Selten gab es Knotenpunkte an denen sich zwei Adern kreuzten, noch seltener drei oder gar alle vier. Am seltensten war ein stabiler Knotenpunkt aller vier Adern. Der einzig bekannte lag unter dem Zentrum Myragons. Dies war ein Grund warum vor Äonen die Stadt genau hier gegründet worden war.
Die Akademie lag auch in der Nähe dieses Zentrums, sodass die Schüler nicht weit laufen mussten um neue Energie aufzunehmen. Allerdings führte keine der vier Adern direkt unter der Akademie durch. Man wollte wohl vermeiden, dass ein Schüler von der direkten Menge übermannt wurde und ein Desaster auslöste.
Zum Abschluss der Stunde erklärte Merandial die Möglichkeiten der Spezialisierung auf eines der Elemente oder für alle offen zu bleiben. Die meisten Myragonen spezialisierten sich auf Wassermagie, da diesen den Schild speiste und das Trinkwasser bescherte, viele wandten sich auch der Erdmagie zu, mit der man das wenige Getreide und Kräuter wachsen lassen konnte. Feuer und Luft waren weniger beliebt.
Für Ilahja war klar, dass sie sich niemals spezialisieren würde. Sie musste die Magie in allen Aspekten erforschen. Weniger war nicht genug, nicht für sie.
Der Wächter
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9335
Es war Schlafzeit. Wind durfte nur fliegen, wenn alle anderen träumten, zu groß war Vaters Sorge, man könnte ihn entdecken und ihnen wegnehmen. Diese Sorge war für Yorin momentan unbedeutend. Viel größere Sorgen machte er sich vor dem, was ihm unmittelbar bevorstand.
Vater befestigte den Sattel, den er über viele Monate angefertigt hatte. Die Steigbügel waren verstellbar, so dass Yorin in den Sattel hineinwachsen konnte.
Die Mutter kam von hinten und drückte ihren Sohn. Yorin spürte ihre Angst, was ihn noch mehr fürchten ließ. Vater winkte ihn herüber. Zitternd schritt er auf seinen Schriikar zu.
„Lass ihn erst nur ein bisschen laufen, um dich an den Sattel zu gewöhnen und dann fliegt ein bisschen. Aber nur dicht über dem Boden.“
Selbst Vater war besorgt. Yorin war kurz davor panisch zu werden. Aber noch mehr Angst hatte er davor wieder in Ungnade zu fallen, wenn er sich weigerte. Also stieg er auf.
„Das ist total hoch.“
Er wollte absteigen, doch zu spät. Wind trabte los. Yorin schwitzte wie ein Nak’Thu in Solesgaard, so zumindest ging die Redewendung. Fast schon hysterisch klammerte er sich an den Knauf.
Der Schriikar trabte eine große Runde und Yorin begann Gefallen daran zu finden. Doch dann wurde Wind schneller und schneller, er breitete die riesigen Flügel aus. Yorins Blut gefror.
Die Schwingen begannen zu schlagen. Der Junge war gelähmt vor Angst, nicht einmal schreien konnte er.
Die Flügel erzeugten dumpfe Geräusche, als sie die Luft nach unten zwangen und plötzlich war nichts mehr von Krallen bewehrten Füßen auf dem Ackerboden zu hören – Sie flogen.
Riesige Silhouetten schossen auf sie zu und dann unter ihnen hinweg – der Wald. Sie flogen über den Wald.
Die Kronen der Bäume rasten unter dem Jungen hinweg und formten ein grünes Meer.
Wenn der Schriikar die Flügel stillhielt, hörte man nur das Pfeifen des Windes. Jetzt wurde Yorin bewusst, wie unglaublich treffend der Name war, den er seinem Reittier gegeben hatte.
Der kleine Bauernjunge hatte einerseits unglaubliche Angst, aber andererseits war es großartig. Er flog. Er flog wie ein Vogel. In diesem Moment glaubte Yorin, dass er alles konnte – So mussten sich die Götter fühlen.
Als sie wieder zur Landung ansetzten, war Yorin fast traurig, dass es vorbei war. Nicht so traurig war er, dass die Landung schnell vorbeiging, denn Wind hoppelte ganz schön, als er versuchte seinen riesigen Körper vom schnellen Galopp abzubremsen.
Strahlend sprang er vom Sattel in Vaters Arme.
„Es war toll!“
Aus ihm unerfindlichen Gründen schien es ihm, als hätten seine Eltern auch Angst gehabt. Aber das war Yorin egal, fliegen war toll.
