"Du kannst dort nicht rein!", versuchte Rawnes ihn ein letztes Mal aufzuhalten, doch als er die Tür erreicht hatte und sie aufstieß stockte ihr der Atem und sie wich mit einem erschrockenen Aufschrei zurück.
Das, was sie zu sehen bekamen war grauenvoll auch wenn es für einen unwissenden Beteiligten vielleicht einfach nur merkwürdig war. In dem Zentrum, beschienen von einigen zaghaften Sonnenstrahlen, brannte ein Kreis aus Feuer. Es war kein normales Feuer auch wenn ebenso gefährlich, wenn nicht noch gefährlicher wie es Normales war. Zum Beispiel stieg überhaupt kein Rauchwölkchen auf und es brannte wahrscheinlich schon die letzten drei Tage, ohne dass es neue Nahrung brauchte. In dem Innern dieses Kreises brannten einige Runen. Eine ziemlich Große genau in der Mitte und umrahmt war diese von einigen Kleineren. Jeder, der sich mit dem Wissen uralter Legenden beschäftigte, kannte diese große Rune, die wie eine höhnisch grinsende Fratze wirkte.
"Justaka.", stellte Rugar mit außerordentlicher Gelassenheit fest, berücksichtige man, was dies bedeutete. Er ging einmal um den Kreis herum und studierte die restlichen Zeichen. "Und Anrar, Dretir, Xan'Ysir und Rel haben ebenfalls unterschrieben. Sieht so aus, als sollte dies seine Einladung für seine baldige Rückkehr darstellen. Wir hatten also Recht. Nur mit dem Datum für sein Eintreffen scheinen wir uns etwas verrechnet zu haben."
"Mach es weg.", hauchte Rawnes. "Mach es weg."
Rugar sah ihr fragend in ihre braunen Augen. "Er wird es merken."
"Egal. Mach es einfach nur weg.", begann sie mit einem festeren Ton zu verlangen.
Noch einmal zögerte ihr Begleiter kurz. Für einen Moment empfand er Furcht vor dem, was er tun sollte. Furcht, die ihn verunsichern ließ, doch dann riss er sich zusammen, hob die Hand und machte eine Bewegung, als würde er die Flammen einfach nur wegwischen wollen. Und das Feuer erlosch. Darauf war es völlig finster, doch trotzdem schien Rawnes sich wieder beruhigt zu haben.
"Lass uns von hier verschwinden.", meinte sie und drehte sich herum, um den Raum zu verlassen. Sie hatte ihren Hinweis gefunden, doch er gefiel ihr ganz und gar nicht. Wo die Isk waren, war immer noch schwer zu beantworten. Wahrscheinlich waren sie doch alle tot und wenn nicht, war es bereits für sie zu spät. Die ganze Zeit über hatte sie schon geahnt, dass dies mysteriöse Geschehen Justakas Handschrift trug. Dies war auch schon an anderen Stätten geschehen. Nur war es hierfür zu früh. Sie hatte mit Justakas Rückkehr gerechnet, aber nicht mit der Macht, die er zu haben schien.
Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. So bemerkten sie nicht, wie sich der Himmel zuzuziehen begann. Dunkle Wolken schoben sich bedrohlich vor das blasse Licht der Sonne. Plötzlich begann die Erde leicht zu beben und ein knirschendes Geräusch legte sich wie ein unheilvoller Donner über die Stadt. Erschrocken fuhren sie herum und konnten gerade noch sehen, wie der Tempel in seinen Grundfesten erschütterte und wie ein Kartenstapel in sich zusammenbrach.
Rugar ergriff Rawnes' Hand und zog sie mit sich. "Wir müssen hier weg!", rief er ihr zu. "Es ist Xan'Ysir."
Sie rannten über die Straße auf dem kürzesten Weg zu dem nächsten Tor. Wieder bebte die Erde und Rawnes wäre fast gestolpert, fing sich aber rechtzeitig wieder. Ganz in ihrer Nähe brach ein zweites Haus in sich zusammen. Der Dämon der Verwüstung war gekommen und war dabei das begonnene Werk zu beenden. Der Himmel wurde immer dunkler und blutrote Blitze schossen zur Erde. Bei jedem Beben verschwand ein Haus aus der Stadt. Es wurde keine Rücksicht darauf genommen, dass ein Mann und eine Frau verzweifelt dabei waren zu ihren Pferden zu kommen, um auf dem schnellsten Weg von hier zu verschwinden.
Es gelang ihnen das Tor zu erreichen und zu öffnen. "Das kann nicht sein." Rawnes warf noch einen letzten Blick auf die zunehmende Anzahl von Ruinen, die aus dem aufgewirbelten Trümmerstaub hervorkamen. "Es ist einfach nicht möglich."
