„Ich war in einem Trupp an der Straße, dort wo die Menschen in ihren Holzhütten auf Rädern langfahren.“
Barguhm hatte von diesen Dingern gehört, aber nie eines gesehen. Sie wurden wohl von irgendwelchen Tieren gezogen.
„Die Menschen, es war eine Familie, kamen wohl gerade vom Meer zurück. Wir machten uns bereit sie abzuschlachten, als plötzlich…“
Er hielt inne und blickte an die Decke der Hütte. Alle Kinder hielten den Atem an.
„…als plötzlich aus dem Nichts schreckliche, widerliche Kreaturen auftauchten. Nie hatte ich so etwas gesehen. Sie flatterten wie Fledermäuse, hatten Klauen und Mäuler voller spitzer Zähne, vieler, vieler spitzer Zähne. Sie zerfleischten den Vater, die Mutter, den Jungen. Sie töteten die Zugtiere und die Tochter. Sie wühlten durch die Räderhütte, sie suchten etwas.
Da stieß unser Anführer seinen Kriegsschrei aus. Wäre ich kein Rannuk, ich hätte Angst verspürt, aber wir sind geborene Kämpfer und so stellten wir unseren Feind.
Ich zertrümmerte einem der Monster den Flügel, da drehte es sich um, schnell wie der Blitz zuckt, sprang und biss mir in die Schulter. Ich wollte es losreißen, doch mit seinen Zähnen, die zahlreich waren wie die Asche, die vom Himmel fällt, hatte es sich zu fest verbissen.
Die Wunde brannte schlimmer als jede Wunde, die ich vorher und nachher bekommen habe. Ich konnte mit meinem Hammer nicht richtig ausholen und so schrie ich meinem Kameraden zu, er soll es töten. Er spaltete dem Wesen mit seiner Axt den Schädel und mir die Schulter.
Die Kreatur lag tot am Boden und begann zu dampfen, wie heißes Wasser.
Die anderen Biester flohen mit einem dieser Dinger, in die die Menschen ihre komischen Zeichen malen.
Wir nahmen was wir tragen konnten und verließen den Ort.
Was da gekommen war, war verdorben. Das waren keine Tiere, das war etwas anderes.“
Barguhm hatte von der Geschichte Angst bekommen. Er schämte sich für diese Angst und hoffte sehr, dass es ihm niemand ansah.
Die Magierin
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337
Es war eine lange Zeit des Wartens gewesen, doch endlich war sie hier, in der ‚Akademie der Arkanen Künste zu Myragon‘.
Heute, in ihrem vierzehnten Lebensjahr, begann ihre erste Vorlesung. Ilahja zweifelte nicht daran, dass sie schon bald ihre Lehrer von ihren Fähigkeiten überzeugen und Klassenbeste sein würde und dennoch verspürte sie eine gewisse Anspannung.
Erzmagier Merandial betrat den Saal. Er galt als einer der mächtigsten, manche nannten ihn sogar den mächtigsten Magier der Welt. Er war mit seinen 221 Jahren einer der ältesten, lebenden Myragonen und schon zahllose Jahrzehnte Leiter der Akademie. Die Magie gewährte den Mächtigsten unter ihnen ein extrem langes Leben. Und doch sah man Merandial sein Alter an. Er hatte lange, strahlend weiße Haare, ein faltiges, eingefallenes Gesicht. Er bewegte sich langsam und bedächtig, doch seine Augen zeugten von einem wachen, scharfen Geist. Er unterrichtete nur selten, da er neben seiner akademischen Funktion auch noch Mitglied des hohen Rates war.
Ilahja konnte sich eines Kribbelns nicht erwehren, als sich der Erzmagier vor die Studenten stellte. Er strahlte eine Aura der Macht und Erhabenheit aus, wie es die junge Frau noch nie gesehen hatte. Diese Aura hatte für sie etwas durchaus Erotisches.
Merandials Stimme war sehr angenehm und zeugte ebenfalls von einer unglaublichen Selbstsicherheit und Größe.
„Jeder Mensch Myragons kann Magie wirken. Es ist unsere Natur. Doch ihr seid hier, um diese angeborene Gabe zur Vollendung zu bringen. Ihr sollt mehr über die Magie erfahren, als einfache Zaubersprüche. Ihr sollt die Magie begreifen, sie formen und mit ihrer Hilfe die Realität ein wenig beugen.
