonnenstrahlen sich den Weg zum laubbedeckten Boden zu bahnen.
Von außen machte das Hauptgebäude nicht all zu viel her. Es erinnerte an einen langsam in sich zusammenfallenden Landsitz einer Adelsfamilie. Auf den Dachgiebeln waren noch die alten Familienwappen der Erbauer zu erkennen. Marmorstatuen, die von den jahrzehntelangen Witterungen schwer gezeichnet waren, zierten den langen alleenartigen Weg zur riesigen doppelflügeligen Eingangstür.
Dalarion saß in einem riesigen Saal, der früher wohl als Ball- der Speisesaal fungierte, inmitten von Möbelstücken, die mit gräulichen Tüchern abgedeckt waren, den Blick starr nach unten gerichtet und seine Hände lagen gefaltet in seinem Schoss.
Dem Raum spendeten nur ein paar in den Ecken verteilten Kerzenständern Licht. Das flackernde Kerzenlicht ließ einen großen Schatten von Dalarion auf seinem Stuhl an der großen Wand erscheinen.
Zeitgleich wie die Spitze der Harke den Unterschenkel von Anthony durchbohrte schnellte sein Kopf nach oben mit dem Blick leer in den Raum gerichtet.
Er fühlte es…Es war soweit!
„Endlich weiß ich wer du bist“, murmelte er in einer rauen Stimme.
„Endlich weiß ich, wo ich dich finden kann!“
„Das Schicksal hat entschieden. Jetzt muss ich nur noch auf den richtigen Zeitpunkt warten!“
Anthony rang nach Luft…Der Aufprall machte ihm das Atmen schwer.
Einen Augenblick später spürte er den Schmerz, der durch seinen Unterschenkel schoss.
Er verzog schmerzerfüllt sein Gesicht. Doch er schrie nicht. Zum Glück steckte die Spitze nur am äußersten Rand. Es half nichts...Das Ding musste raus. Er atmete tief durch und biss die Zähne zusammen. Mit der rechten Hand fixierte er mit aller Kraft die Laubharke am Boden. Mit der rechten Hand packte er sich unter die Kniebeuge und bewegte das Bein langsam nach oben. Der Schmerz war höllisch und Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Aber er musste es durchziehen. Es half ja nichts und nach einem unbeschreiblichen Schmerz war es geschafft. Die Spitze war raus.
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