Er und zahllose andere zeigten plötzlich jauchzend in den Himmel. Über der Burg, weit weg sah man ganz klein einen Schriikar, auf dessen Rücken ein kleiner, in der Sonne funkelnder Punkt saß. Ja, eines Tages wohne ich auch da .
Die Heimfahrt war alles andere als glücklich – Sie waren überfallen worden.
Yorin konnte es immer noch nicht glauben. Sie waren in einer Seitengasse Kalatharans gewesen und wollten etwas kaufen, da war aus dem Nichts ein Mann erschienen und hatte Vater mit einem Messer bedroht. Der Mann hatte alles Geld mitgenommen.
Yorin konnte nicht verstehen warum Vater ihn nicht umgehauen hatte?
Nun rollten sie auf der Straße zurück zu ihrem Hof. Seine Mutter und Schwester saßen hinten und weinten, während Vater wortlos den Karren lenkte.
Warum hatte Vater sich ausrauben lassen? Warum hatte er sich nicht gewehrt? Nicht gekämpft? Er konnte doch sonst alles?
Yorin schwor sich, dass er, war er erst ein Wächter, dieses Schwein finden und töten würde.
Der Nekromant
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9340
Das Zimmer war nur schwach vom Kerzenlicht erhellt. Man konnte die Bücher im Regal nur erahnen und der große Schreibtisch war mehr eine abstrakte Masse.
Sollos hatte ihn herbestellt und Iallyn verspürte Angst. Warum er so empfand, konnte er nicht genau sagen, aber etwas lag in der Luft. Es war das Arbeitszimmer des Meisters und normalerweise hatten er und Ahlim keinen Zutritt.
Sollos blickte ihn ernst an. War der Meister vielleicht doch böse, dass er immer mit Ahlim kämpfte?
Obwohl er nicht laut sprach, dröhnte Sollos‘ Stimme durch den Raum.
„Du hast dich in den letzten Jahren als sehr zäher und guter Schüler erwiesen. Es wird Zeit einen Nekromanten aus dir zu machen.“
„Ich dachte das lerne ich schon?“
„Nein, es gibt eine Prüfung, die man bestehen muss, dann ist man Nekromant. Zwar ein Lehrling, aber ein Nekromant nichtsdestotrotz.“
Sollos legte eine Pause ein.
„Bist du bereit für diese Prüfung?“
Iallyn strahlte und nickte heftig mit dem Kopf, Worte brachte er vor Freude nicht hervor.
„Gut. Lege dich auf die Bank dort.“
Iallyn tat wie ihm geheißen und überlegte was wohl passieren würde.
„Ich werde dir einen Trank geben. Dieser Trank wird es dir ermöglichen ins Totenreich zu reisen. Dort wirst du einen Geist fangen und mit zurückbringen. Ich werde dich dann aus dem Totenreich zurückholen. Hast du alles verstanden?“
Iallyn nickte, obwohl er sich nicht sicher war, wie er einen Geist fangen sollte, aber er traute sich nicht zu fragen.
Sollos hielt ihm eine Schüssel an den Mund und der Junge trank. Es schmeckte grässlich.
Erst geschah nichts, dann krampfte er. Ihm wurde abwechseln heiß und kalt, Schweiß rann seinen Körper entlang und sein Herz raste. Es wurde schneller und schneller. Iallyn glaubte es würde explodieren. Dann setzte es plötzlich aus. Alles wurde schwarz.
Iallyn stand neben sich – Zum Entsetzen des Jungen, im äußerst wörtlichen Sinne. Er stand im Raum und starrte auf seinen leblosen Körper. Der Knabe war wie gelähmt. Fassungslos stand er da, verloren, hilflos.
Sollos murmelte irgendetwas. Iallyn versuchte es zu verstehen, doch er konnte nicht. Er versuchte Sollos zu berühren, doch seine Hand glitt durch ihn hindurch. Entsetzt taumelte der Junge zurück und stand mitten in einem Tisch.
„Ich bin tot. Das Schwein hat mich umgebracht!“
In Iallyn formte sich nur ein Gedanke – Ich bin zu jung zum Sterben!
Eine nebulöse, formlose Kreatur tauchte neben ihm auf. Sie streckte etwas Hand ähnliches nach ihm aus.
Iallyn zögerte, doch konnte er keinen anderen Ausweg erkennen. Irgendetwas in ihm schien ihn zu lenken.
Er ergriff die Hand. Sie war erstaunlich fest, dafür das das Wesen so körperlos aussah.
