Die Tempel waren mit Licht durchflutet als wäre es taghell, dabei dämmerte es bereits. Die blankgeputzten Marmorfliesen spiegelten das Licht wieder und verteilten es durch die langen Gänge bis in die kleinen Räume hinein. Leiser Gesang drang an Rawnes Ohren, als sie sich auf den Weg zu Huran, dem Führer dieser Priester machte. Wohlige Gerüche breiteten sich aus und ließen auch ihre Gedanken treiben. Es war ein friedlicher Ort. Vergessen waren alle Sorgen des Lebens außerhalb dieser Mauern. Frieden herrschte bis in die kleinsten Nischen hinein. Ein perfekter Ort, nahe daran das Paradies zu sein.
Der breite Gang führte bis zu einer unscheinbaren Tür. Ein Fremder vermutete nur eine Kleinigkeit dahinter, doch Rawnes wusste, was sie erwartete, als sie diese öffnete. Überall sonst wirkte die Anlage bescheiden, wenn nicht schon ärmlich, doch ihr gesamter Reichtum lag hinter dieser Tür. Ein Raum der leuchtete, auch wenn kein Licht dazu benötigt wurde. Trotzdem dunkel, wie die Nacht. Ein freundliches, stilles Dunkel. Nicht unangenehm oder gefahrenvoll. In diesem Dunkel blieb die Pracht, die ein menschliches Auge kaum ertragen konnte fast vollständig verborgen. Die Wände waren schneeweiß und nichts würde sie beschmutzen können. Verziert waren sie mit einem Gestein, das leuchtete wie Edelstein, doch glänzte es in einem hellen grün, wie es nie in der Natur anzutreffen war. Überall begegnete man diesem mysteriösen Grün, doch auch dies war nichts Unangenehmes. Es war Gold. Nicht das Gold hinter dem seit Jahrhunderten die Menschen her waren. Nicht in der gewohnten goldenen Farbe. Es war ein seltenes Gestein aus den tiefsten Tiefen der Gebirgskette, die das Land im Norden von der Küste trennen zu wollen schien, das unter dem Namen Ostgebirge bekannt war. Der Fluss Yesúw war darüber geflossen und hatte seine magischen Kräfte auf das Gestein übertragen. Es war Gold von dem Grund des Heiligen Flusses und nur sehr Wagemutige wagten es hinabzutauchen, ohne Angst vor dem nahen Abgrund des Wasserfalls.
Die Decke war nach außen gewölbt und ließ den Raum größer wirken als er tatsächlich war. Säulen stützten sie ab. Marmorsäulen in feinster Arbeit gefertigt, von Hand eines Volkes, das sein Handwerk im Umgang mit Gesteinen und Metallen verstanden hatte. Doch leider gab es keine Zwerge, das Volk der Dunkelelfen mehr in Yesúw. Und mit ihnen gingen die feinsten Arbeiten verloren. Nur Weniges war aus dieser lang vergangenen Zeit gerettet worden.
Rawnes ging zunächst zielstrebig auf eine Gestalt zu, die allein im hinteren Teil des Raumes stand. Ihre Schritte hallten an den Wänden wider, denn es gab nichts, was ihren Schall stoppen könnte. Der Raum war leer. Kein Möbelstück oder ähnliches war in ihm zu finden, denn er war nur dazu geschaffen innere Ruhe zu finden oder Gebete an die Götter abzugeben.
Die Gestalt war nicht Huran, den Rawnes eigentlich suchte. Huran war ein kleiner, beleibter Priester, doch vor ihr befand sich eine schlanke, fast zart wirkende Gestalt. Gehüllt in einem langen, grünen Mantel mit einer Kapuze, die tief in das Gesicht gezogen war. Schwere, beschmutzte Stiefel verrieten, dass dieser Jemand nicht aus Midnight Town stammte. Waldboden, kam es Rawnes in den Sinn.
"Wer seid Ihr?", fragte sie direkt heraus. "Und wo ist Huran?"
Die Gestalt drehte sich erst jetzt zu ihr herum, als hätte sie Rawnes gerade erst bemerkt. "Die Angelegenheit ist zu wichtig, als dass Euch ein einfacher Priester weiterhelfen könnte, Rawnes.", sagte eine männliche Stimme, ohne weiter auf ihre Frage einzugehen.
Die Überraschung darüber, dass er wohl ihren Namen wusste, wurde sofort wieder überdeckt, als der Unbekannte seine Kapuze abstreifte. Sie erblickte ein Gesicht, an dem man fast schon das Wort Perfektion andeuten konnte. Die dunklen Augen schienen direkt bis in sie hineinzusehen und Rawnes erlebte zudem eine Distanz, die sie selten bei Lebewesen bemerkte. Selbst die schüchternste Person hielt nicht einen solchen emotionalen Abstand zu ihr.