Doch seid gewarnt! Mit jeder neuen Erkenntnis wächst eure Verantwortung. Die Magie darf nur einem Zweck dienen – dem Wohl unserer Stadt.“
Ilahja fand diese Phrase so unglaublich hohl. Es hatte sicher eine Zeit gegeben, in der man statt Wohl ‚das Gute‘ gesagt hatte, bis irgendwann jemand die Frage gestellt hatte, was dieses ominöse Gute eigentlich sei und ob Gut und Böse nicht unglaublich stark vom Betrachter abhingen. Seit dieser Zeit nannte man es wahrscheinlich ‚das Wohl‘, was nicht weniger schwammig und ominös war. Genau genommen war es noch viel schwammiger, soviel schwammiger, dass niemandem mehr die Frage einfiel, was es überhaupt sei, ‚das Wohl‘. Wer entscheidet denn was dem Wohl der Stadt dient? Der Rat?
Nein, sie glaubte nicht daran. Gut war, was ein moralisch denkender Mensch als gut empfand. Darüber hinaus sollte man, durfte man der Magie keine Grenzen setzen.
Ilahja schüttelte innerlich den Kopf, als sie Merandial reden hörte. Ob er diese Phrasen selbst glaubte? Wenn ja, wie hätte er dann soviel Macht erlangen können? Nein, sie war sich sicher, der Erzmagier dachte wie sie und hielt eine Fassade der gesellschaftlichen Gepflogenheiten aufrecht. Sie würde das ebenfalls tun.
„Magie ist heutzutage ein schwammiger Begriff geworden. Gerade die Menschen aus anderen Städten, in ihrer geistigen Schlichtheit, subsumieren vieles unter diesem Wort.
Magie, wie wir sie verstehen, ist die Magie der Elemente. Es ist die Kunst die Essenz der Welt aufzunehmen, zu bündeln und wieder freizulassen. Erde, Wasser, Feuer, Luft.
Alles andere, wie die klerikalen Zaubereien haben nichts mit Magie zu tun. Schon gar nicht hat der schamanistische Firlefanz irgendwelcher primitiven Völker irgendetwas mit Magie gemein, obwohl dieser Firlefanz ebenfalls aus der Natur kommt, im Gegensatz zu dem klerikalen Hokuspokus, der letztendlich nur eine Manifestation einer höheren Macht ist und mit dem Ausübenden wenig zu tun hat.
Wir werden das Wort Magie nur im Sinne elementarer Magie verwenden und für nichts anderes. Gibt es bis hierhin Fragen?“
Ilahjas Arm schoss augenblicklich in die Höhe.
„Ja, bitte.“
„Erzmagier, was für eine Art von… Hokuspokus verwenden die Nekromanten? Unter welche Kategorie fällt die Balrass-Beschwörung und was üben die Hexen aus?“
Merandial lächelte.
„Du bist eine sehr aufgeweckte Schülerin, das gefällt mir. Ich möchte nur kurz auf deine Fragen eingehen. Die Nekromanten benutzen ebenfalls klerikale Zauberei.
Die Hexen benutzen eine spezielle Form von Naturmagie, die stark an Ingredienzien gebunden ist.
Balrass-Beschwörung ist etwas mit dem man sich nicht beschäftigt, nichts Gutes, Reines kann daraus erwachsen. Balrass sind Wesen von abscheulicher Bösartigkeit, Ausgeburten der Finsternis, die unsere Welt 1000 Jahre in ihrer Gewalt gehalten haben. Wer sie in diese Welt bringt, holt sich das Verderben und kann nur als wahnsinnig bezeichnet werden.“
Ilahja lächelte in sich hinein. Er hatte diese letzte Frage nicht beantwortet. Sie wusste sehr wohl, dass Magie, Elementarmagie Balrass zwingen konnte und genau das wollten die Meister nicht, sie wollten nicht einmal, dass ihre Schüler wussten, dass es geht, so groß war die Angst vor dem jenseitigen Reich. Ilahja hatte keine Angst vor diesem Reich. Sie hatte beim Lesen des Buches erkannt, dass es ein Ort großen Potentials war, der nur darauf wartete erschlossen zu werden.
Den Rest der Vorlesung hörte Ilahja nur mir halben Ohr zu. Merandial erklärte das Grundprinzip der Elementarmagie. Er veranschaulichte an einer Tafel, die er mit Magie zum Leben erweckte, wie die vier elementaren Hauptadern vom Kern des Planeten Richtung Erdkruste, Blitzen gleich, strahlten und kurz unter der Oberfläche verästelten. Diese einzelnen Äste nannte man Adern und ein Magier konnte, stand er auf einer Ader, diese Energie aufnehmen und speichern oder direkt umsetzen. Die Adern waren immer in Bewegung. Nur sehr selten gab es feste Adern, die immer zwei Punkte verbanden. Eine davon war die Ader zwischen Myragon und Kalatharan.
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