Die Kreatur schoss davon und riss den entsetzten Jungen mit.
Iallyn stand auf einem gewaltigen Friedhof. Krähen kreisten weit über seinem Kopf. Tote, verdorrter Bäume standen hier und da. Der Himmel war dunkler als bei Neumond und doch konnte er erstaunlich weit sehen. Voller Schrecken stellte Iallyn fest, dass das Totenreich genau so war, wie er es sich immer vorgestellt hatte.
Er hatte noch nie solche Angst verspürt. Es schien ihm, als sei alles was er jemals zuvor für Angst gehalten hatte nur ein schwacher Schatten von dem, was gerade von seinem Herzen, seinem ganzen Körper Besitz ergriff.
Eigentlich hätte er vor Angst gelähmt sein müssen, doch er tat langsame Schritte vorwärts. Ein Teil von ihm suchte nach einem Geist, der andere hoffte inständig keinen zu finden. Nach ein paar Schritten stoppte er und erhob ein klägliches, dünnes Stimmchen.
„Hallo?“
Nur das Pfeifen des Windes.
„Hallo?“
Nichts.
Er zitterte wie ein Zweig im Wind. Er wollte rennen, doch wusste er nicht wohin. Er wollte schreien, doch hatte er Angst seine Stimme könnte ihn zu Tode erschrecken. So stand er nur da und tat nichts.
Iallyn konnte nicht sagen wie lange er so da stand, doch irgendwann erhoben sie sich aus den Gräbern. Scheußliche Schemen aus weiß-blauem Nebel, verzerrte Fratzen, die von Qual und Leid kündeten – Hunderte, wenn nicht mehr.
Sie erhoben sich langsam überall um ihn herum und kamen auf ihn zu – Kein Ausweg, keine Flucht.
Er weinte, winselte. Sie kamen näher, langsam, aber stetig.
Er drehte sich immer wieder um sich selbst, doch fand keinen Ausweg. Sie kamen näher und näher.
Er hockte sich hin und weinte.
Sie waren fast bei ihm und streckten ihre Hände nach ihm aus. Sein Weinen wurde lauter und lauter, überall kamen die halb durchsichtigen, dünnen Klauenhände auf ihn zu. Als sie ihn berührten, gefror sein Herz.
Er schrie wie er noch nie geschrien hatte, er schlug um sich.
Starke Arme hielten ihn. Er wandte sich, brüllte und weinte.
Irgendwann verließ ihn seine Kraft und er sackte auf der Bank zusammen. Erst jetzt erkannte er Sollos über sich und sein Verstand kehrte langsam in seinen Körper zurück.
„Ich… ich habe versagt. Verzeiht, Meister.“
Sollos lächelte. „Noch nie hat ein Nekromant beim ersten Mal einen Geist gefangen. Die, die würdig sind unserem Gott zu dienen, die überleben. Die anderen sterben.“
Iallyn begriff nur langsam die Worte.
„Ich habe nicht versagt?“
„Nein, Amal Hasrath hat dich für würdig befunden. Dein Geist war stark genug dem Reich seiner Mutter zu trotzen. Du bist nun ein Nekromant, ein Lehrling zwar, aber ein Nekromant.“
Iallyn war glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben und die Frage, wie er jemals wieder den Mut aufbringen sollte in das Totenreich zurückzukehren, verschob er auf später.
Die Magierin
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337
Heilmagie war ein langweiliges Fach. Jeder Myragone lernte von Kindesbeinen an diese Magie und hier auf der Akademie wurde anfangs auch nicht viel Neues gelehrt. Außerdem war das Schließen von Wunden und das Richten von Knochen keine die Realität verändernden Zauber. Einen Toten zurückzubringen, das wäre eine Herausforderung, die Ilahja fesseln würde. Aber nach allem was sie wusste, konnten das nur die Kleriker und das auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Oder natürlich die Nekromanten, aber Ilahja lehnte diese Form des Daseins strikt ab. Es war widernatürlich und falsch. In diesem Punkt zumindest stimmte sie mit ihren Lehrern überein.
Ilahja betrachtete die Schülerin neben sich. Sie war zwei Jahre älter, was an sich schon für ihre Talentlosigkeit sprach und dann stellte sie zusätzlich ihr Unvermögen täglich aufs Neue unter Beweis. Nehmala, wie sie hieß, bemühte sich geradezu verbissen diese primitiven Heilzauber zu meistern. Warum eine solch erbärmliche Person überhaupt zur Akademie zugelassen wurde, war Ilahja ein Rätsel.
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