„Du bist der Älteste und hast die meiste Erfahrung“, sagte Chang. „Solltest du da nicht diese Positionen haben?“
„Alter und Erfahrung sind nicht so wichtig“, meinte Jerry. „Vor allem, mir liegt das Reden überhaupt nicht. Jeff ist dafür besser geeignet.“
„Müssen wir das schon heute entscheiden?“, unterbrach Frank. „Es ist alles ziemlich viel auf einmal.“
„Nein, das müssen wir nicht. Aber ich wollte, dass wir uns heute schon mal Gedanken machen.“
Jerry lag das viele Sprechen wirklich nicht. Aber heute war er gut in Fahrt und er wollte einen guten Anfang haben.
„Ich und Jeff, wir wissen bisher am meisten über das Projekt. Daher wäre es gut, wenn zunächst einer von uns die Führung übernimmt. Aber mir geht es vor allem um den Informationstransfer. Jeff erfährt fortlaufend eine Menge von mir und kann die Infos auch außerhalb unserer Treffen an euch weitergeben. Ehrlich gesagt, mir wäre das zu viel.“
„Ja, gut. Das kann ich nachvollziehen“, sagte Chang.
„Daher meinte ich vorher, es wäre mir lieb, wenn Jeff die Kommunikation übernimmt“, sagte Jerry.
„Jetzt versteh ich das auch besser“, meinte Frank. Er hatte sich vorher überrumpelt gefühlt. „Dann soll eben Jeff unser Sprachrohr sein.“
Marco saß neben Frank auf dem neuen Ball und rutschte seit einiger Zeit unruhig hin und her. Ihm war es egal, wer Leiter, Sprecher oder sonst was werden würde.
„Was ist los, Marco?“, fragte ihn Frank. „Du scheinst nervös zu sein.“
„Hm“, sagte Marco und räusperte sich. „Ich denke die ganze Zeit an die vielen Referate, die ich vorbereiten muss. Das schaffe ich nie.“
„Das sind nicht viele“, versuchte ihn Jeff zu beruhigen. „Vielleicht gibt es insgesamt nur fünfzehn oder zwanzig Treffen. Wir sind sechs Leute. Jeder hat dann gerade mal zwei oder drei Referate. Und wir lassen dir genug Zeit.“
„Das wäre ja – nur ein Referat im Jahr, oder so“, atmete Marco auf.
„Für dich können wir das so einrichten“, sagte Jeff, um ihm entgegen zu kommen.
„Ein oder zwei im Jahr – ist doch egal“, meinte Ali. Er hatte für Marcos Einwände überhaupt kein Verständnis.
„Jedes Treffen wird allerdings der Referent leiten“, sagte Jerry. „So lernen wir, auch mal kurz die Führung zu übernehmen. Für den Fall, dass oben doch etwas passiert. Wir sind nämlich wirklich alle gleich wichtig.“
Nach einem weiteren Austausch von Meinungen zu diesen Punkten gab es keine Fragen mehr.
„Ich glaube, das reicht für heute“, sagte Frank. „Wenn du um acht in Orlando sein willst, Jerry, dann sollten wir jetzt kicken. Ich will unbedingt den neuen Ball ausprobieren. So einen wollen sie nämlich bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft in der Türkei einsetzen. Ich bin gespannt, wie der fliegt.“
„Nur noch eine Sache, Jungs“, rief Jerry, als schon alle aufgesprungen waren. „Wir müssen uns spätestens Ende August treffen, um Aufgaben zu verteilen. Frank und ich bereiten das schon ein wenig vor und Jeff übernimmt die Planung.“
„Alles klar, Jerry“, rief Frank. „Hier, nimm an!“
Frank schoss den neuen Ball haarscharf an Jerry vorbei.
„Wau! Superflanke, Frank“, rief Ali begeistert.
Eigentlich hatte Frank zum Spaß Jerry anschießen wollen. Aber das wusste ja keiner. Ihr Spiel konnte losgehen.
***
Zweites Jahr – Das Sommerloch
Jerry und Jeff waren den halben Sommer mit ihren Eltern im Wohnmobil unterwegs. Igor hatte den Umstand, dass Jerry nicht nahtlos von der Schule auf die Universität wechselte, nicht gleich richtig verdaut. Aber er hatte die Reise quer durch Amerika von langer Hand geplant und zog sein Vorhaben konsequent durch. Während der Rundreise von sechstausend Meilen besuchte die Familie diverse Sehenswürdigkeiten und verbrachte auch einige Tage in den kühlen Rocky Mountains. Das waren für alle besonders schöne und entspannte Tage, da in Florida Berge fehlen. Doch nach dreieinhalb Wochen nahm sie der Sonnenstaat mit dreiunddreißig Grad und mehr im Schatten erneut in Empfang. Wie durch ein Wunder war das enge Zusammensein während der langen Rundfahrt fast reibungsfrei verlaufen.