Was ihr zuerst auffiel waren die spitz zulaufenden, langen Ohren. Eine Elfe. Das war klar, doch normalerweise waren Elfen nicht so ungepflegt. Nicht nur seine Kleidung, sondern auch seine Haut war schmutzig. Seine langen, braunen Haare hingen wirr herab. Ein Merkmal der Elfen war ihre teilweise übertriebene Sauberkeit. Ihr Drang dazu alles in Ordnung haben zu wollen. Doch davon war bei diesem Mann nichts zu sehen. Außerdem war es ihnen nur für kurze Zeit möglich die Größe eines Menschen anzunehmen. Sie konnten nicht mit Erde beschmutzt sein, denn sie erreichten den Boden selten.
"Ich weiß von Euren Plänen.", fuhr er fort. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. "Und ich weiß, dass sie scheitern werden."
"Ach ja?" Vor Verblüffung schnappte sie nach Luft. So direkt hatte es ihr bisher noch niemand ins Gesicht gesagt.
"Ihr habt das Zeichen Justakas gesehen und Euer Dämonenfreund dort draußen sollte inzwischen am besten wissen, dass der Herrscher wieder zurück ist. Ihr lasst Euch auf gefährliche Sachen ein. Seid Ihr Euch sicher, dass er am Ende noch auf Eurer Seite stehen wird?"
Er brachte sie einen Moment zum Zögern. "Natürlich wird er das.", behauptete sie fest. "Er wird uns nicht verraten. Dafür kenne ich ihn schon zu lange."
"Ich glaube, Ihr habt meine Frage nicht richtig verstanden." Es klang, als würde er zu sich selbst sprechen. Als würde er eine Überlegung stellen. Sie kam sich vor, als würden seine Augen sie Stück für Stück studieren und sie wusste, dass sie es nicht lange so dulden würde. "Ich zweifle nicht an seinem Willen daran. Aber wird er die Kraft dazu besitzen oder wird ihn sein inneres Feuer am Ende doch noch verbrennen? Ein interessanter Gedanke. Das Feuer wird vom Feuer verschlungen."
"Ich wüsste nicht, was Euch das angehen sollte.", fauchte Rawnes zurück. Erst hinterher bemerkte sie, dass sie zugab, nicht über dieses Thema sprechen zu wollen und nun ärgerte sie sich über sein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht. "Was wollt Ihr von mir? Wenn Ihr nichts Besseres zu tun habt, als das Ende dieser Welt zu verkünden, könnt Ihr gehen und mich mit Huran sprechen lassen."
"Ich sagte doch bereits, dass er Euch keine Antworten geben kann." Er machte wieder eine Pause, doch als er das Blitzen in ihren Augen sah, fuhr er schnell fort. "Niemand kann das hier. Ihr müsst Euch nach Sunspring begeben. Dort in der Bibliothek werdet ihr ein Buch finden. Ihr werdet lange danach suchen müssen, denn es wird behauptet werden, dass es ganz und gar unlesbar ist, doch Euer Freund dort draußen wird fähig sein es zu entschlüsseln. Es ist dünn, klein und unscheinbar, doch es wird Euch große Dienste leisten können."
Er endete und schien nun nichts weiter hinzuzufügen zu haben, doch bevor er gehen konnte, hielt Rawnes ihn noch ein letztes Mal zurück. "Wer seid Ihr?", fragte sie noch einmal mit erheblich mehr Nachdruck.
Er sah ihr nur wortlos einen Moment in die Augen. "Ihr werdet noch nie von uns gehört haben, doch nun ist es an der Zeit, dass wir unseren Teil in der Geschichte zu leisten haben."
Sunspring. Viel mehr fiel ihnen nicht mehr ein, als sie vor dem gewaltigen Tor standen, das sich für sie öffnen würde, um ihnen Zutritt zu der Bibliothek zu verschaffen. Schon alleine dieses eine Tor symbolisierte den gesamten Reichtum dieser Stadt. Eine hohe Treppe führte zu dem mächtigen Gebäude hinauf, das allein auf einem riesigen Hügel über der Stadt thronte und dessen gewaltige Glaskuppel schon von Weitem wie die Sonne leuchtete. Vor dem Eingang standen zwei Marmorsäulen, denen nicht die geringste Spur des Alters anzusehen waren, so als würden sie gerade eben erst dort hingestellt worden sein. Das Tor selbst war gigantisch und nur wenige Tage stand es ganz offen, denn es brauchte einige Mann um die schweren Flügel öffnen zu können. Eine kleinere Tür war hineingebaut worden, die sich nun öffnete und den strahlenden Stolz Sunsprings präsentierte.
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