"Es ist ganz egal ob möglich oder nicht.", antwortete ihr Rugar. "Es passiert gerade und wir sollten zusehen, schnell von hier wegzukommen."
Sie eilten durch das Tor, einen kleinen Abhang hinunter, um dann einem ausgetretenen Pfad um die Stadt herum zu folgen. Steine lösten sich während der Beben und rollten unter ihnen hinweg, so dass sie Mühe hatten das Gleichgewicht zu halten. Sie brauchten nicht lange zu laufen und schon hörten sie das aufgeregte Wiehern der Pferde, die versuchten sich loszureißen und das Weite zu suchen. Doch sie waren rechtzeitig bei ihnen, konnten sie einigermaßen beruhigen und aufsitzen. Kaum waren sie oben, drückten sie die Schenkel an und rasten über das leicht abfallende Land hinweg, ohne die Pferde großartig dazu überreden zu müssen.
Hell erleuchtet lag Midnight Town im Schoß des Tales. Fast völlig unberührt von den Geschehnissen der Welt. Nur ab und zu kam ein Fremder des Weges, um in der alten Stadt, die schon zu Anbeginn dieser Zeit steht, Rat zu suchen. Denn hier leben die weisesten Gelehrte dieser Welt. Mit Ausnahme von den Bewohnern Yesúws, die ein ebensolches Wissen besitzen, doch die Verborgene Stadt zu finden, sofern man überhaupt von ihr wusste, ist fast unmöglich. Sie war eine Legende. Eine verloren gegangene Legende allerdings und dies war es, was ihr Schutz gab. Midnight Town war bekannt und so musste sie sich auf eine andere Art von Schutz verlassen. Einst von den Elfen gebaut, besaß dieser Ort andere, magische Fähigkeiten. Sollte ein Wanderer unerwünscht des Weges kommen, wäre er nicht fähig die zahlreichen Häuser und Türmchen zu bewundern, denn sein Auge würde abgelenkt werden, selbst wenn er sich völlig sicher war, sie hier finden zu müssen.
Midnight Town war die größte Stadt des ehemaligen Dreierbundes. Als die Elfen noch selbst Ansprüche auf Zahur legten und versuchten in Frieden neben den Menschen zu leben, gründeten sie drei Städte, die in einem Dreieck zueinander auf kleiner, überschaubarer Fläche lagen. Sunspring und Silver Rain wurden die anderen genannt, doch die letztgenannte existierte bereits nicht mehr. Sie wurde zu Zeiten von Justakas absoluter Herrschaft durch Dämonen zerstört und niemand legte mehr Wert darauf, auf dem blutbefleckten Boden die Stadt erneut zu errichten. So zerfiel der Bund und die Elfen verließen diesen Flecken Land, als die Menschen immer besitzansprechender wurden.
Dies war ein großer Verlust, denn Silver Rain beherbergte nicht nur die größte Magierschule der Welt, sondern auch eine riesige Bibliothek mit dem gesamten Wissen der alten Zauberer über die Geschichte der Welt. Ein unvorstellbarer Schatz war es, der verloren ging. Nicht von materiellem Wert, doch unendlich wertvoller als Berge von Gold. Ein Teil konnte gerettet werden und wurde nach Sunspring verlegt, wo ein neues Bibliotheksgebäude errichtet worden war, was allerdings noch lange nicht an die Herrlichkeit seines Vorgängers heranreichen konnte. Einige der wichtigsten Teile fehlen noch immer und sind auch mit größter Mühe und Anstrengung nicht auffindbar. Nun fragen sich verzweifelt die Gelehrten, wo sie dieses enorme Wissen nun herbekommen sollten.
In Midnight Town selbst gab es eine riesige Tempelanlage mit einem angrenzenden Kloster, wo die Geistlichen der magischen Welt untergebracht waren. Die Priester waren noch lange nicht so machtvoll wie die alten Zauberer, doch das hieß noch lange nicht, dass sie unterschätzt werden durften. Sie waren, wie bereits häufiger erwähnt wurde, sehr weise und genau diese Weisheit gab ihnen Macht.
Zu eben diesen Weisen war Rawnes unterwegs und erhoffte sich einige Antworten oder zumindest Ratschläge, denn sie selbst war mit ihrem Wissen am Ende. Noch vor wenigen Tagen war sie zuversichtlich gewesen und glaubte gewusst zu haben, was sie wollte. Doch nun waren Ereignisse dazwischen getreten, die alles verändert hatten. Jetzt brauchte sie Rat von höherer Stelle.
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