Auch Frank verbrachte den Sommer auf Reisen. Er besuchte für ganze vier Wochen sogar Verwandte im fernen England. Doch statt sich wie mit seinen Eltern vereinbart auch um seine jüngere Schwester Anne zu kümmern, klapperte er mit zwei Vettern die Fußballstadien der Premier League ab. Er nutzte die einmalige Gelegenheit, wenigstens als Zuschauer bei den Trainings dabei sein zu können.
Marco war wie alle Jahre zu Hause geblieben. So viel wie die Familie Strela oder auch Imatong konnte sich seine Mutter nicht leisten. Aber Marco war nicht unzufrieden, das Gegenteil war der Fall: endlich keine Schule und unendlich viel Ruhe. Und er konnte, immer wen wenn er Lust hatte, aus purem Spaß den ganzen Tag auf allen möglichen Buslinien durch die Gegend fahren. Einige Busfahrer kannten ihn noch aus dem Vorjahr, als er sich dieses Sommervergnügen auch schon bereitet hatte. Marco informierte die Fahrer über Baustellen, kaputte Straßen, Radarfallen oder hielt sie einfach nur bei guter Laune. Bei den meisten durfte er dafür zum Dank umsonst mitfahren.
Auch Ali und Chang verbrachten ihre Sommerferien zu Hause bei ihren Familien. Es war bei ihnen auch alte Sitte, dass sich die im Land verstreuten Verwandten in dieser Zeit gegenseitig besuchten. Und an manchen Tagen fuhren sie in großer Zahl gemeinsam an die lokalen Strände und hatten einen Heidenspaß. Warum auch fortfahren, bei allerbestem Urlaubswetter im Sonnenscheinstaat Florida?
Vor den Ferien war vereinbart worden, dass die Heimkehrer die Daheimgebliebenen kontaktieren würden, um ein neues Treffen zu organisieren. Jeff nahm nach gleich nach seiner Rückkehr die Planung in die Hand, so dass sie am letzten Freitag im August wieder in ihrer angestammten Ecke im Moore Park saßen. Der Austausch von Neuigkeiten zog sich hin. Jerry wurde ungeduldig, aber es gelang ihm einfach nicht, die Aufmerksamkeit auf Projekt M zu lenken.
„Projekt M?“, antwortete Frank, als Jerry zum dritten Mal nachhakte. „Ah ja, da war was. Ich hatte es in den Ferien ganz aus dem Kopf gelassen.“
„Mir ging´s genauso“, sagte Ali. „Erstaunlich, was so eine Pause von paar Wochen machen kann.“
„Dann ist höchste Zeit für den Wiedereinstieg“, sagte Jerry. „Ich hab Jeff verpflichtet, dass er Anfang September das erste Referat hält.“
„Oh, Referate“, schreckte Marco hoch und wurde rot. „Die hab ich ganz vergessen. Wann bin ich dran?“
„Immer mit der Ruhe, Marco“, lächelte ihn Jeff an. „Wir besprechen heute erst, wer wofür zuständig sein wird.“
„So ist das“, sagte Jerry. „Vor den Ferien hab ich angedeutet, dass wir als nächsten Schritt die Zuständigkeiten festlegen. Jeder spezialisiert sich auf einem Gebiet und bekommt einen Ersatzpartner. Im Referat wird dann über das Wichtigste zum Thema berichtet. Ich hab die Aufgaben nach Rücksprache mit euch ja schon grob zusammengestellt.“ Jerry holte einen Zettel hervor. „Der Erstgenannte trägt die Verantwortung, der Zweitgenannte ist jeweils sein Stellvertreter für alle Fälle. Also, Frank ist mit Marco für Ernährung, unser Training und Fitness zuständig und -“
„Das wollte ich doch mit Frank machen“, unterbrach ihn Ali gleich.
„Mach dir keine Sorgen, Ali, auch du wirst mehr als genug um die Ohren haben.“
„Jetzt lies die Liste bis Ende vor“, drängte Frank. „Diskutieren können wir später immer noch.“
Jerry fuhr fort.
„Okay. Marco kümmert sich mit Frank auch um alle Materialien, die wir mitnehmen werden, und um Werkzeug für eventuelle Reparaturen. Chang und Ali werden einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren und sich zudem um unsere Gesundheit kümmern. Das heißt, Chang achtet während des Flugs darauf, dass wir genug Bewegung und Schlaf bekommen. Chang, du machst dich auch schlau über Medikamente. Ali wiederum ist mit Chang zusammen verantwortlich für die Raumanzüge und die Ausrüstung für Notfälle. Und ihr müsst euch beide für einen eventuellen Außeneinsatz vorbereiten, wenn -“
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