Der Nekromant
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9336
Leise schlich Iallyn in die Küche. Seine Hände erhoben um sein Gesicht zu schützen. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Von Ahlim war nichts zu sehen.
Vor einigen Wochen war er unbedarft in die Küche gegangen und dann war kurz alles schwarz geworden. Er hatte einige Augenblicke gebraucht, bis er begriffen hatte, dass Ahlim hinter der Tür gelauert und ihm mit einer Bratpfanne ins Gesicht geschlagen hatte.
Iallyns Nase war mittlerweile wieder zusammengewachsen, doch ein unschöner Höcker war geblieben. Seitdem war der Junge stets auf der Hut. Sein Erzfeind konnte überall lauern.
Ahlim bildete sich wohl ein, er könnte ihn auf diese Weise loswerden, doch da täuschte er sich. Iallyn war von seinem Dasein auf der Straße nichts anderes gewohnt, als täglich um sein Leben zu kämpfen. Er würde niemals klein beigeben.
Die Küche schien leer und daher nahm er sich ein Stück Brot und etwas Obst, dieses ‚Lesen lernen‘ war für ihn sehr anstrengend und machte ihn hungrig. Alles was er hier tun musste, war so anders, als das, was er auf der Straße gelernt hatte, mit Ausnahme der ständigen Kämpfe mit Ahlim.
Kaum hatte er an ihn gedacht, kam er auch schon um die Ecke. Ein kurzer Blick und Iallyn wusste was kommen würde. Ahlim ignorierte ihn so offensichtlich, dass der Jüngere sicher war, dass er gleich angegriffen würde.
Alle Muskeln in Iallyns Körper spannten sich. Er sah Ahlims schwaches Spiegelbild in der Fensterscheibe. Der Straßenjunge musste daran denken, wie wenige Menschen sich Glasscheiben leisten konnten, verdrängte diesen Gedanken aber sofort wieder und fixierte die Reflexion seines Feindes.
Ahlim schlug unvermittelt mit einem Nudelholz zu. Iallyn duckte sich, hörte das Holz auf Holz krachen und stieß mit dem Ellbogen nach hinten. Ahlim grunzte und hielt sich den Schritt – Treffer! Iallyn fuhr herum und schlug dem Älteren die Faust ins Gesicht.
Gekrümmt und jammernd rannte Ahlim hinaus. Iallyn grinste – Das war ein Sieg.
Auf dem Weg in sein Zimmer fragte sich der junge Schüler, warum Sollos nicht einschritt? Er konnte das unmöglich übersehen und nicht bemerken. Vielleicht war es ihm egal?
Ohne eine Antwort zu finden machte sich der Junge wieder an seine Leseübungen. Die Nacht war erfolgreich zu Ende gegangen, noch ein Kapitel und er würde zufrieden zu Bett gehen.
Die Gläubige
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9337
Die kargen Wände der kleinen Kammer hallten von den gepressten Atemstößen. Devora hatte neulich versucht ein Schwert, das einer der Jungen liegen gelassen hatte, zu heben. Es war ihr nicht wirklich geglückt. Sie war zu schwach, um ein Schwert zu heben, aber sie würde es nicht bleiben.
Seitdem machte sie Liegestütze und andere Kraftübungen. Sie würde eines Tages stark genug sein Schwert und Schild zu führen.
Während sie ihren Körper quälte, dachte sie über den letzten Unterricht nach. Das Maß an Macht, über die ein Gläubiger verfügen konnte, hing von seiner Hingabe ab. Der Klerus hatte viele Mitglieder, aber nur die wenigsten konnten die göttliche Macht einsetzen. Es wusste niemand warum manchen dieses Geschenk zu Teil wurde und anderen nicht, alles was Devora wusste war, dass ihr dieses Geschenk zu Teil werden würde.
Der Krieger
Im Jahr nach dem Tod des Einen 9336
Garthuk bleckte die Zähne. Seine Reißzähne waren schon gut sichtbar und auch die Hörner, die bald in voller Pracht zu sehen sein würden, zeichneten sich bereits ab. Barguhm tat es ihm gleich. Auch bei ihm zeigten sich die Reißzähne und die ersten zarten Ansätze dessen, was bald der Stolz seines Hauptes sein würde.
Sie umkreisten einander in geduckter Haltung, zum Sprung bereit. Noch hatten ihre Körper nicht die breite muskulöse Form eines ausgewachsenen Rannuk, doch man sah, dass sie keine Kinder mehr waren.
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